Süddeutsche Zeitung

Zu Hause arbeiten:Beim Homeoffice sollte die Regierung rücksichtsloser sein

Lesezeit: 3 Min.

Viele Firmen erlauben keine Heimarbeit. Das Recht darauf muss die Koalition konsequenter angehen als das neue Teilzeitgesetz.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Morgens dem Stau entgehen, in dem immer mehr Pendler stehen. Nachmittags mit den Kindern Schlitten fahren, um das beruflich Unerledigte dann am Abend aufzuholen. Es gibt einige Gründe, warum es Beschäftigten das Leben erleichtert, ab und zu von zu Hause zu arbeiten. Die Bundesregierung will diese Heimarbeit, Experten sagen zwanghaft nur Homeoffice, jetzt fördern. Die Regierung sollte das entschieden angehen, sonst bleibt das ein Lippenbekenntnis wie anderes, was sie Deutschlands Beschäftigten versprochen hat.

Es gibt mehrere Trends, die das Zuhausebüro attraktiver machen. Zuallererst, dass inzwischen meist beide Eltern berufstätig sind. Mehr Zeit für die Kinder, solange sie wach sind, ist da ein starkes Argument. Wegen der alternden Gesellschaft kümmern sich auch mehr Beschäftigte um ihre Eltern. Sich die Arbeit flexibler einzuteilen, vereinfacht die Fürsorge um Kinder wie Eltern. Sich manchen Weg in die Firma zu sparen, hilft dabei. Zumal diese Wege länger werden. Heute pendeln die Deutschen ein Fünftel weiter als zur Jahrtausendwende, jeder Vierte braucht mehr als eine Stunde täglich. Die Jobs liegen zunehmend in boomenden Städten, in denen bezahlbare Wohnungen fehlen.

Wer sich diese Entwicklungen anschaut, wundert sich kaum, dass fast die Hälfte der Beschäftigten gelegentlich von zu Hause tätig werden will. Er fragt sich, warum es nur etwas mehr als jeder Zehnte darf. In Belgien, Schweden oder den Niederlanden liegt der Anteil der Heimarbeiter zwei bis drei Mal so hoch. Das spricht dafür, dass die Bundesregierung eingreift.

Natürlich muss sie die Interessen der Arbeitgeber berücksichtigen. Heimarbeit eignet sich wenig, wenn jemand Häuser mauert, Obst verkauft oder Kranke pflegt. Doch sie eignet sich immer öfter. Die Digitalisierung verändert den Job. Grafiker, Sachbearbeiter oder Softwareentwickler können ihn zunehmend vom Laptop aus erledigen, egal, wo der steht. Forscher rechnen vor: Heimarbeit wäre bei 40 Prozent aller Jobs möglich. Also bei vier Mal so vielen, wie es heute erlaubt wird. In der Realität scheitert Homeoffice nicht an mangelnder Technik oder Effizienz, sondern an Chefs, die an einem Präsenzkult der Bürohengste festhalten.

So zwängen zwar mehr und mehr Firmen ihre Beschäftigten in Großraumbüros, um Miete zu sparen. Doch sie erlauben ihrem Personal nicht, auch mal zu Hause zu arbeiten, wo sie sich besser konzentrieren könnten als zwischen telefonierenden Kollegen. Die Bundesregierung sollte die Heimarbeit konsequent ermöglichen, wo sie möglich ist.

Derzeit plant Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) lediglich, Unternehmen zu einer Begründung zu verpflichten - wer Beschäftigten Heimarbeit verweigert, soll dies erklären müssen. Das kann etwas bringen, muss aber nicht. Man sieht vor dem geistigen Auge schon die Textbausteine, mit denen Vorgesetzte ihre Beschäftigten künftig abspeisen. Heil läuft Gefahr, den Arbeitnehmern halbe Sachen zu liefern - schon wieder. Nur Stückwerk ist bereits der neue Anspruch, nach ein paar Jahren von Teil- in Vollzeit zurückzukehren. Weil kleinere Betriebe ausgenommen sind, dürfte fast jede zweite Arbeitnehmerin davon nichts haben. Und weiter hadern, ob sie mit Dauer-Vollzeit womöglich ihre Kinder vernachlässigt - oder mit Dauer-Teilzeit wahrscheinlich ihre Karriere.

Heimarbeiter dürfen den Anschluss nicht verlieren

Solche Halbherzigkeiten hat allerdings nicht Heils SPD zu verantworten. Sondern die Union, die bei Beschäftigtenrechten stets bremst, sobald die Arbeitgeberlobby ruft. Diese übermäßige Rücksicht wird wie schon den Vollzeitanspruch auch den Homeoffice-Vorstoß entwerten. Wenn Unternehmen nicht bald mehr Flexibilität gewähren, braucht es mehr als diese Leisetreterei: Ein richtiges Recht auf Heimarbeit - mit Ausnahmen für all die Maurer, Verkäufer und Pfleger. Ein solches Recht hat die Niederlande zu Europas Pionier in Sachen Homeoffice gemacht.

So ein Anspruch sollte durchaus Grenzen haben. Sind Beschäftigte immer zu Hause tätig, erscheint dies für die Betriebe genauso ungünstig wie für sie selbst. Persönlich mit Kollegen oder Chefs zu reden, bleibt in der Ära der Videokonferenz unverzichtbar. Wer nicht mitbekommt, was in der Firma läuft, verliert den Anschluss - schlecht für alle Seiten.

Studien zeigen, dass Heimarbeiter sogar mehr Stunden werkeln als reine Bürohengste, vermutlich aus schlechtem Gewissen. Wer zu Hause tätig ist, muss also das Abschalten lernen. Gleichzeitig heißt das: Die Firmen haben es hier mit besonders engagierten Mitarbeitern zu tun. Wünschen sie sich das nicht immer?

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen für 0,99 € zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4277489
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 08.01.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.