Gründerwettbewerb Generation-D:Neues aus der Denkfabrik

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Viele Studenten sind äußerst kreativ - auch und vor allem außerhalb des Hörsaals. Ärztliche Befunde übersetzen, gemeinsam Strom sparen, Reiseführer als Hörspiele: Die Ideen sind gut und sie werden mit Elan und Phantasie umgesetzt. Bei einem Gründerwettbewerb messen sich die besten - und können reichlich Startkapital gewinnen.

Elisabeth Dostert

Es waren Sätze wie diese, die Johannes Bittner und Anja Kersten immer wieder zu lesen bekamen, kaum dass sie ihr Medizinstudium in Dresden begonnen hatten. "Auch an der dorsalen Zirkumferenz des Glenoids deutliches Knochenmarködem mit blutiger Imbibierung der angrenzenden Muskelmanschette." Es sind Bruchstücke aus ärztlichen Befunden, Medizinerlatein, für medizinisch nicht vorgebildete Patienten völlig unverständlich.

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Das brachte die beiden gemeinsam mit dem Informatiker Ansgar Jonietz auf die Idee, einen Übersetzungsdienst für Patienten aufzubauen. Das war am 11. Januar 2011. Bittner weiß es noch ganz genau. Die erste Version der Internetseite Washabich.de ging vier Tage später online. "Wir hatten eigentlich gar keinen Plan, wie wir das Ding strukturieren wollen." Über Patientenforen posteten die Gründer ihren neuen Dienst. Die Resonanz sei gut gewesen, erzählt Bittner: "Binnen Stunden gingen die ersten Befunde ein." Mittlerweile sind es 150 pro Woche, die meisten aus den Fachgebieten Radiologie, Orthopädie und Innere Medizin.

Die Antwort geben Medizinstudenten. Dem Netz von Washabich.de gehören mittlerweile 430 Studenten aus ganz Deutschland an. "Wer mitmachen will, muss mindestens im achten Semester sein, also schon in der klinischen Phase des Studiums stecken", sagt Bittner, 27. Was sie tun, ist klar definiert. "Wir interpretieren keine Röntgenbilder, wir geben auch keine Diagnose ab und empfehlen keine Therapie, schon aus haftungsrechtlichen Gründen. Wir übersetzen nur, was die Mediziner in den Befund geschrieben haben." Wenn die Studenten einmal nicht weiter wissen, können sie einen der mittlerweile 90 Konsiliarärzte des Netzwerkes fragen. "Es ist eine Win-win-Situation", sagt Bittner: "Die Studenten lernen etwas und die Patienten verstehen, was in ihrem Befund steht."

Mit ihrer Plattform Washabich.de belegten Bittner, Kersten und Jonietz 2011 im Wettbewerb Generation-D in der Kategorie Soziale Gesellschaft den ersten Platz. "Studenten können denken. Sie können Dinge kritisch beurteilen. Sie haben Ideen, wie man Dinge besser machen kann", sagt Dieter Frey, Inhaber des Lehrstuhls für Sozialpsychologie an der LMU München und Leiter der Bayerischen Elite-Akademie, die den Wettbewerb vor vier Jahren gemeinsam mit Süddeutscher Zeitung, Allianz und Stiftung Marktwirtschaftinitiiert hat. Der Wettbewerb sei eine Art Denkfabrik, in der über die Jahre hinweg Hunderte Ideen gesammelt wurden.

"Uns geht es nicht ums Geld", sagt Bittner. Seit diesem Jahr ist "Washabich" eine gemeinnützige GmbH. Die Patienten zahlen nichts für die Übersetzung. "Wir haben ein gesellschaftliches Problem aufgedeckt, und wir wollten wissen, ob es sich mit viel Idealismus und einem wirtschaftlichen Ansatz lösen lässt. Das tut es und das macht uns reich, nicht im finanziellen Sinne, es macht zufrieden und das ist doch ein bisschen mehr wert als ein dickes Gehalt", sagt Bittner.

Washabich.de komme seinem Ziel, die Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten zu verbessern, jeden Tag ein Stück näher. Die Ärzte, sagt Bittner, seien heute nicht mehr Halbgötter in Weiß, deren Diagnose Patienten ohne Fragen und Widerspruch entgegennehmen. Sie haben es mit mündigeren Patienten zu tun. Da werde es, so Bittner, auch für Ärzte immer wichtiger, sich verständlich auszudrücken.

Bislang finanzierte sich das Projekt über Preisgelder wie die Siegerprämie von 5000 Euro im Wettbewerb Generation-D sowie über Sponsoren und Spenden. "Jeder dritte Nutzer spendet etwas", sagt Bittner. Im Schnitt seien es 20 Euro. 80 Prozent davon gehen an den Studenten, der den Befund übersetzt hat. Aber der Betrag stehe in keiner Relation zum Aufwand, schließlich nehme eine Übersetzung drei bis zehn Stunden in Anspruch. "Vergütung soll nicht die Motivation sein, bei Washabich.de mitzuarbeiten."

Bittner, Kersten und Jonietz sind jetzt dabei, einen Förderverein aufzubauen. Ihr Dienst habe sich zu einem sozialen Netzwerk für Mediziner entwickelt. In einem nur für diese zugänglichen Bereich der Seite können sie sich künftig über Ausbildung und Beruf informieren. Kliniken und anderen Unternehmen können sich dort kostenpflichtig präsentieren und Stellenanzeigen schalten. Über die Einnahmen soll dann Washabich.de finanziert werden. "Professionelle Investoren als Gesellschafter finden sich nur schwer, wenn keine finanzielle Rendite zu erwarten ist", sagt Bittner.

Die sucht gerade Consumerpool. "Wir wollen das Image eines studentischen Unternehmens ablegen und professioneller werden", sagt Julius Kuhn-Régnier, 22, BWL-Student und Geschäftsführer der Mini-GmbH. Er und seine Mitstreiter bringen auf ihrer Online-Plattform Menschen zusammen, die den Energieanbieter wechseln wollen. Das läuft so: Nach der Registrierung tritt der Verbraucher einem Pool mit gleichen Interessen bei. Wenn sich genügend Teilnehmer gefunden haben, wird der Pool geschlossen und die Auktion beginnt. Die Mitarbeiter von Consumerpool suchen den günstigsten Anbieter von Gas, Strom oder etwa Ökostrom.

"Die Provision ist fix bei 15 Euro, damit erst gar nicht der Verdacht entsteht, wir würden dem Anbieter mit der höchsten Provision den Pool zuschustern", sagt Kuhn-Régnier. Ein Wechsel lohne sich fast immer und fast risikolos sei er auch. "Wenn ein Anbieter pleitegeht, muss der Grundversorger wieder einspringen", sagt der Student. In der Kategorie Arbeit, Wirtschaft und Unternehmen belegte Comsumerpool den ersten Platz im Wettbewerb.

Auf die Idee hat Kuhn-Régnier und seinen Bruder Philipp ihr Vater gebracht. Der wollte den Anbieter wechseln, hatte aber weder Zeit noch Muße, selbst nach einem günstigeren Versorger zu suchen. Er setzte eine Prämie für die Söhne aus. Sie fanden einen günstigen Anbieter und strichen die Hälfte der Ersparnis ein. "Dann baten uns auch Freunde und Verwandte, für sie einen neuen Anbieter zu suchen", erzählt Kuhn-Régnier. Mittlerweile haben sich auf Consumerpool rund 2000 Nutzer registriert. Bislang gibt es zehn Pools. "Wir richten gerade unsere Strategie neu aus", sagt Jungerunternehmer Kuhn-Régnier. Jetzt klingt er schon ziemlich professionell.

Amelie Becker, 27, hat ihre halbe Kindheit im Funkhaus verbracht, bei Radio T in Chemnitz. Die Idee zu Klangumfang hatten sie und Friedemann Brenneis vor zweieinhalb Jahren. Beide machen gerade ihren Master im Studiengang Hörfunk an der Uni Leipzig. Sie wollen Hörspiele für Kinder machen, die nicht nur unterhalten, sondern einen "altersgerechten Zugang zu komplexen und abstrakten Themen ermöglichen", sagt Becker. Das erste Reise-Hörspiel soll in diesem Sommer auf den Markt kommen. "Für Kinder sind Städtereisen meist langweilig", sagt Becker: "Ich wollte als Kind nach Neustadt zu Bibi Blocksberg reisen, aber das ging ja nicht, weil es nur eine fiktive Stadt ist." Die Hörspiele sollen Lust auf richtige Städte und richtige Sehenswürdigkeiten machen.

Die Hauptrollen spielen die Kinder Emma und Finn, die mit ihrem Opa Oskar Pfefferling durch die Welt reisen. Der ist ein wenig schusselig und überlässt die Kinder meist sich selbst. Ihre ersten Abenteuer erleben Emma und Finn in Leipzig. "Das Treffen der Gangster findet in der Thomaskirche statt", erzählt Becker. Im Hörspiel ist das Knarren der Dielen in der Sakristei zu hören. "Und wenn die Kinder dann wirklich Leipzig und die Thomaskirche besuchen, können sie dies selbst entdecken."

Noch ist Klangumfang, Sieger in der Kategorie Bildung & Kultur von Generation-D, "nur" eine Marke. Aber bis Ende des Jahres wollen Becker und Brenneis eine Firma gründen. "Dafür suchen wir gerade Investoren", sagt Becker: "Einen fünfstelligen Betrag kostet die Produktion eines Hörspiels." Die erste Episode haben die Studenten über Preisgelder und Spenden, die sie über das Portal Startnext gesammelt haben, finanziert. Die Reise durch Leipzig gibt es im Sommer als kostenlosen Download auf der Homepage. "Wir hoffen, dass wir mit Klangumfang irgendwann mal unseren Lebensunterhalt bestreiten werden können", sagt Becker. Anfragen von Städten und Museen für Hörspiele gebe es schon.

Johannes Bittner lässt sein Studium nun für ein Jahr ruhen, um sich ganz Washabich.de zu widmen. Irgendwann will er es zu Ende bringen, "aber dass ich als Mediziner arbeite, ist eher unwahrscheinlich". Kontakte zu Menschen, soziale Netzwerke hätten ihn schon immer interessiert. Bereits als Schüler im rheinland-pfälzischen Neuerburg hat er für Kleinstunternehmen aus der Region Internetseiten programmiert. "Mir liegt viel an der Arbeit mit Menschen", sagt er. Vor zehn Jahren gründete Bittner die Plattform Partyface mit, eine Art regionale Variante von Facebook. Damals haben er und Jonietz sich kennengelernt. "Wir hatten am Ende mehr als 100.000 registrierte Nutzer", erzählt Bittner. Vor zwei Jahren gingen die beiden Gründer mit Schon12 online. Auf der Internetseite können Studenten erfahren, was es in den Mensen in ihrer Stadt zu essen gibt.

Die Nutzer von Washabich.de müssen sich, je nachdem wie stark die Nachfrage ist, ein wenig gedulden. Das können sie im virtuellen Wartezimmer tun. Nach spätestens zwei bis drei Wochen kommt dann die Antwort. "Gleonid" ist die lateinische Bezeichnung für Schultergelenkpfanne und die "blutige Imbibierung" eine Einblutung.

© SZ vom 03.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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