Ausbildung zum Piloten: "Was wir nicht brauchen, sind Helden oder Draufgänger"

Rettungshubschrauber der DRF Luftrettung, 2011

Mit dem Hubschrauber der DRF Luftrettung sind die Helfer rasch beim Patienten und die wiederum schnell in einer Klinik.

(Foto: Robert Haas)

Die Rettungsflieger haben ein Nachwuchsproblem. Die Bundeswehr hat als Flugschule ausgedient. Betreiber von Luftrettungsstationen müssen sich etwas einfallen lassen.

Von Marco Völklein

Versteht er sich eher als Retter oder als Flieger? Christian Hackl überlegt kurz und sagt: "Meine Aufgabe ist es in erster Linie, die Besatzung und den Patienten sicher zu transportieren." Aber natürlich, schiebt der 40-Jährige dann gleich nach, "ist es schon extrem erfüllend, dass man hier einer sinnstiftenden Tätigkeit nachgeht". Wenn beispielsweise einem Kind nach einem Unfall in der Klinik geholfen wurde oder ein Mann mit Atemstillstand erfolgreich wiederbelebt werden konnte, dann sei das "ein extrem gutes Gefühl". Das aber stets im Team erarbeitet werde: Ohne Pilot kämen Notarzt und Notfallsanitäter nicht so rasch zum Patienten, sagt Hackl. "Und ohne die medizinische Crew in der Maschine könnte auch der beste Pilot nichts ausrichten."

Seit mehr als zehn Jahren fliegt Hackl nun schon einen Rettungshubschrauber bei der DRF Luftrettung in Regensburg. Davor war er zwölf Jahre bei der Bundeswehr, hat dort das Einmaleins der Hubschrauberfliegerei gelernt. Wie Hackl ging es vielen seiner Kollegen: Aus dem Kräftereservoir von Bundeswehr und Bundespolizei rekrutierten die gemeinnützige ADAC Luftrettung und die ebenfalls als gemeinnützig anerkannte DRF Luftrettung bisher die meisten ihrer Nachwuchspiloten. Doch mittlerweile stehen die beiden wichtigsten Betreiber von Luftrettungsstationen in Deutschland vor einer großen Herausforderung: Weil die Bundeswehr immer weniger Piloten ausbildet, stehen der zivilen Fliegerei ebenfalls weniger Nachwuchskräfte zur Verfügung.

Die "Fahrschule der Nation" bildet weniger Piloten aus

Andere Branchen kennen das Problem schon länger: Auch bei den Bus- und Lkw-Fahrern tun sich große Lücken auf, weil die Bundeswehr mit dem Aussetzen der Wehrpflicht ihre Funktion als "Fahrschule der Nation" verloren hat. Früher beendeten jedes Jahr Zehntausende Rekruten ihre Zeit beim "Bund" mit einem Lkw- oder Busführerschein in der Tasche - und standen dann dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Doch mittlerweile schätzen Branchenkenner, dass allein im Speditionsgewerbe etwa 40 000 Lkw-Fahrer fehlen.

In der zivilen Rettungsfliegerei fallen die Dimensionen zwar deutlich geringer aus, dennoch sieht Frédéric Bruder, Geschäftsführer der ADAC Luftrettung, gewisse Parallelen. Inzwischen versuche die Bundeswehr, ihre Piloten länger im Dienst zu halten als früher, sagt Bruder, teils sogar bis zur Pensionierung. "Daher kommen weniger Leute raus." Und wer die Bundeswehr dennoch vorher verlasse, der habe weniger Flugstunden absolviert als noch vor einigen Jahren. Waren die Bundeswehr-Piloten noch vor zehn Jahren etwa 200 bis 250 Stunden pro Jahr in der Luft, habe sich der Wert mittlerweile auf 80 bis 100 Stunden pro Jahr verringert. Entsprechend weniger Erfahrung brächten Bewerber mit, wenn sie bei der ADAC Luftrettung vorstellig würden.

Luftretter

37 700 Einsätze absolvierten die Rettungshubschrauber der DRF Luftrettung im Jahr 2018. Der zweitgrößte Betreiber von Luftrettungsstationen beschäftigt 180 Piloten, darunter zwei Frauen. Beim ADAC als größtem Anbieter sind 160 Piloten tätig (darunter ebenfalls zwei Frauen). Sie flogen 2018 etwas mehr als 54 000 Einsätze. Daneben betreiben die Bundespolizei und die Johanniter-Unfallhilfe noch Luftrettungsstationen.

Das aber ist ein Problem: Denn beim ADAC zum Beispiel müssen die Piloten nach Angaben von Bruder mindestens 1000 Flugstunden abgeleistet haben, um als Kapitän alleine einen Helikopter zu fliegen. Mindestens die Hälfte dieser Stunden müssen die Bewerber zudem im Rettungsfliegereinsatz oder einer ähnlich herausfordernden Tätigkeit absolviert haben.

Und tatsächlich ist die Rettungsfliegerei alles andere als einfach, sagt auch Pilot Christian Hackl in Regensburg. Mit seiner Maschine vom Typ H145 muss er auch auf engstem Raum landen, etwa auf einer engen Kreuzung mitten in einer Großstadt oder auf einem Sportplatz am Rande eines Waldgebiets. Rettungshelikopter in den Alpen oder an den Küsten sind mit Rettungswinden ausgestattet, um Helfer in verwinkelten Tälern absetzen oder Unfallopfer aus dem Wasser aufnehmen zu können. Zuletzt waren die Luftretter zum Beispiel während der extremen Schneefälle in den Alpen im Dauereinsatz: Konnten Hilfskräfte eine Unglücksstelle zu Fuß oder mit dem Auto nicht erreichen, waren die Retter aus der Luft oft die letzte Hoffnung.

Piloten im Einsatz wissen nie, was sie erwartet

Dieses umfassende Einsatzspektrum stellt ganz besondere Anforderungen an die Piloten. "Was wir nicht brauchen, sind Helden oder Draufgänger", sagt ADAC-Manager Bruder. "Wir sind vor allem an risikoaversen Leuten interessiert." Die Verantwortung für die Sicherheit von Patient und Besatzung stehe an oberster Stelle.

Wo aber sollen Nachwuchs-Piloten solcherlei Erfahrungen sammeln, wenn die Bundeswehr als Fliegerschule mehr und mehr ausfällt? Die DRF Luftrettung zum Beispiel versucht seit einigen Jahren, Nachwuchskräfte als Co-Piloten bei Nachtflügen nach und nach an die Besonderheiten der Rettungsfliegerei heranzuführen. Seit drei Jahrzehnten heben einige der DRF-Hubschrauber auch nachts zu Einsätzen ab, vor zehn Jahren begann die DRF Luftrettung damit, einige ihrer Helikopter mit speziellen Nachtsichtgeräten auszustatten, um die Sicherheit zu erhöhen. Mittlerweile werden gut ein Dutzend der bundesweit rund 80 Rettungs- und Intensivtransporthubschrauber im 24-Stunden-Betrieb geflogen.

Bei solchen Nachtflügen sitzt - anders als am Tag - nicht nur ein Pilot in der Kanzel, vielmehr wird er von einem zweiten Piloten unterstützt. "Und auf dem Co-Piloten-Sitz bieten wir engagierten Nachwuchskräften die Möglichkeit, Erfahrungen in der Rettungsfliegerei zu sammeln", sagt Jérôme Gehri, Leiter Flugbetrieb bei der DRF Luftrettung. So können die weniger erfahrenen Kollegen nach und nach auf die für den Kapitänseinsatz nötige Mindeststundenzahl kommen. Ähnlich läuft es auch bei der ADAC Luftrettung.

ADAC-Manager Bruder rechnet damit, dass sich in Zukunft der Mangel an Nachwuchskräften bei den Rettungshubschrauberpiloten noch verschärfen könnte - unter anderem, weil die europäische Luftfahrtaufsicht die maximale Dienstzeit pro Tag weiter reduzieren oder Beschränkungen etwa für ältere Piloten erlassen könnte. Außerdem könnten bald noch mehr Helikopter im Rund-um-die-Uhr-Einsatz sein, allein schon deshalb, weil die Versorgung mit bodengebundenen Notärzten im ländlichen Raum immer schwieriger wird, sagt DRF-Mann Gehri. Auf 100 bis 200 zusätzliche Piloten beziffert Bruder daher allein den Bedarf der ADAC Luftrettung in den nächsten fünf bis zehn Jahren.

Allein die Grundausbildung kostet einen sechsstelligen Betrag

Beim ADAC gibt es daher bereits erste Überlegungen, eine eigene Flugschule ins Leben zu rufen. Noch allerdings sind viele Fragen offen, etwa die, wer für die Kosten der Ausbildung aufkommen wird. Allein die Grundausbildung kostet einen sechsstelligen Betrag. Denkbar wäre hier, dass der ADAC dem angehenden Piloten ein Darlehen vorstreckt, das dieser dann nach bestandener Prüfung abstottert, so wie es auch bei Piloten in der Verkehrsfliegerei üblich ist. Zudem müssten Partnerfirmen gefunden werden, die beispielsweise Bohrinseln anfliegen oder Pipelines aus der Luft überwachen - bei diesen könnten die Jungpiloten dann zunächst mal genügend Flugstunden sammeln und sich Routine aneignen, bevor sie als Co-Pilot auf die speziellen Anforderungen in der Rettungsfliegerei getrimmt werden.

Womöglich müssen die Anbieter auch bei den Gehältern nachbessern: Zwischen 4500 und 6000 Euro monatlich verdient ein Pilot laut Bruder bei der ADAC Luftrettung; die DRF wollte keine konkreten Zahlen nennen.

Helikopterpilot Hackl jedenfalls kann sich nach eigener Aussage keinen besseren Job vorstellen. Mit dem Helikoptertyp H145 stehe ihm "das absolut neueste Material" zur Verfügung, bei der Bundeswehr musste er zum Teil noch mit Maschinen vom Typ Bell UH-1D abheben - die kennt man unter anderem aus Filmen über den Vietnam-Krieg. Wichtig sei auch die enge Zusammenarbeit im Team mit Notarzt und Notfallsanitäter, der zudem noch eine Zusatzausbildung hat, um den Piloten unter anderem beim Navigieren und Funken zu unterstützen. Vor allem aber liebt Hackl die Abwechslung in seinem Beruf. "Sobald der Alarm geht und du in den nächsten Einsatz startest", erklärt er, "kannst du nicht sagen, was dich da erwartet."

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