Gründerinnen:Liebeserklärung statt Wisch-und-weg

Bumble und Gegenteil machen einiges anders als Tinder, Parship und Elitepartner - vielleicht, weil hier Gründerinnen Online-Dating gestalten?

Bumble und Gegenteil machen einiges anders als Tinder, Parship und Elitepartner - vielleicht, weil hier Gründerinnen Online-Dating gestalten?

(Foto: dpa-tmn)

In der männlich dominierten Tech-Welt gibt es eine Nische, in der auffallend viele Frauen erfolgreich sind: Dating. Sie machen einiges anders als die Männer.

Von Annabel Dillig

Wer Whitney Wolfe Herd in ihrem Büro in Austin, Texas, besucht, sieht ein Schild, eine Art Mantra, das Wolfe Herd sich gegeben hat: "Sei die Art von Firmenchef, von dem deine Eltern immer gehofft haben, dass du ihn mal heiratest." Und eigentlich sagt das alles, was man über die 28-Jährige wissen muss. Frauen vor. Geschlechterrollen umkehren. Selber machen.

Whitney Wolfe Herd ist die Gründerin von Bumble, einer App, die Frauen den entscheidenden Schritt beim Kennenlernen machen lässt. Whitney Wolfe Herd hat aber nicht nur Bumble gegründet, das nach nur vier Jahren eine Milliarde Dollar wert ist, sondern 2012 zunächst - mit drei männlichen Geschäftspartnern - Tinder, die größte Liebes-, Sex- und Kennenlernmaschine der Welt. Da war sie 22. Doch dann überwarf sie sich mit ihren Mit-Gründern, es ging um sexuelle Nötigung und Diskriminierung. Und Wolfe beschloss, ihren Ex-Kollegen Konkurrenz zu machen: mit einem besseren Tinder.

Und sie ist nicht die Einzige. In der männlich dominierten Tech-Welt gibt es eine Nische, in der auffallend viele junge, weibliche Gründerinnen erfolgreich sind: Dating. Die Berlinerinnen Anni Kralisch-Pehlke und Jule Müller mit ihrer liebevoll gestalteten Individualisten-Plattform namens Im Gegenteil zum Beispiel.

Die in München lebende Niederländerin Marianne Kraai mit Mayze, das damit wirbt, nur aussagekräftige, geprüfte Profile anzuzeigen. Oder Anna Hochhauser mit Candidate, wo Singles spielerisch und interaktiv zueinander geführt werden. Doch die derzeit größte Konkurrenz zu Tinder ist Bumble: Schon jetzt hat die Plattform 22 Millionen Mitglieder und wächst jährlich um 70 Prozent (Tinder: 46 Millionen Mitglieder weltweit, 10 Prozent Wachstum). Es ist Wolfe Herds Sieg gegen die in der Technologie-Branche vorherrschende "Brogrammer"-Kultur, wie sie es nennt.

Frauen sind traditionell zum Warten verdammt

Sind diese Frauen also besonders kampfeslustig? Oder warum beschließt man sonst, ausgerechnet dem Über-Anbieter Konkurrenz zu machen? 90 Prozent aller Dating-Neugründungen, so eine Studie, gehen wieder ein - Dollarzeichen in den Augen können es also nicht sein. Eher ein gewisser Tinder-Überdruss, ein inneres "Das kann's doch echt nicht sein"-Gefühl.

"Als ich Single war, war ich verzweifelt, weil ich als Frau kaum Einfluss hatte, das Kennenlernen zu gestalten", erzählt Whitney Wolfe Herd. "Frauen sind traditionell zum Warten verdammt, Männer dazu, die Frau anzusprechen, die Konversation zu führen, ein Treffen anzuregen." Am Ende natürlich auch: sich vorzubeugen und zu küssen. "Dieses Set-up", glaubt sie, "bestimmt implizit auch, wer die Macht hat - von Beginn an."

Wolfe Herd habe Dating einer Art "Reverse Engineering" unterzogen. Die von ihr konzipierte Plattform Bumble sollte zwar wie Tinder funktionieren, Rechtswischen heißt Ja, Linkswischen Nein - aber: Kommt es zum Match, hat nur die Frau die Möglichkeit, den Mann anzuschreiben. Binnen 24 Stunden. Sonst versinkt die Verbindung wieder im endlosen Ozean der Liebesmöglichkeiten. Durch den Rollentausch, schwärmt Wolfe, seien Männer endlich vom Druck befreit, den selbstbewussten Macker zu geben. Und Frauen müssten sich nicht mehr künstlich zurücknehmen. Ein ganz anderes Klima entstehe. Weniger Zurückweisung, weniger Aggression.

Zeit nehmen statt Wisch-und-weg

Auch die Gründerinnen Anni Kralisch-Pehlke und Jule Müller hatten so ihre Probleme mit den Dating-Angeboten, die es in Deutschland gab, das waren vor allem Portale wie Elitepartner, Parship und Finya. "Keiner unserer Berliner Freunde hätte sich je vorstellen können, sich da irgendwo anzumelden, erzählt Anni Kralisch-Pehlke. "Wir haben uns gefragt, wo sind Angebote für die Jungen, Urbanen, Kreativen? Und was können wir gut? Die Antwort: schreiben, fotografieren, Internet!"

Und so gründeten sie 2013 Im Gegenteil. Statt eines gigantischen Single-Supermarkts eine High-Class-Single-Manufaktur - mit sympathischen, magazinartig vorgestellten Liebessuchenden. Als Tinder dann Anfang 2014 in Deutschland auf den Markt kam, profitierte Im Gegenteil indirekt vom Hype. "Wir waren plötzlich für alle das "Anti-Tinder", sagt Kralisch-Pehlke, die sich in ihrer Signatur "Head of Love" nennt.

Statt Wisch-und-weg muss man sich bei ihnen Zeit nehmen, eintauchen in eine Biografie, eine Homestory und einem von Im-Gegenteil-Mitarbeitern verfassten Text, der nichts anderes ist als eine Liebeserklärung an einen jungen Menschen. Der Service ist kostenlos - wer möchte, kann die Fotos im Nachhinein der Fotografin abkaufen. Das deckt einen Teil der Kosten.

"Wir haben uns darauf die Hand gegeben, dass wir für das Angebot kein Geld verlangen", sagt Kralisch-Pehlke. "Liebe darf nichts kosten, auch nicht die Option auf Liebe." Ihre Monetarisierungsstrategie: Sie bieten Kooperationspartnern Advertorials an, also werbliche Beiträge, die sie im selben Stil verfassen wie die Single-Anzeigen. Diese stehen zwischen kolumnenartigen Artikeln über die Liebe, die Single-Anzeigen bleiben so aber werbefrei.

Alle Hautfarben, Figuren und sexuellen Präferenzen willkommen

Inzwischen verdienen Anni Kralisch-Pehlke und Jule Müller Geld mit ihrer gut besuchten Seite -so viel, um rund 20 freie Mitarbeiter zu beschäftigen und das Angebot auf mehr als zwölf andere deutsche Städte auszuweiten.

"Wie kommt ihr eigentlich an diese coolen Leute?", werden sie immer wieder gefragt. Tja, wie eigentlich? "Die Singles melden sich bei uns: Weil die bei uns eine Heimat finden." Ja, Im Gegenteil ist ein Hipster-Portal, aber ein sympathisches. Hier sind alle Hautfarben, Körperformen, sexuellen Präferenzen willkommen. Auch Anni Kralisch-Pehlke und Jule Müller haben Dating repariert: indem sie den Singles ihre Würde zurückgegeben haben.

So erklärt sich dann auch der Name: "Wir wollten das Gegenteil zu allen anderen Angeboten sein, und ein Ort, wo man sein Gegenstück finden kann", sagt Anni Kralisch-Pehlke und schiebt hinterher. "Mal ehrlich, gibt es was Schöneres, als wenn dieser liebenswerte, aber leicht schräge Typ, der Fernbedienungen sammelt, dir sagt, er habe seine Traumfrau gefunden, und sie bekommen ein Kind? Ich glaube nicht."

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