Süddeutsche Zeitung

Hochstapler-Syndrom:"Das hab ich nicht verdient"

Viele Karrieremenschen halten die eigene Leistung nie für gut genug und können berufliche Erfolge nicht genießen. Solch ein Minderwertigkeitskomplex spornt zwar an - ist aber gefährlich.

Ulrike Folkerts ist eine Ausnahme. Als sie vor einigen Jahren einen Preis als beliebteste "Tatort"-Kommissarin erhielt, sprang die Schauspielerin auf die Bühne und sprach mit fester Stimme ins Mikrofon: "Ich finde, das habe ich verdient."

"Gut so!", möchte man ihr zurufen. Denn gesunder Stolz und Selbstbewusstsein sind gerade bei weiblichen Filmstars und Karrierefrauen dünn gesät - das Gegenteil hingegen ist gar nicht so selten: Wer krankhaft der Meinung ist, er habe den beruflichen Erfolg gar nicht verdient, leidet unter einer speziellen Form des Minderwertigkeitskomplexes. Hochstapler-Syndrom nennen es Experten, und betroffen sind vor allem Frauen.

Harte Arbeit, Leistung und Talent

Studien zufolge leidet jeder zweite Erwachsene zeitweilig unter der psychischen Störung. Da ist die international renommierte Schauspielerin, die über ihren Erfolg sagt: "Ich komme mir wie eine Betrügerin vor", da ist die Abteilungsleiterin in einem Großkonzern, die stets fürchtet, ihre männlichen Kollegen hielten sie für eine Blenderin - obwohl in beiden Fällen harte Arbeit, Leistung und Talent hinter den Karrieren stehen.

Psychologen fanden heraus, dass bestimmte Familienstrukturen das Gefühl fördern, in Wirklichkeit viel schlechter zu sein als sein Ruf. Typischerweise halten Eltern ihr Kind für intelligenter, charakterlich ausgeprägter, sportlicher und allgemein begabter als Gleichaltrige. Sie erzählen von ihrem "außergewöhnlichen" Nachwuchs - der allerdings zeigt sich dabei befremdet, weil er sich selbst ganz anders erlebt.

Im zweiten, gegenteiligen Fall unterschätzen Eltern ihr Kind und loben stattdessen etwa Bruder und Schwester im Übermaß: Das Gefühl, alles nicht so gut zu machen wie die Geschwister, frisst sich in die Kinderseele.

Dass vor allem Frauen sich für nicht gut genug halten, verdeutlichen nach Ansicht der Fachärztin Astrid Vlamynck die nach wie vor gesellschaftlich verankerten Rollenzuschreibungen: Das in den 50er Jahren geprägte Ideal vom Heimchen am Herd steht Karriere, Macht und Erfolg im Wege - wer zur sensiblen, zurücksteckenden Hausfrau erzogen wird, hat es später schwer, berufliche Erfolge zu genießen.

Souveränes, selbstsicheres und typisch männliches Auftreten

Und das passiere immer noch ziemlich oft, sagt die Psychotherapeutin Vlamynck: "Frauen werden weiterhin dazu erzogen, nicht auf ihre Leistungen stolz zu sein, sie werden demotiviert und gebremst." Unterstützt und gefördert würden Frauen oft nur, wenn sie gesellschaftlich gebraucht würden. "Das sieht man etwa an den Trümmerfrauen oder den weiblichen Ingenieuren, die es zuhauf in der DDR gab", erklärt die Expertin.

Der Begriff Hochstaplersyndrom wurde Ende der 70er Jahre von den US-Psychologinnen Pauline Clance und Suzanne Imes geprägt. Spätere, breiter angelegte Untersuchungen belegten, dass der Komplex vor allem in Berufsgruppen auftritt, in denen es um souveränes, selbstsicheres, oft typisch männliches Auftreten geht: bei Ärzten etwa, Wissenschaftlern, Managern in der Wirtschaft.

Auf der nächsten Seite: Warum Männer für das Hochstapler-Syndrom nicht so anfällig sind.

Netzwerke knüpfen

Die Wissenschaftlerin Helga Lukoschat verweist in diesem Zusammenhang auf die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen für Frauen und Männer: "Männerkarrieren sind selbstverständlicher als Frauenkarrieren." Die Zahlen geben ihr recht: Im Top-Management sind bundesweit lediglich 5,6 Prozent Frauen vertreten. In DAX-Unternehmen sind so gut wie keine Frauen im Vorstand; auch bei mittelständischen Unternehmen sind Frauen im Chefsessel deutlich unterrepräsentiert.

Lukoschat ist Geschäftsführerin des Frauen-Karrierezentrums femtec sowie Mitbegründerin der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF). Die Einrichtungen ermutigen Mädchen, technische und naturwissenschaftliche Fächer zu studieren, sie bieten Seminare für Frauen zur Karriereförderung an und helfen beim Knüpfen von Netzwerken. Wenn Erfolgsfrauen ihre Karrierewege beschrieben, falle häufiger der Satz: "Da habe ich Glück gehabt", sagt Lukoschat.

Gesunden Stolz entwickeln

Zwar will die Wissenschaftlerin daraus nicht zwingend Minderwertigkeitskomplexe ableiten - sie denkt eher an die notwendige flexiblere Karriereplanung bei Frauen, weil Familiengründung und Kinder mehr auf sie als auf den Partner zurückfallen. Der Ansatz zum Hochstapler-Gefühl aber ist durchaus gegeben, was die Fachärztin Vlamynck bestätigt: "Frauen fühlen sich fälschlicherweise als Hochstaplerinnen, ein Mann würde womöglich in der gleichen Situation sagen: 'Ne, das war ich.'"

Vlamynck zufolge kann eine Therapie die Denk- und Empfindungsmuster bei Frauen aufweichen und ändern. "Ziel muss sein, gesunden Stolz zu entwickeln; Frauen müssen lernen, Kritik, kritische Blicke und Missgunst auszuhalten." Zugleich sieht sie Männer in der Pflicht. Die nämlich müssten lernen, sozial kompetenter zu werden, fordert sie.

Wenn Männer nicht ihren Teil dazu beitragen würden, laste wieder alles nur auf den Frauen. "Der Ausgleich ist aus meiner Sicht das wichtigste: die Wertschätzung von 'männlichen' und 'weiblichen' Werten."

Fehlende Vorbilder

Auch Femtec-Geschäftsführerin Lukoschat appelliert an Männer, ihre Rollen zu überdenken und damit das Selbstbewusstsein von Frauen zu stärken. Sie hat in Studien über Doppelverdienerpaare und über Mütter in Führungspositionen festgestellt: Karrierewege von Frauen brauchen Rahmenbedingungen. "Die Rolle des Partners ist mitentscheidend: Trägt er die Karrierebemühungen der Frau mit, unterstützt er?"

Lukoschat sieht fehlende Rollenvorbilder als eines der entscheidenden Hemmnisse für Frauen: "Selbstverständlichkeit, das geht nur, wenn genug Frauen dabei sind, wenn weibliche Karrieren nicht mehr die Ausnahme sind." Letztendlich könnte das dazu beitragen, das Hochstapler-Syndrom auszumerzen: Wenn Vorbilder da sind, fällt der Glaube an sich selbst leichter - und dieses gesunde Selbstbewusstsein kann an Nachwuchskräfte weitergegeben werden, die sich mit Entschlossenheit und Risikofreude zurückhalten.

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AP/Kristina Pezzei/bön
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