Süddeutsche Zeitung

Hochbegabung und Genie:Abi mit 15, Master mit 16

Ihr IQ liegt über 130, sie machen schon als Teenager Blitzkarrieren an der Uni - und sind überall isolierte Außenseiter: Welche Chancen und Probleme hochbegabte Jugendliche haben.

Johannes Boie

Um die Jugendliche Ann-Christin Wendeln aus der Nähe von Cloppenburg musste sich jahrelang das Jugendamt kümmern. Dabei ist Wendeln kein kriminelles Problemkind, sondern eher das Gegenteil: Gerade erst hat sie ihr Abitur gemacht, Notenschnitt 1,0. Wendeln ist 15 Jahre alt und hochbegabt, sie zählt zu den Kindern, die sich im normalen Unterricht sehr schnell langweilen, weil sie sich oft unterfordert fühlen.

"Es war so", erzählt die Jugendliche gelassen, "dass mir seelischer Schaden gedroht hätte." Deshalb kam sie auf Kosten des Amtes aufs Elite-Internat Schloss Torgelow, eine Schule in Mecklenburg-Vorpommern, die etwa 30.000 Euro im Jahr kostet. Torgelow ist für seine PR-Strategie berühmt: Erfolgreiche Schüler machen die Schule immer bekannter. Seit letzter Woche zählt auch Ann-Christin Wendeln zu den Vorzeigeabsolventen. Sie wolle jetzt Biomedizin in Göttingen studieren, erzählt sie.

Keine Zeit für Telefonate

Die 15-Jährige reiht sich ein in die Riege hochbegabter Jungstudenten, deren Leistungen Schlagzeilen machen. Neuester Zugang in diesem elitären Kreis ist Maximilian Baritz aus Ortenberg in Baden-Württemberg. Mit fünf wurde er eingeschult, mit acht ging er aufs Gymnasium. Nun will Baritz als 15-Jähriger Informatik studieren, nebenher lernt er Chinesisch. Als Saxophonist hat er den ersten Bundespreis von "Jugend musiziert" gewonnen. Baritz ist einer von vielen bekannten Hochbegabten. Ihr Anteil in der Bevölkerung ist zwar nicht gestiegen. Aber die Förderung ist professioneller geworden, die Hemmschwelle, sich hochbegabt nennen zu lassen, gesunken.

Obwohl sich die Überflieger inzwischen auch an die Öffentlichkeit wagen, ist es nicht immer leicht, mit ihnen in Kontakt zu treten. Minu Tizabi etwa hat für Telefongespräche keine Zeit. Die Medizinstudentin im vierten Semester sitzt Tag und Nacht in der Uni-Bibliothek und lernt aufs Physikum. Minu Tizabi ist 16 Jahre alt. Um die Pressearbeit kümmert sich ihr Vater Djamshid Tizabi. Er lässt ausrichten, dass es ihr gutgehe an der Uni Heidelberg. Sie habe viel zu lernen und Freunde gefunden. Der Papa, ein gebürtiger Iraner, der in Karlsruhe Quantenelektronik studierte, hält engen Kontakt: Mehrmals die Woche fährt er von seinem Wohnort bei Pforzheim zu Besuch nach Heidelberg.

Strebsam und ehrgeizig

Seine Zeit als Student an der Uni hat Lennart Jansen, 21, schon hinter sich. "Allerdings habe ich im ersten Semester keinen Schein geschafft", erinnert sich der Diplom-Mathematiker. Er besuchte damals noch die elfte Klasse im Gymnasium. "Da fehlten mir einfach alle Grundlagen." Jansen gab nicht auf. Im zweiten Semester erhielt er einen, im dritten Semester vier Scheine. "Ich merkte, dass man die Dinge nur richtig strukturieren muss." Im vierten Semester holte er sich sechs Scheine ab, mehr als jeder Durchschnittsstudent schaffen würde. Gleichzeitig schrieb Jansen sein Vordiplom und machte Abitur, Notenschnitt 1,4. "Religion und Musik haben mir das versaut", sagt der Rheinländer und lacht.

Anfang des Jahres schloss Jansen auch sein Studium ab, mit einer Diplomarbeit zum Thema "Effektive nummerische Simulation von elektrischen Schaltungen im Bezug auf Parameterschwankungen". Das klinge komplizierter als nötig, sagt Jansen, der genau weiß, dass er in diesem Moment wie ein äußerst strebsamer und übermäßig ehrgeiziger Jugendlicher wirkt. Doch wer ihn so wahrnimmt, tut ihm unrecht. Derzeit kümmert er sich als Zivildienstleister um alte Menschen. Seit drei Jahren hat er eine Freundin: "Die ist drei Jahre älter als ich und studiert Betriebswirtschaftslehre."

Auf der nächsten Seite: Welche Programme für Überflieger existieren und auf was die Genies für ihre Blitzkarrieren verzichten müssten.

Programme für Überflieger

Lennart Jansen hat seine Chance genutzt. Die Uni Köln, wo der Hochbegabte sein Diplom schrieb, fördert hochbegabte Studenten wie ihn. Der Weg an die Universitäten wird vom Staat bewusst erleichtert; an mehr als der Hälfte der deutschen Unis existieren mittlerweile Programme für Überflieger. Wobei sich viele Eltern und Pädagogen inzwischen fragen, wie früh man Kinder von der eigenen Altersgruppe absondern kann. Eliteförderung um jeden Preis - dieses Denken provoziert auch Kritik. Fördere man diese Jugendlichen aber nicht rechtzeitig, werde sich das "Potential zur Höchstleistung" nicht entfalten, heißt es in einer Studie des Bundesministeriums für Bildung. "Früher war die Förderung nur in der Hand von Stiftungen, mittlerweile hat die Politik das Thema entdeckt", sagt Ulrich Halbritter, der als Projektleiter der Uni Köln auch Jansen betreut.

Als Indikator für Hochbegabung gilt hierzulande ein Intelligenzquotient von über 130. Notwendig für dauerhaften Erfolg sind weitere Merkmale: "Leistungsstärke, Arbeitsmotivation, aber auch eine spezielle analytische Intelligenz im angestrebten Fachgebiet", sagt Halbritter.

Respektierte Außenseiter

Für Lennart, Maximilian und Minu bedeutet ihre Blitzkarriere neben dem Erfolg auch den Verzicht auf vieles, was Jugend ausmacht. Die Hochbegabten leben immer auch das Leben von respektierten Außenseitern. Auf Studentenparties darf Ann-Christin Wendeln keinen Alkohol trinken, und während Minu von ihrem Vater umsorgt wird, kümmern sich ihre älteren Kommilitonen um eigene Kinder oder die Familienplanung. Trotzdem wird das Bild der arbeitsintensiven, aber glücklichen Jugend von allen hochbegabten Jugendlichen beschworen. "Verpasst habe ich nichts", sagt Wendeln, vielleicht auch ein bisschen zu sich selber.

Die Hochbegabten seien im Beruf "nicht auffallend erfolgreicher als andere, durchschnittlich begabte Erwachsene, die aus vergleichbaren Verhältnissen kommen", heißt es in der Studie des Ministeriums. Diese These wird durch die Pläne vieler Überflieger bestätigt. Minu Tizabi etwa will nach Studium und Promotion sofort in der Forschung arbeiten. Die 16-Jährige wird während ihrer Karriere nicht lebenslang die Jüngste sein.

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Quelle:
SZ vom 4.7.2009/bön
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