Die Pandemie hat das Home-Office für viele zur Normalität gemacht. Ist das Fluch oder Segen? Ein Gespräch mit Sabine Pfeiffer, Professorin für Soziologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, über das Arbeitsmodell und seine Zukunft, die noch lange nicht geschrieben ist.
SZ: Frau Pfeiffer, wie gefällt das Home-Office den Deutschen nach fast zwei Jahren Pandemie?
Sabine Pfeiffer: Mittlerweile hat sich vieles entzaubert, denn die negativen Aspekte des Home-Office sind offensichtlicher geworden. Viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vermissen den Betrieb als sozialen Ort. Außerdem hat die Intensität der Arbeit stark zugenommen. Das Phänomen war schon vor der Pandemie zu beobachten, aber mittlerweile sind die digitalen Meetings so eng getaktet, dass man manchmal Schwierigkeiten hat, sich kurz die Beine zu vertreten oder das Bad aufzusuchen. Hinzu kommt, dass die eingesparte Pendelzeit häufig zur Arbeitszeit geworden ist.
Inzwischen gibt es viele Studien zum Home-Office, die allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen: Manchmal fürchten die Chefs Bummelei, manchmal sehen die Firmen eine erhöhte Produktivität. Manchmal sind die Befragten zufrieden, manchmal nicht. Was stimmt?
Dass Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, soll nicht überraschen. Erstens, weil die Wahrnehmung sich wandelt: So waren im ersten Lockdown Unternehmen und Mitarbeiter noch weniger digital ausgestattet als jetzt und die Abläufe noch nicht so routiniert, während inzwischen eine gewisse Normalität eingetreten ist. Zweitens, weil man nicht pauschal sagen kann, ob das Home-Office gut ist oder nicht, denn das hängt von der jeweiligen Konstellation ab. Viele Menschen genießen die Vorteile dieses Arbeitsmodells, andere haben eine Wohnsituation, die für eine lange Zeit zu Hause nicht angemessen ist, weil der Platz fehlt oder die Ausstattung nicht gut ist. Bei dem Thema gibt es keine Mehrheitsstimmung, sondern eher eine Polarisierung - und sie wird Führungskräfte noch lange beschäftigen.
Viele Menschen arbeiten nach wie vor in Präsenz. Diejenigen, die eine Tätigkeit von zu Hause aus ausüben können, sind in vielerlei Hinsicht privilegiert.
Das stimmt zwar nicht immer, aber dass wir die Arbeitstätigkeiten, die nicht im Büro stattfinden, oft abwertend betrachten und schlecht bezahlen, ist leider Tatsache. Und nicht erst seit der Pandemie. Selbst Unternehmen, bei denen einige Mitarbeiter im Home-Office arbeiten können und andere nicht, messen zum Teil mit zweierlei Maß - und während die einen New Workspace mit kuscheligen Sofas bekommen, sieht das Meisterbüro in der Werkstatt noch wie in den Siebzigerjahren aus. Das macht natürlich was mit den Menschen. Führungskräfte müssen diese Problematik erkennen.
Kann man sagen, dass Mitarbeiter tendenziell gerne im Home-Office arbeiten, während Führungskräfte sich mehr Präsenzarbeit wünschen?
Nicht unbedingt, auch bei den Führungskräften gibt es unterschiedliche Wahrnehmungen. Viele Chefs genießen die Vorteile des Home-Office, weil sie unter langen Pendelzeiten leiden oder Kinder haben, das ist genauso wie bei den Mitarbeitern. Aber natürlich wird das Führen schwieriger, denn zu den Aufgaben einer Führungskraft gehört auch, dass man für den Zusammenhalt im Team und das Wohlbefinden der Mitarbeiter sorgt, und das ist aus der Nähe einfacher. Es überrascht also nicht, dass viele Vorgesetzte sich eine Rückkehr zur Normalität im Betrieb wünschen.
Wird sich das Home-Office nach der Pandemie etablieren?
Ich denke, dass sich vieles wieder normalisieren wird, aber das Home-Office wird sicherlich bleiben. Die Betriebe werden Ad-hoc-Lösungen finden müssen, denn natürlich können sie dieses Arbeitsmodell nicht mehr ablehnen mit der Argumentation, dass es technisch und organisatorisch unmöglich ist. Wichtig bei den hybriden Modellen ist, dass man darauf achtet, dass Kollegen immer wieder die Möglichkeit haben, im echten Leben aufeinanderzutreffen, auch für informelle Momente. Und dass Führungskräfte lernen, dass Präsenz nicht das einzige Kriterium sein darf, um die Mitarbeiter zu bewerten. Auch Themen wie die Internetverbindung zu Hause, die technische und ergonomische Ausstattung und die Beleuchtung müssen auf dem Tisch der Vorgesetzten landen. Am Arbeitsplatz im Betrieb gelten die Regeln von Arbeitsschutz und Ergonomie, am häuslichen Arbeitstisch sieht es anders aus. Da muss sich was ändern.
Soll der Gesetzgeber also eingreifen?
Der Gesetzgeber greift an anderen Stellen ein, wenn es etwa um Arbeitsgestaltung und -sicherheit geht, warum sollte er es nicht machen, wenn die Arbeit vom Home-Office aus erledigt wird? Denn genau dort, wo sowohl die Beschäftigten als auch die Arbeitgeber das Gefühl haben, dass alles ausgehebelt ist, müsste der Gesetzgeber vielleicht genauer hinschauen. Insbesondere in jenen Branchen und Betrieben, wo es keine Betriebsräte gibt, ist eine gesetzliche Regulierung umso wichtiger. Dabei geht es nicht darum festzuschreiben, wie viel Zeit man genau im Home-Office bleiben muss und wie viel im Betrieb, denn ein gewisser Spielraum ist wichtig. Aber man sollte schon Leitplanken ziehen und nicht nur nach betrieblichen Belangen regeln, sondern auch die berechtigten Ansprüche der Beschäftigte anerkennen.
Einem Urteil des Bundessozialgerichts zufolge ist der Weg vom Bett ins Home-Office gesetzlich unfallversichert. Wie sehen Sie das?
Das kommt einem vielleicht komisch vor, ist aber ganz wichtig. Denn auch auf dem Weg vom Bad zum Arbeitstisch können Unfälle passieren, die in die Kategorie Arbeitsunfälle fallen. Das sind ja sicher ganz wenige Fälle, aber diese Einzelfälle kann es ja geben, und es gibt keinen Grund, warum die Beschäftigten benachteiligt werden sollen. Denn es macht einen großen Unterschied, ob der Unfall von der Berufsgenossenschaft finanziell unterstützt wird oder nicht.