Hochschulforscher im Interview:"Bologna - eine faule Ausrede"

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"Studenten sind gleichgültig und konsumfixiert": Der Soziologe Tino Bargel über den verpufften Bildungsstreik, politisches Desinteresse und die Suche nach einem neuen Rudi Dutschke.

Julia Bönisch

Der Hochschulforscher Tino Bargel beschäftigt sich seit Jahren mit den Befindlichkeiten deutscher Studenten: Der 66-Jährige leitet unter anderem die von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Studie zum "Wandel politischer Orientierungen und gesellschaftlicher Werte der Studierenden" und arbeitet an der Universität Konstanz in der AG Hochschulforschung mit. sueddeutsche.de sprach mit dem Soziologen über das politische und soziale Engagement der Studenten.

Hochschulforscher im Interview: Nichts sehen, nichts sagen: die studentische Protestkultur.

Nichts sehen, nichts sagen: die studentische Protestkultur.

(Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Noch im Juni gingen die Studenten gegen Studiengebühren, die Bologna-Reform und für eine bessere Bildung auf die Straße - heute hört man nichts mehr von diesen Forderungen. Herr Bargel, ist der Bildungsstreik wirkungslos verpufft?

Tino Bargel: Noch ist es zu früh, das zu beurteilen. Immerhin gab es Reaktionen aus der Politik, den Studenten wurde versprochen, dass man ihre Vorschläge diskutiert und ihre Anregungen aufnimmt. Jetzt müssen sie aber, auch mit Unterstützung der Schüler, weiter das Gespräch suchen und ihren Forderungen Nachdruck verleihen.

sueddeutsche.de: In der öffentlichen Wahrnehmung spielen die Studenten keine große Rolle. Fehlt ihnen ein Wortführer und Ideengeber - brauchen sie einen zweiten Rudi Dutschke?

Bargel: Nein, den brauchen die Studenten nicht. Prinzipiell sind mir weniger radikale Lösungen ohne solch einen Helden viel sympathischer. Statt einer solchen Einzelfigur bitte lieber viele kleine Helden - und vor allem Heldinnen.

sueddeutsche.de: Offenbar sind solche Helden und Heldinnen aber gerade nicht in Sicht. Sie halten die heutigen Studenten für desinteressiert und nicht engagiert.

Bargel: Ich halte sie nicht nur dafür, diese Einstellungen sind durch Studien belegt. Alle statistischen Daten belegen einen Rückzug der Studenten ins Private. Ihre Werte haben sich fundamental verschoben: Sie nehmen die gesellschaftlichen Gegebenheiten einfach hin, anstatt sie in Frage zu stellen. Ihre Angst vor Misserfolg ist größer als die Hoffnung auf Erfolg, statt Idealisten sehen wir viel mehr Utilitaristen, die einfach nur beliebig konsumieren.

sueddeutsche.de: Das geringe gesellschaftliche Engagement der Studenten wurde auch schon in den neunziger Jahren beklagt - so neu ist das doch alles nicht, oder?

Bargel: Damals ging es mehr um den Pragmatismus der Studenten - und wer pragmatisch ist, weiß trotzdem sehr genau, was er will und wie er es am geschicktesten erreichen kann. Heute dagegen ist die Gleichgültigkeit und Beliebigkeit viel größer. Die Studenten haben keine eigene Meinung mehr, sind nicht begeisterungsfähig, setzen sich nicht mehr mit den verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Konzepten auseinander. Und was noch schlimmer ist: Sie sind in ihren demokratischen Überzeugungen alles andere als gefestigt. Sie nehmen etwa rechtes Gedankengut einfach so hin.

sueddeutsche.de: Sie zeichnen kein sehr schmeichelhaftes Bild der Studenten.

Bargel: Erst gab es die skeptische, dann die rebellische Generation, danach kam die Generation Golf und heute werden die Studenten als Generation Doof etikettiert. Das ist zwar plakativ, aber es ist was dran.

sueddeutsche.de: Trauern Sie der guten alten Zeit hinterher?

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