Mobiles Arbeiten:Vorsicht, Home-Office!

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Ob ein Unfall im Büro oder zu Hause passiert, macht bei den Versicherungsleistungen einen Unterschied. Heimarbeiter sind schlechter gestellt. (Foto: Michal Ludwic/Mauritius Images)

Wo endet die Privatsphäre, wo beginnt das Büro? Beim Arbeiten zu Hause sind rechtlich noch viele Fragen ungeklärt - mit drastischen Folgen, wenn ein Unfall passiert.

Von Ina Reinsch

Arbeit kann ganz schön durstig machen. Das merkte auch eine Home-Office-Arbeiterin, die sich im Dachgeschoss ihres Hauses ein kleines Büro eingerichtet hatte. Am Morgen hatte sie eine Flasche Wasser mit nach oben genommen. Die Frau litt an COPD, einer chronischen Lungenerkrankung, und sollte daher viel trinken. Die Flasche war irgendwann leer und der Durst kam. Auf dem Weg in die Küche knickte sie auf der Treppe um und brach sich den linken Fuß. Doch die Unfallkasse lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab. Wasserholen sei eine private Angelegenheit. Ein jahrelanger Rechtsstreit entbrannte.

Die Frage, ob ein Unfall der beruflichen oder privaten Sphäre zuzurechnen ist, führt bei Arbeiten im Home-Office immer wieder zu großen Abgrenzungsschwierigkeiten. "Dass Berufsgenossenschaften oder Unfallkassen sich hier zunächst weigern, den Unfall zu regulieren, dürfte fast schon der Regelfall sein", sagt Rechtsanwältin Miriam Battenstein aus Düsseldorf. "Die Frage, ob die Berufsgenossenschaft einspringt oder nicht, ist aber enorm wichtig, weil die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung erheblich umfangreicher sind als die der gesetzlichen Krankenversicherungen", sagt die Juristin.

Abgrenzungsmerkmal Türschwelle

Sie umfassen neben Reha-Kosten, Physiotherapie und Versorgung mit Hilfsmitteln oftmals auch Unfallrente oder den Umbau des Arbeitsplatzes oder der Wohnung.

Normalerweise erfolgt die Unterscheidung, ob ein Mitarbeiter noch privat oder schon beruflich unterwegs ist, an der äußeren Türschwelle. "Wer auf dem Weg zur Arbeit durch die zweite Wohnungstür geht, bei einem Mehrfamilienhaus also die Haustür zur Straße, ist versichert", erklärt Ronald Richter, Rechtsanwalt und Professor für Sozialrecht in Hamburg.

Im Betrieb bei der Arbeit selbst ist der Mitarbeiter ohnehin gesetzlich unfallversichert. Und auf dem direkten Heimweg besteht ebenfalls Versicherungsschutz. "Das Arbeiten in den eigenen vier Wänden hebelt diese Grenzziehung jedoch zunehmend aus", sagt Richter.

Das zeigt zum Beispiel der Fall einer selbständigen Friseurin. Sie war über die Berufsgenossenschaft für Friseure pflichtversichert und betrieb im Erdgeschoss ihres Hauses einen Salon, im Obergeschoss wohnte sie. Waschmaschine und Trockner nutzte sie sowohl für ihre private Wäsche, als auch für die Handtücher des Geschäfts. Eines Abends wollte sie noch schnell die Geschäftswäsche aus der Maschine holen. In ihrem privaten Flur knickte sie um und brach sich das rechte Sprunggelenk.

Auch hier weigerte sich die Berufsgenossenschaft, das Unglück als Arbeitsunfall anzuerkennen. Schließlich sei das Malheur im privaten Flur passiert. "Aber ich wollte doch die berufliche Wäsche holen", entgegnete die Frau, die das nicht einsehen wollte und klagte. Vor dem Bundessozialgericht (BSG) bekam sie schließlich recht. Mehr noch, das BSG änderte seine Rechtsprechung. Bis dato war es den Richtern nämlich auf den Ort des Unfalls angekommen und die Frage, wie häufig dieser beruflich genutzt wurde. Hier: nicht so oft. Nun, sagte das Gericht, solle entscheiden, welche Handlungstendenz der Versicherte verfolge. Mit anderen Worten: Wollte er etwas Berufliches erledigen oder etwas Privates (31.8.2017, Az. B2U9/16 R)?

"Es ist natürlich schwierig, zu ergründen, was sich ein Mensch gedacht hat. Daher verlangt die Rechtsprechung zusätzlich, dass diese Handlungstendenz objektivierbar sein muss, sich also anhand der äußeren Umstände belegen lässt", sagt Stefan Müller, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Leipzig. Was das konkret bedeutet, hat das BSG im Herbst 2018 anhand zweier Fälle durchdekliniert. Im ersten ging es um eine Vertriebsmitarbeiterin. Sie arbeitete zwar prinzipiell von zu Hause, besuchte am Unfalltag jedoch eine Messe. Dort bekam sie von ihrem Chef die Ansage, sie möge bitte am Nachmittag den Geschäftsführer anrufen. Also fuhr sie nach Hause, um in ihrem Kellerbüro zu telefonieren. Doch auf der Kellertreppe rutschte sie aus und verletzte sich an der Wirbelsäule.

Für die Sozialrichter handelte es sich hier ganz klar um einen Arbeitsunfall (28.11.2018, Az. B 2 U 28/17 R). "Als sie die Kellertreppe hinunterging, wollte sie mit dem Geschäftsführer telefonieren, das war ihre Handlungstendenz", erklärt Müller. "Die ließ sich auch objektivieren, denn sie konnte belegen, dass sie von ihrem Arbeitgeber die Anweisung erhalten hatte, genau das zu tun."

Schwerer taten sich die Richter dagegen mit einem anderen Treppensturz. Hier wohnte ein Mitarbeiter im fünften Stock, in der ersten Etage befanden sich die Geschäftsräume, im Keller die Serveranlage. Auf dem Weg vom Serverraum zum Büro stürzte der Mitarbeiter nachts um 1.30 Uhr auf der Haustreppe. Auf die Frage, was er da zu so später Stunde wollte, hatte er eine gute Antwort: "Die Installation eines größeren Software-Updates überwachen." Aber ließ sich das auch belegen? Oder war der Mitarbeiter doch eher auf der Suche nach einer Flasche Wein für einen nächtlichen Schlummertrunk? Das BSG konnte die Frage nicht beantworten und verwies den Fall zur weiteren Aufklärung an die Vorinstanz zurück (28.11.2018, Az. B 2 U 8/17 R).

Beide Fälle machen deutlich, wie wichtig es ist, dass der Arbeitnehmer seinen Willen, etwas Berufliches zu tun, auch nachweisen kann. "Ich kann daher nur den dringenden Rat geben, dass jeder, der im Home-Office einen Unfall hat, sofort dokumentiert, was er gerade gemacht hat, welches Dokument er bearbeitet hat, mit wem er telefoniert hat", sagt Rechtsanwältin Battenstein. Dazu könne man Screenshots machen, Mails ausdrucken oder Anruflisten sichern. "Denn sein Recht bekommt derjenige, der es am besten beweisen kann."

Zwar ist die Rechtsprechung in den vergangenen Jahren mit Unfällen im Home-Office großzügiger geworden. Viele Rechtsfragen sind bisher jedoch noch gar nicht geklärt. Das betrifft zum Beispiel den Gang zur Toilette. "Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass bei Arbeitnehmern, die im Betrieb arbeiten, der Gang zur Toilette und zurück versichert ist, nicht aber der Aufenthalt auf der Toilette selbst", sagt Professor Richter. "Ich bin der Meinung, das müsste man auch auf das Home-Office übertragen. Bislang gibt es aber keine Entscheidung dazu."

Was ist mit dem Kita-Weg?

Knifflig und ungeklärt ist auch die Frage, ob Mitarbeiter versichert sind, die morgens ihre Kinder in die Kita bringen, dann aber zum Arbeiten nach Hause zurückkehren. Bei Mitarbeitern, die ins Büro fahren, fällt dieser Weg unter den Unfallversicherungsschutz. "Man könne vertreten, dass der Gesetzgeber den Fall des Home-Office schlicht vergessen hat und die entsprechende Norm analog anwenden. Sicher ist das aber nicht", sagt Anwalt Müller.

Sozialrechtler Richter ist dagegen der Meinung, dass dieser Weg wohl keinen Versicherungsschutz genießen dürfte. "Versichert ist der Weg zum 'Ort der Tätigkeit', und der ist zu Hause. Der direkte Weg geht also vom Küchentisch zum Home-Office." Für eine Fahrt zum Kindergarten ist da kein Platz. Sollte es bald einen Rechtsanspruch auf Home-Office geben, werden all diese Fragen noch drängender. An den Gesetzgeber richtet Richter daher einen klaren Appell: "Wer einen Rechtsanspruch auf Home-Office postuliert, muss ihn versicherungstechnisch auch ordentlich regeln."

Weniger harmlos war dagegen ein Fall aus dem Osten Deutschlands. Dort arbeitete ein Bausparkassen-Mitarbeiter von zu Hause, als es an der Wohnungstür klingelte. Zwei Männer drängten ihn ins Haus, schossen ihm in beide Knie und verließen den Tatort. Hintergrund war wohl ein Streit um eine Vereinsförderung in Millionenhöhe. Vereinsmitglieder hatten dem Mann gedroht, "mal zwei Russen vorbeizuschicken", sollte es mit der Förderung nichts werden. Der Angeschossene war für den Verein privat als Berater tätig. Das Sozialgericht Dresden sah keinen Zusammenhang zur beruflichen Tätigkeit und wies die Klage auf Anerkennung als Berufsunfall ab (8.5.2013, Az. S 5 U 293/12).

Da mutet ein Unfall beim Wasserholen fast harmlos an. Doch auch die durstige Mitarbeiterin, die sich dabei den Fuß gebrochen hatte, musste vor Gericht eine Niederlage einstecken. Das Bundessozialgericht entschied, dass der Weg zur Nahrungsaufnahme im Home-Office nicht unfallversichert sei, da es sich hier um eine typisch eigenwirtschaftliche Tätigkeit handle, die in keinem sachlichen Zusammenhang zu der versicherten Tätigkeit stünde (5.7.2016, Az. B 2 U 5/15 R).

© SZ vom 13.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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