Gut arbeiten:Schmerz, bleib weg

Ob Kopf-, Rücken oder Magenweh: Wenn Mitarbeiter krank werden, ist oft auch der Arbeitgeber schuld. Weil das Berufsleben immer stressiger wird, steigen die psychosomatischen Beschwerden. Noch wird viel zu wenig dagegen getan.

Nicola Holzapfel

Wenn Juliane Stolz ihre Schreibtischschublade aufzieht, sieht sie als Erstes eine Packung Kopfschmerztabletten. Die braucht sie oft - manchmal mehrere am Tag und das manchmal mehrere Tage hintereinander. Schuld, so glaubt sie, sind die ewige Bildschirmarbeit und der Dauerstress im Job. Deren Auswirkungen will sie sich nicht anmerken lassen - darum nimmt sie lieber Tabletten statt mal einen Tag zu Hause zu bleiben und darum will die PR-Beraterin ihren echten Namen auch nicht erwähnt wissen. Wie ihr geht es vielen Beschäftigten: Sie arbeiten unter Schmerzen. Den meisten tun Rücken, Nacken und Kopf weh. Auch Augenschmerzen sind weit verbreitet. Nur zwölf Prozent arbeiten beschwerdefrei.

Gut arbeiten: Yoga fürs Büro oder Rückenschule: Der Ratgeber-Markt für Bürogeschädigte boomt - dabei brauche man die Übungen gar nicht, wenn der Arbeitsplatz gut eingerichtet ist und man sich richtig verhält, sagt Armin Windel. Doch wer zur Rückenschule greift, hat wahrscheinlich schon Beschwerden ...

Yoga fürs Büro oder Rückenschule: Der Ratgeber-Markt für Bürogeschädigte boomt - dabei brauche man die Übungen gar nicht, wenn der Arbeitsplatz gut eingerichtet ist und man sich richtig verhält, sagt Armin Windel. Doch wer zur Rückenschule greift, hat wahrscheinlich schon Beschwerden ...

(Foto: Foto: iStockphoto)

Das müsste nicht sein. Wer seinen Arbeitsplatz richtig einrichtet und auf sein Verhalten achtet, kommt zumindest um die typischen Leiden eines PC-Arbeiters herum. Zur Grundausstattung gehört ein Tisch, der auf die Körperhöhe einstellbar ist. "Das Beste ist, wenn man sowohl im Stehen als auch im Sitzen arbeiten kann", sagt Armin Windel, Leiter der Gruppe Ergonomie an der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Ein guter Schreibtischstuhl hat Armlehnen und eine bewegliche Rückenlehne. Beim Bildschirm kommt es auf den Abstand an: 50 Zentimeter sind Pflicht. "Wie beim Zeitungslesen sollte man den Kopf entspannt leicht nach unten halten", sagt Windel.

Vor der Tastatur sollten etwa 15 Zentimeter frei sein und auf dem Tisch muss genug Platz sein, damit man die Arme entspannt auflegen kann - dafür muss der Winkel zwischen Ober- und Unterarm größer als 45 Grad sein. Auch die Füße brauchen Platz, damit man die Beine bewegen und ausstrecken kann.

Der beste Arbeitsplatz nützt jedoch nichts, wenn man acht Stunden am Stück starr vorm Computer hockt. Damit die PC-Arbeit nicht zur Belastung wird, sind Pausen ebenso Pflicht wie regelmäßige Wechsel zwischen verschiedenen Arbeitsaufgaben. "Man sollte nicht länger als eine Stunde konzentriert am Rechner sitzen", sagt Windel. Er empfiehlt, öfter mal im Stehen zu arbeiten - zum Beispiel sich anzugewöhnen, im Stehen zu telefonieren.

Neben Allerweltsbeschwerden wie Kopfweh gibt es auch eine berufsbedingte Erkrankung, die ihre Herkunft gleich im Namen trägt: der Mausarm. Der Fachausdruck dafür lautet "repetitive strain injury". Die Ursache sind kleinste Verletzungen des Gewebes, die zu Entzündungen der Nervenfasern führen können. Ausgelöst werden sie durch sich ständig wiederholende Bewegungen wie das Klicken mit der Maus.

Wer keinen Mausarm bekommen möchte, muss auf die Haltung achten: Der Unterarm sollte so weit wie möglich aufgelegt werden und die Hand komplett auf der Maus liegen, sagt Armin Windel. Gut ist es auch, so oft wie möglich zwischen Maus und Tastatur zu wechseln und auch die ungeübte Hand an der Maus zu schulen. Schlecht ist dagegen, wenn die Hand auf einer kalten Fläche aufliegt. Vor allem, wenn schon Beschwerden da sind, kann sich der Besuch eines Fachgeschäfts lohnen. Schließlich gibt es Alternativen zur herkömmlichen Computermaus.

Es gibt Studien, die auf die Gefahr verweisen, dass Manager und andere Beschäftigte, die hauptsächlich im Sitzen arbeiten, ein erhöhtes Thrombose-Risiko haben. Muss man also befürchten, sich am Schreibtisch das "Touristenklassen-Syndrom" zu holen? Armin Windel hält das Risiko für gering. "Theoretisch könnte eine Thrombose auftreten. In der Regel spürt man aber, wenn einem die Beine weh tun und ändert dann seine Haltung - während man im Flieger womöglich schläft.

Der Arbeitsplatz ist gut eingerichtet, die Haltung stimmt, Pausen werden eingelegt und trotzdem tut der Rücken weh? Dann lautet der Auslöser womöglich: Stress. "Stress ist bei gesundheitlichen Problemen, insbesondere im Rückenbereich, eine ganz wesentliche Ursache", sagt Windel. Die Schwierigkeit ist, dem zu begegnen. Denn was löst den Stress aus? Welche Rolle spielt der eigene Umgang damit? Während der eine mit Druck gut zurecht kommt, empfindet der Kollege ihn möglicherweise als Belastung. "Da ist es schwierig, entsprechende Maßnahmen abzuleiten", sagt Windel.

Dabei sind die Unternehmen dazu sogar verpflichtet. Das Arbeitsschutzgesetz schreibt vor, dass im Betrieb sämtliche Gefährdungen und Belastungen zu ermitteln sind, die die Gesundheit negativ beeinflussen. Dazu gehören auch die psychischen Belastungen, die etwa durch mangelhafte Arbeitsorganisation entstehen können.

Schmerz, bleib weg

Wie Arbeitgeber diese Vorgabe umsetzen können, untersucht Nick Kratzer. Der Soziologe vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF München) arbeitet seit einem Jahr an dem Projekt "Pargema", bei dem auch mehrere Unternehmen beteiligt sind. Die Wissenschaftler wollen gemeinsam mit den Beschäftigten versuchen, Stressauslöser zu erfassen und Maßnahmen entwickeln, um sie zu vermeiden. Kratzer spürt dabei "viel Hilflosigkeit": "Das ist schwieriger als man denkt. Es gibt kein Rezept."

Gut arbeiten: Nur zwölf Prozent der Büro-Beschäftigten arbeiten beschwerdefrei.

Nur zwölf Prozent der Büro-Beschäftigten arbeiten beschwerdefrei.

(Foto: Quelle: Inqa, Umfrage unter Büro-Beschäftigten, 2006)

Dabei gäbe es viel zu tun. "Die Belastungen haben deutlich zugenommen. Zeit- und Leistungsdruck sind gestiegen. Gleichzeitig ist in den vergangenen Jahren die Personalbemessung zurückgegangen. Weniger Beschäftigte müssen mehr leisten", sagt Kratzer. In einer Broschüre der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin heißt es, dass psychische Belastungen wie hoher Termindruck und mangelnde Kommunikation die krankheitsbedingten Ausfallzeiten verändern: Psychische Erkrankungen und psychosomatische Krankheitsbilder nehmen zu.

Diese Gefahr wird von den Unternehmen "noch nicht so richtig erkannt", sagt Nick Kratzer. "Solange der Druck auf die Beschäftigten groß genug ist, haben die Belastungen keine unmittelbaren Folgen. Die Krankenstände sinken ja sogar." Dazu komme, dass die Unternehmen zunehmend Probleme hätten, langfristig zu denken. "Nachhaltigkeit im Umgang mit Menschen steht in Widerspruch zu anderen Unternehmenszielen."

Natürlich gibt es Arbeitgeber, die sich bemühen, in der betrieblichen Gesundheitsförderung viel zu machen. Sie richten etwa Vitamin-Bars ein oder bieten Nordic-Walking-Kurse an. "Das ist alles richtig", sagt Kratzer. "Aber das ist eine völlige Privatisierung der Folgen von zu hohem Arbeitsdruck. Da wird dem Beschäftigten die Verantwortung für den Umgang mit Stress wieder zurückgespielt."

So kommen die Wissenschaftler immer wieder an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Die Leistungskultur können sie nicht ändern und um Strukturen zu ändern, müsste man ganz oben im Unternehmen bei der Personalbemessung und bei Investitionen ansetzen. Dazu kommt die Schwierigkeit, im Einzelfall Empfehlungen zu geben, die auch praktisch umsetzbar sind. "Wenn man jemandem rät 'Zieh doch klar Grenzen', führt das wonöglich dazu, dass er zwar früher nach Hause geht, aber doch unzufrieden ist, weil er sein Projekt nicht rechtzeitig abgeschlossen hat", sagt Kratzer.

Denn zum Druck von außen kommt immer der Druck, den sich der Beschäftigte selbst macht. Unterzieht man sich mancher Belastung nicht auch aus eigenem Willen? Ja und nein: Weil ihnen angesichts der Arbeitsumstände und Anforderungen - auch die Anforderungen, die sie an sich selbst stellen - keine andere Wahl bleibt, riskierten viele "scheinbar freiwillig ihre Gesundheit", sagt Kratzer.

Dass das auf Dauer nicht gut geht, ist vielen Beschäftigten wohl bewusst. Wie eine Umfrage von Inqa, einer Initiative von Arbeitgebern und Gewerkschaften für "Gutes arbeiten", zeigt, glaubt jeder Vierte seine jetztige Arbeitsweise nicht bis zum Rentenalter durchhalten zu können.

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