Süddeutsche Zeitung

Hilfskräfte in Deutschland:Sie machen den Job

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Hunderttausende Frauen aus Osteuropa pflegen in Deutschland alte Menschen - meist ohne anständigen Vertrag. Wie sich das ändern lässt.

Von Miriam Hoffmeyer

Das Ehepaar im Erdgeschoss hält Mittagsruhe, die Pause von Tatiana Krzyzanowska hat begonnen. Nachts muss sie damit rechnen, geweckt zu werden. Und ein Wochenende gibt es für sie sowieso nicht. Aber zwischen 13 und 17 Uhr hat sie Zeit, um spazieren zu gehen oder in die Stadt zu radeln. Oder sie bleibt in ihrem Zimmer im Obergeschoss des Sechzigerjahre-Siedlungshauses in Erlangen-Tennenlohe, sieht fern oder lernt Deutsch. Für die polnische Haushaltshilfe wurden ein Jugendbett, eine alte Couch und ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen auf dem wild gemusterten Teppich platziert, im Einbauregal steht ein Flachbildschirm. Internet oder Satellitenfernsehen gibt es nicht. Über eine Rasenfläche blickt man durchs Fenster direkt auf die A3.

Noch fühlt sich Krzyzanowska sehr fremd, sie ist erst seit drei Wochen in diesem Haushalt. "Ich habe das Gefühl, ich störe." Aber es sei für alte Menschen eben schwer, sich an eine neue Mitbewohnerin zu gewöhnen. Sie hofft, dass das Paar früher oder später Vertrauen zu ihr fasst. "Ich bin immer geduldig", sagt sie, "hier im Zimmer kann ich mal traurig sein oder wütend. Draußen lächle ich." Morgens um halb sieben steht sie auf, macht Frühstück, räumt auf, putzt. Auch für Mittagessen und Abendbrot ist sie zuständig. Wenn es der über 80-jährigen herzkranken Frau nicht gut geht, hilft sie beim Ausziehen. Auch nachts wird sie manchmal gerufen. "Dann tröste ich und sage: Tief atmen!"

Tatiana Krzyzanowska ist selbst schon 62, wirkt aber jünger mit dem dunklen Pferdeschwanz und der zierlichen Figur. Früher war sie Chemielaborantin in Stettin, mit Mitte 50 ging sie in den Vorruhestand. Doch dann reichte die kleine Rente nicht, um die Schulden ihres Ex-Mannes abzuzahlen. Tatiana Krzyzanowska beschloss, wie so viele andere Polinnen, als 24-Stunden-Hilfe in Deutschland zu arbeiten. "Ich hatte keine Wahl", sagt sie. "Und ich mag alte Menschen. Ich bin so erzogen, Respekt vor ihnen zu haben."

Nach unterschiedlichen Schätzungen sind in 100 000 bis 200 000 deutschen Senioren-Haushalten 24-Stunden-Hilfen aus Osteuropa beschäftigt. Meist müssen sie nicht nur kochen und putzen, sondern auch pflegen. Nach einer Befragung des Deutschen Instituts für Angewandte Pflegeforschung (dip) wird in mehr als drei Vierteln der Haushalte Hilfe beim Waschen und Duschen benötigt. Jede dritte betreute Person leidet unter Demenz, fast 30 Prozent können nicht alleine stehen und gehen und müssen wegen der Sturzgefahr fast permanent beaufsichtigt werden.

Auch Tatiana Krzyzanowska hat schon intensiv gepflegt. Zweieinhalb Jahre lang versorgte sie eine bettlägerige Erlangerin in deren Haus, fütterte sie, wechselte ihre Windeln und war auch Ansprechpartnerin für die Hausärztin. Einmal im Jahr nahm sie ein paar Tage Urlaub. Im August ist die alte Dame, die sie sehr mochte, gestorben.

"Frau Krzyzanowska war das größte Glück für meine Mutter", sagt deren Tochter Stefanie Walther, die engen Kontakt zu ihrer früheren Helferin hält. Für Krzyzanowska sind die Walthers ein Familienersatz in Deutschland geworden. Eine so enge Verbindung entsteht nicht oft, die meisten Osteuropäerinnen arbeiten nur ein bis drei Monate in deutschen Familien und pausieren dann für denselben Zeitraum. "Das ist sozusagen Pflegemontage", sagt Professor Michael Isfort vom dip. Weil immer mehr Kinder von Pflegebedürftigen in Vollzeit arbeiten oder weit weg wohnen, werde die Nachfrage nach den 24-Stunden-Hilfen weiter steigen. Viele Senioren sehen dies als einzige Chance, den Umzug in ein Pflegeheim zu vermeiden.

Der Bundesverband Haushaltshilfe und Seniorenbetreuung (BHSB) nimmt an, dass bis zu 90 Prozent der osteuropäischen Helferinnen schwarz in deutschen Haushalten arbeiten. Ein relativ einfacher Weg, die Hilfe legal zu beschäftigen, ist das sogenannte Agenturmodell. Dabei arbeiten private Vermittler in Deutschland mit polnischen Unternehmen zusammen, bei denen die Frauen fest angestellt sind.

Tatiana Krzyzanowska, die über die Agentur "Pflegehelden" ihre beiden Stellen in Erlangen gefunden hat, ist in Polen sozialversichert. Die Kosten betragen bei dem Agenturmodell etwa 2000 Euro pro Monat, davon erhalten die Frauen nur ungefähr die Hälfte. Davor, eine Hilfe selbst regulär einzustellen, scheuen viele Familien zurück - nicht nur wegen des bürokratischen Aufwands, sondern auch, weil sie sich dann selbst um eine Vertretung kümmern müssen, wenn die Arbeitnehmerin krank wird oder in Urlaub fährt.

Der Verband für häusliche Betreuung und Pflege sowie der Bundesverband Haushaltshilfe und Seniorenbetreuung haben Qualitätskriterien für Agenturen entwickelt. Sie nehmen laut Isfort "nur Mitglieder auf, die nicht ständig den Staatsanwalt auf der Matte stehen haben". Doch gibt es auch viele dubiose Vermittler, sowohl in Deutschland als auch in Osteuropa. "Ich habe schon Verträge gesehen, die vor einem deutschen Gericht keine zehn Sekunden standhalten", sagt Professor Isfort. So müssten Frauen unterschreiben, dass ihr Lohn rückgebucht werde, wenn man nicht zufrieden sei.

Rund-um-die-Uhr-Einsätze ohne freie Tage sind auch in Osteuropa nicht erlaubt

Verträge, die ohne Agenturen zustande kommen, sind mindestens ebenso häufig irregulär und ausbeuterisch. Arbeitszeiten werden oftmals nicht festgeschrieben. Rund-um-die-Uhr-Einsätze ohne freie Tage sind auch in Osteuropa nicht erlaubt. Doch werden die Arbeitsbedingungen in Privathaushalten faktisch nicht kontrolliert. Die Gewerkschaft Verdi fordert deshalb mehr Beratungsangebote für die Frauen in Deutschland und in den Herkunftsländern, damit sie sich gegen unfaire Arbeitsbedingungen wehren können.

Tatiana Krzyzanowskas Ansprüche sind bescheiden. Ihr größter Wunsch ist es, Weihnachten zum ersten Mal seit drei Jahren mit ihren Geschwistern in Polen feiern zu können. Doch sicher ist das noch nicht: Die Agentur muss erst eine Vertretung für sie finden.

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Quelle:
SZ vom 10.10.2015
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