Neue Studie:Homeoffice zementiert traditionelle Rollenbilder

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Während man zu Hause arbeitet mal kurz mit dem Kind spielen? Einer Studie zufolge tun Mütter das viel häufiger als Väter.

(Foto: Imago)
  • Beruf und Familie zu vereinbaren, wird für Millionen Deutsche zur Herausforderung, seit Mütter arbeiten gehen.
  • Ein Recht auf Homeoffice, wie es Arbeitsminister Heil (SPD) fordert, soll das Problem verkleinern.
  • Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt jedoch: Flexibles Arbeiten zementiert traditionelle Rollenbilder von Mann und Frau.

Von Alexander Hagelüken

Anna Weiler mag ihren Beruf. Die Arbeit in der Klinik beginnt um acht Uhr, die Ärztin kommt 20 Minuten vorher, um die Frühbesprechung vorzubereiten. Unbezahlt. Ihren Beruf wollte die 35-Jährige auf keinen Fall aufgeben, als sie einen Sohn bekam. Als Mutter fällt es ihr nun schwer, Kind und Klinik zu vereinbaren. "Das ist schon ein extremer organisatorischer Aufwand", sagt sie. Etwa, wenn der Junge Fieber kriegt. Dann ruft sie die Oma an oder Bekannte. "Man kommt in eine Bringschuldsituation, wenn man ständig andere um Hilfe bitten muss", sagt Anna Weiler, die in Wahrheit anders heißt.

Beruf und Familie zu vereinbaren, wird für Millionen Deutsche zur Herausforderung, seit oft beide Eltern arbeiten gehen. Homeoffice und flexibles Arbeiten gelten als Abhilfe: Wer den Weg ins Büro spart und den Tag frei einteilen kann, bringt Kinder und Karriere leichter unter einen Hut. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wiederholte am Montag die Forderung, ein Recht aufs Arbeiten zu Hause zu schaffen. Tatsächlich zeigt eine neue Studie: Homeoffice ermöglicht Müttern, sich jede Woche drei Stunden mehr um ihre Kinder zu kümmern. Sie zeigt aber auch: Flexibles Arbeiten zementiert traditionelle Rollen von Mann und Frau.

Denn Väter nutzen Homeoffice ganz anders: Sie machen im Durchschnitt einfach zwei Überstunden mehr die Woche als Kollegen, nehmen sich aber nicht mehr Zeit für die Kinder. Ähnlich das Bild, wenn Beschäftigte im Betrieb nicht stempeln müssen, sondern sich den Job frei einteilen können. Bei solcher Vertrauensarbeitszeit läuft es genauso wie beim Homeoffice: Väter machen dann vier Überstunden mehr, oft unbezahlt, ohne ihre Kinder mehr zu sehen. Mütter dagegen arbeiten nur etwas mehr, kümmern sich aber eineinhalb Stunden mehr um den Nachwuchs.

Sie sind doppelt belastet und bleiben mit dem Stress allein. "Flexibles Arbeiten, das als wichtige Hilfe bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gilt, hat Schattenseiten", urteilt die Studienautorin Yvonne Lott von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. "Frauen übernehmen nach wie vor mehr Hausarbeit und Betreuung. Paare haben zwar den Anspruch, sich das aufzuteilen. So einen Wandel gibt es aber nur vereinzelt." Ute Klammer bestätigt das aus ihrer eigenen Forschung. "Flexibles Arbeiten ist kein Selbstläufer", sagt die Direktorin des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen. "Wie es für die Familie genutzt wird, hängt von der Einstellung von Vätern und Müttern ab." Gerade männliche Führungskräfte glaubten, viele Überstunden leisten zu sollen. "Die Mütter machen bei dieser Verteilung mit. Sie halten weiter den Männern den Rücken frei."

Mütter wie Anna Weiler erleben, wie sehr diese Rollenverteilung in der Gesellschaft nach wie vor verankert ist. Bittet sie Bekannte um Hilfe, wenn der Kleine fiebert, hört sie oft: "Als verheiratete Frau musst du doch nicht arbeiten." In der Klinik dominieren männliche Oberärzte, deren Frauen ihnen zu Hause den Rücken freihalten. Dass Anna Weiler gern in der Klinik ist und beruflich vorankommen will, stößt auf Unverständnis. Ihr Chef komme öfter und sage, nett gemeint: "Sie haben doch ein Kind, was machen Sie denn noch hier?"

"Homeoffice stellt häufig ein Privileg dar"

Viele andere Mütter in Deutschland beugen sich solchen Erwartungen und gehen in Teilzeit. Auch wenn dadurch ihre berufliche Entwicklung leidet und sie finanziell von ihrem Mann abhängig werden.

Beim Homeoffice werden die unterschiedlichen Rollenbilder deutlich. Väter arbeiten viele Stunden am Stück. Mütter stückeln ihren Tag, um sich zwischendrin immer wieder mit den Kindern zu beschäftigen. Die Forschung zeigt: Der Nachwuchs spricht die Mutter an, wenn er zum Sport oder zu Freunden gefahren werden will. Und seltener den Vater, der zu Hause ist.

Im Dienst einkaufen, nach Feierabend arbeiten

Seit sich Laptop und Handy verbreiten, können Beschäftigte immer mobiler arbeiten. Im Zug, zuhause, im Urlaub, wo auch immer. Schon seit Längerem gibt es die Klage, dadurch würden die Deutschen in der Freizeit beruflich tätig sein. Jetzt zeigt sich: Das stimmt. Aber gleichzeitig nehmen sich Beschäftigte dafür oft andere Freiheiten.

Das Bonner Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) hat zusammen mit dem Netzwerk Xing mehrere tausend Bürger befragt. Das bisher unveröffentlichte Ergebnis: Nur jeder Fünfte trennt Arbeit und Freizeit durchgängig. Die Lebensbereiche verschwimmen. Zwei Drittel der Beschäftigten erledigen nach Feierabend Dinge, die mit dem Beruf zu tun haben: Fachliteratur lesen, dienstliche E-Mails beantworten. Im Durchschnitt verbringen Beschäftigte jede Woche sechs Stunden ihrer Freizeit damit. Das bestätigen etwa Gewerkschaftsvertreter, die fordern, die Arbeit nach Feierabend zu begrenzen.

Allerdings zeigt die Umfrage auch, wie sehr Beschäftigte digitale Geräte nutzen, um während der Arbeitszeit Privates zu erledigen. So geben ebenfalls zwei Drittel der Befragten an, während des Dienstes private Mails zu schreiben oder online einzukaufen. Insgesamt entfallen darauf im Schnitt vier Stunden die Woche. Jeder Zweite erledigt ebenso lang im Dienst Privates wie nach Dienstschluss Berufliches.

Man könnte dies als Versöhnung der Welten sehen. Berufstätige arbeiten heute häufiger nach Feierabend. Da klingt es legitim, im Dienst gelegentlich Privates zu erledigen. Unternehmen handhaben diese Fragen allerdings unterschiedlich. Auch rechtlich gibt es Unterschiede. Die Vermischung von Arbeit und Freizeit erschwere die Definition und Erfassung von Überstunden, sagt IZA-Direktor Hilmar Schneider, der die Umfrage am Donnerstag auf dem Kongress New Work Experience vorstellt. "Unternehmen und Beschäftigte sollten mit der neu gewonnenen Flexibilität verantwortungsvoll umgehen und Lösungen finden, von denen beide Seiten profitieren." Alexander Hagelüken

Väter, die traditionelle Muster ändern wollen, stoßen genauso auf Hürden

Wieso verstärkt das flexible Arbeiten, das doch Müttern ihre Doppelrolle erleichtern soll, traditionelle Rollen? Das könnte daran liegen, dass es in Deutschland weniger praktiziert wird als in anderen Ländern und nur bestimmten Beschäftigten gewährt wird. "Homeoffice stellt häufig ein Privileg dar", sagt Ute Klammer vom IAQ. "Wer das erhält, will etwas zurückgeben. Er will unter Beweis stellen, dass er sein Geld wert ist, und ist immer am Wochenende und im Urlaub erreichbar. Wer beruflich vorankommen will, signalisiert mit längerer Arbeitszeit, besonders engagiert zu sein." Damit Homeoffice nicht in Selbstausbeutung mündet, schlägt Yvonne Lott vor, klare Regeln auszuhandeln, auch was die Arbeitszeiten betrifft. Womöglich verändert das ja die Perspektive jener Väter, die Homeoffice als Karriereturbo sehen.

Die beiden Forscherinnen halten jedoch grundsätzlichere Änderungen für nötig, um die traditionelle Rollenverteilung aufzulockern. Die Abschaffung des Ehegattensplittings etwa, das Alleinverdiener-Ehen steuerlich begünstigt. Stattdessen ein staatlicher Lohnzuschuss, wenn beide Eltern gemeinsam vorübergehend ihre Arbeitszeit reduzieren, um sich um jüngere Kinder zu kümmern. Wichtig seien auch Vorgesetzte, die nicht nur Frauen für die Kinderbetreuung für zuständig halten, sondern auch die Väter. Und mehr Partnermonate bei der Elternzeit, die einem Paar mehr Geld versprechen, wenn auch der Vater eine längere Auszeit nimmt.

Das Elterngeld hat bereits unbestritten dazu beigetragen, Väter ihren Kindern näherzubringen. Doch auch hier zeigen sich oft traditionelle Vorstellungen, die nicht nur arbeitende Mütter wie Anna Weiler ausbremsen, sondern auch Väter, die sich um ihren Nachwuchs kümmern wollen. So wie den Techniker in einem ostdeutschen Betrieb, der Elternzeit nehmen wollte: "Da ging die Streiterei los, ob ich das überhaupt machen muss." Dabei wollte er sogar länger gehen als die üblichen zwei Monate. Zuvor war eine Kollegin ohne Diskussionen lange in Elternzeit. Aber die ist eben eine Frau.

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