Gute Chancen für Deutsche:Brüssel braucht Bewerber

Die Europäische Union vergibt Jobs jetzt nach einem neuen Auswahlverfahren. Gesucht werden sprachkundige Generalisten - auch deutsche Bewerber haben jetzt wieder gute Chancen.

Oliver Bilger

Ruth Seitz kennt die Vorurteile. Seit zwei Jahren arbeitet die junge Frau aus dem schwäbischen Günzburg bei der EU-Kommission in Brüssel. Zu den gängigsten Ressentiments zählt: Die Europäische Union sei ein aufgeblähter Beamtenapparat. Für Ruth Seitz ist die EU ein sicherer Arbeitgeber, sie mag das internationale Umfeld mit Kollegen aus 27 Mitgliedsstaaten, die Möglichkeit, in vielen unterschiedlichen Bereichen tätig zu sein und Politik zu gestalten. "Man kann mit seiner Arbeit Positives für die Bürger in Europa bewirken", sagt sie.

Aus Brügge nach Brüssel

Die 31-Jährige arbeitet in der Generaldirektion Bildung und Kultur. Dort ist sie als Policy Officer, vergleichbar mit einem Referenten im höheren Dienst in einem deutschen Ministerium, am Aufbau des neuen Europäischen Innovations- und Technologieinstituts beteiligt.Davor studierte sie Politik, Amerikanistik und Kommunikationswissenschaft in München. Mit dem Magister in der Tasche ging sie nach Brügge, um noch einen Master in Politik und Verwaltung zu machen.

Vom Europa-Kolleg in Brügge ist der Weg nach Brüssel - buchstäblich - kurz und die Joboptionen oft besser als im Heimatland. Die Hälfte ihres Uni-Jahrgangs habe heute eine Stelle in der belgischen Hauptstadt, sagt Ruth Seitz. Sie selbst sei zur EU aber "wie die Jungfrau zum Kind" gekommen. "Ich habe nicht zu denen gehört, die gleich nach dem Abi wussten, was sie machen wollen", sagt sie. "Für eine EU-Karriere gab es keinen Masterplan." Sie habe sich allerdings schon früh für Politik interessiert und sich schon immer leicht getan mit Fremdsprachen. Englisch und Französisch, die wichtigsten Sprachen im europäischen Politikbetrieb, beherrscht die junge Beamtin fließend. Dazu spricht sie Spanisch, Italienisch und Niederländisch.

Geschätzte Generalisten

Generalisten wie Ruth Seitz sind gerne gesehen bei den Institutionen der EU. Das gilt besonders für die nächste Bewerbungsrunde, die vergangene Woche mit einer Online-Registrierung begonnen hat. Die Anmeldung ist noch bis Mitte April möglich. Gesucht werden Beamte für die allgemeine Verwaltung. Wichtige Voraussetzung: ein Hochschulabschluss.

Erstmals seit fünf Jahren dürfen sich auch wieder deutsche Bewerber dem Concours, so wird das Auswahlverfahren genannt, stellen. Zuletzt wurden hier Bewerber aus den neuen Mitgliedsstaaten bevorzugt. In den kommenden Wochen rechnet die EU mit bis zu 50.000 Bewerbern aus den 27 europäischen Staaten, die von einer Karriere in Brüssel träumen.

Kein "Trivial Pursuit" mehr

Sie alle werden ein komplett erneuertes Auswahlverfahren durchlaufen - das System hat gerade die erste große Reform seit Jahrzehnten erlebt. Bisher sei das Verfahren viel zu lang gewesen, sagt Nikola Gillhoff, Beamtin beim Europäischen Amt für Personalauswahl (EPSO), sie war an der Umsetzung der Reform beteiligt. Bis zu zweieinhalb Jahre konnte sich die Auswahlphase damals hinziehen. Künftig soll die Bewerbung nach fünf oder höchstens neun Monaten abgeschlossen sein. "Auf einem zunehmend kompetitiven Arbeitsmarkt müssen die EU-Organe für hochqualifizierte Bewerber der verschiedensten Fachrichtungen attraktiv sein", erklärt Maros Sefcovic, EU-Kommissar für interinstitutionelle Beziehungen und Verwaltung. "Dies gelingt uns aber nur dann, wenn wir ihnen rasch einen interessanten Posten in Aussicht stellen."

Ein weiterer Vorteil des neuen Systems soll künftig das jährliche Auswahlverfahren für die gängigsten Stellenprofile sein. Anwärter können damit ihre Bewerbung besser planen, während die EU-Institutionen wie Kommission, Rat oder Parlament ihren Personalbedarf vorausschauender gestalten können. Im Laufe des Jahres folgen in eigenen Auswahlrunden außerdem die Ausschreibungen für Dolmetscher, Übersetzer, Assistenten, etwa für die Sekretariate, und der Concours für spezifische Jobprofile, beispielsweise in der wissenschaftlichen Forschung.

"Trivial Pursuit" beim Einstellungstest

Das Auswahlprozedere ist zweistufig. In einem ersten Schritt werden bei einem computergestützten Test Sprachkenntnisse, Zahlenverständnis und logisches Denken abgefragt. Wissensfragen über die Europäische Union, bislang übliches und teils gefürchtetes Auswahlinstrument, werden nicht mehr gestellt. Kritiker verspotteten den Wissenstest als "Trivial Pursuit". Auch Nikola Gillhoff sagt, niemand müsse wissen, wie der erste Grünen-Abgeordnete im Europäischen Parlament hieß, um bei der EU zu arbeiten zu können.

Mit Glück auf die Reserveliste

Die tausend besten Bewerber erhalten nach der ersten Runde eine Einladung nach Brüssel. Auf der Auswahltagung werden sie auf ihre Kompetenzen getestet; in den Bereichen Analysieren und Problemlösen, Kommunizieren, Organisieren sowie Belastbarkeit und Teamfähigkeit. Schließlich landen 330 erfolgreiche Kandidaten Ende Dezember auf der "Reserveliste". Von dort können sich die Beamten-Anwärter dann auf konkrete Stellen bewerben. Oder die Institutionen greifen darauf zurück, wenn eine Stelle zu besetzen ist.

"Wir suchen motivierte und hochtalentierte Deutsche, die bereit sind, sich für Europa zu engagieren", sagt EPSO-Leiter Nicholas Bearfield. Für spezielle Ausschreibungen konnten sich Kandidaten aus Deutschland auch in den vergangenen Jahren bewerben. Ihre Zahl lag zwischen 2005 und 2008 jedoch nur bei knapp fünf Prozent im europaweiten Vergleich. Interessierten spricht Bearfield Mut zu: "Das Auswahlverfahren ist nicht einfach, aber es lohnt sich."

"Das weiß man schon vorher"

Doch wie stark ist denn nun der EU-Alltag von Bürokratie geprägt? "Wie jede große Verwaltung sind wir manchmal etwas bürokratisch", gibt Ruth Seitz zu, "aber das weiß man doch schon vor der Bewerbung."

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