Süddeutsche Zeitung

Hotellerie:Alles inklusive

Um den Personalmangel im Gastgewerbe zu lindern, hat eine Hotelkette eine eigene Hochschule gegründet. Dafür quartiert sie die Studierenden in den Hotelzimmern ein - die meisten bleiben auf Dauer.

Von Rebekka Gottl

Chantal Zilles sitzt in einem Ledersessel in der Lounge, die Arme auf den hohen Lehnen abgestützt. Vor den Fenstern schiebt sich dichter Verkehr über die achtspurige Straße, drinnen ist davon nichts zu hören. "Während der Frühstückszeit sind die meisten Gäste im Restaurant", sagt die 26-jährige Controllerin. In der Lounge arbeiten nur zwei Mitarbeiter in türkisen Hemden, im Hintergrund läuft eine Mischung aus Soul und Jazz.

Seit Mitte des vergangenen Jahres arbeitet Zilles in der Unternehmenszentrale der Hotelkette Motel One im Münchner Stadtteil Giesing. Das Gebäude ist ihr vertraut, in den vergangenen fünf Jahren hat sie mehrere Monate dort gelebt - jedoch nicht als Gast, sondern als Studentin. Zilles gehört zum ersten Jahrgang, der hier das duale Bachelorstudium in Tourismuswirtschaft beendet hat. Studiert haben die Absolventen an der One University, die in der ersten Etage des Hotelkomplexes untergebracht ist.

"Es ist bekannt, dass wir Probleme haben, gute Mitarbeiter zu finden", sagt Kerstin Winkelmann, Personalchefin bei Motel One. Die Zahl der Ausbildungsverhältnisse im Hotel- und Gaststättengewerbe ist in den vergangenen zehn Jahren stark zurückgegangen. Zudem bricht fast jeder zweite Auszubildende die Lehre ab, wie aus dem Berufsbildungsbericht des Bildungsministeriums hervorgeht.

Am Abend werden im Aufenthaltsraum "Campus Cocktails" serviert

Damit er mit Wettbewerbern der Low-Budget-Kategorie wie Ibis oder Meininger Hotels mithalten kann, muss der Arbeitgeber interessant bleiben. "Um Nachwuchs zu bekommen, müssen wir eine gute Ausbildung anbieten", sagt Winkelmann. "Und ein Studium ist nun mal sehr attraktiv." Daher hat Dieter Müller, Gründer und Vorstandsvorsitzender der Hotelkette, die Idee der One University entwickelt. In Zusammenarbeit mit der Internationalen Hochschule Bad Honnef (IUBH), einer privaten Fachhochschule, ist der duale Bachelorstudiengang Tourismuswirtschaft entstanden. In sieben Semestern wird "ein Mix aus Tourismusinhalten und BWL" vermittelt, erklärt Winkelmann.

Die Studierenden sind deutschlandweit auf Häuser der Hotelkette verteilt, sie arbeiten in Frankfurt, Berlin oder Dresden und reisen dreimal im Semester für jeweils sieben bis zehn Tage zum Studieren nach München-Giesing. Dort wohnen sie in Hotelzimmern, essen im zugehörigen Restaurant und verbringen auch viele Abende gemeinsam.

Tagsüber geben Dozenten der Privathochschule in den Räumen der ersten Etage Kurse zu Themen wie Buchhaltung, Finanzierung oder Management. Abends wird die Aula, ein offener Bereich mit stufenartig ansteigenden Sitzreihen, vom Vortragssaal zum Aufenthaltsraum umfunktioniert. Auf der ausfahrbaren Leinwand werden Filme gezeigt, in den Sitznischen Gesellschaftsspiele ausgepackt und "Campus Cocktails" serviert. Es gibt Fitnesskurse oder "Chillen an der Isar".

Ist es diese Internatsstimmung, die den "Spirit" ausmacht, mit dem die Hotelkette für ihr Studienangebot wirbt? Das Gemeinschaftsgefühl der Klasse sei stark ausgeprägt, sagt Zilles, die vor Beginn des berufsbegleitenden Studiums bereits ein Jahr an einer staatlichen Hochschule eingeschrieben war. Dort seien die Studierenden "als Einzelkämpfer aufgetreten, die sich um Prüfungszulassungen und Kursteilnahmen selbst kümmern mussten", sagt sie. Das fördere zwar das Selbstmanagement, in der Masse könne man jedoch schnell untergehen.

Das Konzept der One University ist deutlich verschulter. Der Stundenplan wird vorgegeben, die Lernmaterialien werden zur Verfügung gestellt und die Prüfungen automatisch angemeldet. "Ich konnte mich voll und ganz aufs Lernen konzentrieren", sagt Zilles. Sie gibt aber zu: Ein typisches Studentenleben hatte sie nicht. Das liegt auch daran, dass es im dualen Studium keine Semesterferien gibt.

Das Gelernte können die Studierenden gleich im Arbeitsalltag anwenden

Stattdessen durchlaufen die Kandidaten in der Zeit zwischen den einzelnen Theoriephasen nach und nach alle Arbeitsbereiche in den Häusern der Hotelkette. Wie funktioniert das Buchungssystem an der Rezeption, wie läuft eine Reservierung ab und was ist im Service zu beachten? Diese Fragen ließen sich besser beantworten, wenn man ihnen direkt begegnet, statt sie im Seminarraum zu besprechen, meint Zilles. Für sie waren die Abwechslung von Theorie und Praxis und die unmittelbare Anwendung des Wissens die ausschlaggebenden Gründe für das berufsbegleitende Studium. "Wenn ich vor drei Jahren Gelerntes erst jetzt anwenden müsste, hätte ich doch alles längst vergessen."

Auch nach ihrem Abschluss besucht sie weiterhin Seminare an der One University. In der Etage über den Räumen für die Studierenden finden regelmäßig Schulungen für alle Mitarbeiter statt. Die angereisten Teilnehmer übernachten ebenfalls im "Tower", wie der 14-stöckige Hotelkomplex intern genannt wird. Mit ungefähr 380 Trainings im Jahr ist die Weiterbildungsstätte gut ausgelastet. "Wenn ich morgens in den Fahrstuhl steige, treffe ich immer Studierende oder Trainingsteilnehmer", sagt Winkelmann.

Bei der inhaltlichen Ausrichtung der Schulungen und Bachelor-Seminare setzt die Personalchefin auf Flexibilität. Seit der Gründung der hoteleigenen Ausbildungsstätte wurde der Studiengang bereits an einigen Stellen verändert und den Anforderungen der Studierenden angepasst. Unter anderem sei die Betreuung intensiver geworden: Ursprünglich als Fernstudium angebotene Kurse finden nun als Präsenzunterricht in München statt. Zudem können die Bachelor-Kandidaten ein vierwöchiges Auslandspraktikum an einem der 16 europäischen Standorte von Motel One machen. Zilles hat sich für Amsterdam entschieden. "Eine Zeit im Ausland kann nie schaden", sagt die Controllerin. Sie nutzte den Aufenthalt, um ihre Englischkenntnisse zu verbessern.

Das Konzept, als Hotelkette einen eigenen Studiengang anzubieten, ist bislang einmalig in Deutschland. Personalchefin Winkelmann betont die Vorreiterrolle in der Branche: "Mit der Ausbildungsform wollen wir zeigen, wie Nachwuchs generiert werden kann." Die Studierenden sollen auf diese Weise langfristig an das Unternehmen gebunden werden.

Während Lehrstellen unbesetzt bleiben, ist der Bachelorstudiengang gut nachgefragt

Das Konzept scheint zu funktionieren. Von den Absolventen der ersten Klasse wurden 70 Prozent von Motel One übernommen. Sie arbeiten in der Buchhaltung, im Vertrieb oder wie Zilles im Controlling. Die Prognose für die diesjährige Abschlussklasse sieht laut Winkelmann ähnlich aus. Mit dem berufsbegleitenden Studium scheint man im Gastgewerbe eine Alternative zur klassischen Ausbildung gefunden zu haben. Während Hotels verzweifelt Azubis suchen, wird der Bachelorstudiengang gut nachgefragt. "Für das duale Studium bekommen wir deutlich mehr Bewerbungen, als wir Plätze haben", sagt die Personalchefin.

Zilles kann das Interesse nachvollziehen, auch sie spricht vom "Spirit" des Hotels, mit dem das Unternehmen überall wirbt. Mit einer genaueren Beschreibung des Begriffs tut sie sich allerdings schwer. Es sei dieses Miteinander, sagt sie nach einigem Zögern. "Deshalb sind viele von uns auch nach dem Studium geblieben." Ob die Absolventen dann allerdings auch immer Jobs finden, die deutlich besser bezahlt werden als die ihrer nicht akademischen Kollegen, ist damit nicht gesagt.

Informationen: Motel One übernimmt die Studiengebühren an der privaten Hochschule IUBH in Höhe von etwa 25 000 Euro. Zusätzlich erhalten die dual Studierenden ein Taschengeld und Incentive-Zahlungen, die von der Gästezufriedenheit im eigenen Hotel abhängen. Bezahlt werden außerdem Anreise, Unterkunft und Verpflegung während der Theoriephasen. www.one-university.com/karriere

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Quelle:
SZ vom 01.02.2020
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