Süddeutsche Zeitung

Großraumbüro:Eingekastelt im Billig-Büro-Würfel

Großraumbüros machen krank und sind außerdem mäßig effizient - trotzdem feiern die Ozeane aus Schreibtischplatten in Reih und Glied seit Jahren einen großen Siegeszug. Der ist auch eine Geschichte des Kapitalismus.

Von Peter Richter

Michael Pietsch, der Chef der amerikanischen Verlagskette Hachette, war im vergangenen Jahr wegen zwei Dingen in den Schlagzeilen. Wegen seines von der gesamten Branche mit Bangen verfolgten Armdrückens mit Amazon über den Preis von E-Books, bei dem er nicht so schlecht abschnitt. Und dann noch einmal, als er seinen Arbeitsplatz in ein Cubicle verlegte, 1,80 Meter breit, 1,50 tief - eine dieser Schreibtischbuchten, die Amerikas Büroflächen füllen, bis auf ein paar an die Sichtblenden gehefteten Familienfotos identisch mit den 519 anderen Schreibtischboxen in des Verlages neuer New Yorker Firmenzentrale.

Der Verlag musste umziehen, wollte in Midtown Manhattan bleiben, seinem angestammten Umfeld, und beschränkt sich jetzt der Kosten wegen auf ein Großraumbüro - und zwar für alle. Damit ist Hachette der erste amerikanische Verlag, in dem nicht einmal mehr die Lektoren Einzelbüros haben. Die akustische Einbindung ins Tun aller anderen, die so ein Großraumbüro mit sich bringt, wird Pietsch darüber in Kenntnis setzen, was die davon halten. Und von der Tatsache, dass er ihnen das auch noch als Befreiung verkaufen will. (In seinem Eckbüro habe er sich immer schrecklich isoliert gefühlt, ließ Pietsch in der New York Times verlauten, während er die brummende Energie menschlichen Durcheinanders in Großraumbüros "anregend" finde.)

Er könnte es, falls er sein Cubicle nur für den Fototermin mit der Times mal wirklich benutzt hat, aber auch bei Nikil Saval nachlesen, dessen "Cubed: A Secret History of the Workplace" (Doubleday) gerade als eines der besten amerikanischen Sachbücher gefeiert wird, die 2014 erschienen sind. Diese Beliebtheit sagt natürlich auch etwas über die Rezensenten, die größtenteils ebenfalls in Großraumbüros schreiben müssen. Dieses Buch segelt auf einer Welle des Unbehagens, die es gleich in seinem Klappentext benennt: 60 Prozent aller Amerikaner müssen heute in Cubicles arbeiten - und 93 Prozent von ihnen finden das furchtbar.

Ozeane aus Tischplatten

Nikil Saval, Redakteur bei der Literaturzeitschrift n+1, hat da etwas vorgelegt, das man nach deutschen Maßstäben, auch in der Wirkung, fast schon mit Siegfried Kracauers Studie über "Die Angestellten" vergleichen muss; in den USA ist die Referenzgröße C. Wright Mills "White Collar: The American Middle Classes" von 1951. Die New Republic nannte es eine "Pop-Version" davon, was vor allem besagt, dass es das ist, was in der Welt von Michael Pietsch "a good read" genannt wird, ein Buch, das sich gut liest. Auch wenn es sich im Kern um ein fortwährend perpetuiertes Unbehagen dreht. Es ist die Geschichte der Unzufriedenheit nicht mit der Arbeitsstelle, sondern dem Arbeitsplatz. Man kann das Buch auch als kulturanthropologische Tragödie lesen: Dauernd kommt einer an, will die Abläufe effizienter gestalten und macht den Leuten das Leben schwerer - und am Ende auch die Arbeit.

Saval setzt da an, wo die Industrialisierung aus den alten Kontoren im Prinzip Fabrikhallen für Schreibtischarbeiter macht, Ozeane aus Tischplatten in Reih und Glied, zwischen denen das Management patrouillieren kann wie Gefängnisaufseher. Die Tendenz zur Überwachung der Angestellten sollte ihre Symbolfigur dann in jenem Frederick Taylor finden, dessen Strategien zur Effizienzsteigerung von einem beinahe hasserfüllten Misstrauen gegen den abhängig beschäftigten Menschen an sich motiviert waren und dennoch - oder gerade deshalb - zur ersten großen technokratischen Ideologie des zwanzigsten Jahrhunderts wurden, auch in Europa, selbst in der Sowjetunion.

Charles Chaplin hat den Taylorismus in seiner berühmten Zahnradszene karikiert, Fritz Lang ließ die gestressten Arbeiter in "Metropolis" aufs Rad der Uhr spannen. Aber das waren "blue collar worker"; Büroangestellte betrachteten sich als "white collar worker". Aus dem Umstand, dass man bei der Arbeit keinen Blaumann trägt sondern ein weißes Hemd, aber abzuleiten, dass man dadurch selbst fast schon der Klasse der Kapitalisten angehört: Das ist als "white collar delusion" zum stehenden Begriff geworden, als Verblendung der Angestellten.

Das Drama des modernen amerikanischen Büros, schreibt Saval, bestand darin, dass es Aufstiegschancen bis in die Konzernspitze behauptete, die durch die schiere Ausweitung der in Reih und Glied hinter ihren Schreibtischen stationierten Angestellten-Armeen immer unrealistischer wurden. Man könnte anmerken, dass das für den sogenannten "amerikanischen Traum" - symbolisiert durch die Ozeane von unabzahlbaren Eigenheimen - eigentlich generell gilt.

Die Art von Büros, die heute den täglich durchlebten Albtraum der Amerikaner darstellen, wird übrigens im Ursprung den Deutschen angelastet. Die Quickborner Möbelfabrikanten Wolfgang und Eberhard Schnelle hatten 1958 die sogenannte "Bürolandschaft" entwickelt und 1959 zum ersten Mal installiert - ausgerechnet in einem Verlagshaus, bei Bertelsmann in Gütersloh. Was auf den ersten Blick chaotisch aussah, waren rational geplante Nutzlandschaften aus Teppichböden, Topfpflanzen und Schreibtischen, die nach funktionalen Gesichtspunkten zu einander geordnet waren.

Diese scheinbare Kreatürlichkeit machte in den Sechzigern international Furore. Es war die Grundlage, auf der wiederum in den USA die Cubicles entwickelt wurden. Hier heißt der Schuldige Robert Probst. Probst war ein Kunstprofessor aus Colorado, der im Dienst der Büromöbelfabrik von Herman Miller zusammen mit dem Designer George Nelson das "Action Office" entwickelte, ein System aus flexiblen Trennwänden, später weiterentwickelt zum "Action Office II", mit Regalen und Pinnwänden, also immerhin noch mit dem Angebot zur Individualisierung.

Das wurde als Befreiung gepriesen, als Befreiung gefeiert, und das hatte auch alles, was in den emanzipatorischen Sechzigern im Schwange war: eine anarchisch ungezwungene Anmutung, die Möglichkeit kommunikativer Zusammenstöße, vor allem aber einen "offenen Plan", und Offenheit ist ja bis heute, genauso wie die Transparenz und die Flexibilität, ein Wert, der vor allem moralisch gelesen wird. Offenheit als architektonisch vermitteltes Ideologem schlägt deswegen zuverlässig praktische Erwägungen, die eher auf Abgeschlossenheit zielen würden. Saval: "Interaktion und Kommunikation wurden als Normen in den verlandschafteten Büros begriffen; Introspektion und Konzentration wurden zu Nebensachen. In dem Rausch, die Welt mit offenen Grundrissen zu überziehen, gingen so ein paar entscheidende Werte der Arbeitsleistung verloren."

Büro-Ställe aus billigen Stellwänden

Aber die "Knowledge Worker", wie Probst sie am liebsten nannte, empfanden sich nicht lange als befreit, sondern als eingekastelt in Büro-Ställen aus billigen Stellwänden. Zumal ab dem Moment, in dem das noch einigermaßen ambitionierte Action Office II Probst und Nelson zu dem schnöden, rechteckigen Billig-Cubicle zusammenrationiert wurde, das heute die amerikanische Arbeitswelt prägt.

Saval datiert das große Schisma in die frühen Siebziger, als die betriebliche Mitbestimmung in den westeuropäischen Ländern dazu geführt habe, dass die unbeliebten Bürolandschaften abgeschafft und das Action Office II gar nicht erst angeschafft wurden. Der Europäischen Wirtschaft sei es so schlecht deswegen nicht ergangen.

Diese Hoffnung, in Europa eine vernünftigere Alternative zu haben, ist, einerseits, etwas sehr Amerikanisches. Es unterschätzt nur, in welchem Maße sich die Europäer bis heute an amerikanischen Vorbildern orientieren. An den kinderzimmerartigen Arbeitswelten bei Google und Facebook zum Beispiel, aus denen die Leute so wenig wie möglich in so etwas wie ein Privatleben jenseits der Firma entkommen sollen. An den Versprechen, dass dank des Internets jeder von zu Hause arbeiten könne - was aber immer schon nur für die galt, die dort nicht von so etwas wie einer Familie davon abgehalten werden. Und an der explosionsartigen Vermehrung der "Freelancer", die ihren Laptop im Coffeeshop aufklappen und sich eher für Unternehmer halten als für besonders abhängig Beschäftigte mit Konsumzwang ("white collar delusion 2.0" sozusagen). Und dann auch an Marissa Mayer, ehemals Google, dann Yahoo!, die all die Leute da draußen wieder zur Präsenz bei Hofe verdonnerte, denn Vertrauen ist - Lenin! - gut, aber Kontrolle ist trotzdem besser.

Kontrolle ist - das lernt man in Savals Buch, das lehrt einen aber auch der pure Augenschein - im Prinzip sogar alles, Kontrolle und tayloreskes Fundamentalmisstrauen: Wer nichts zu verbergen hat, wird ja wohl auch im Großraumbüro arbeiten können. Nun gibt es Branchen, in denen die Anordnung der Mitarbeiter in leicht zu überblickenden Bankreihen sinnvoller ist als in anderen. Das Betreiben von Sklavengaleeren gehört möglicherweise dazu. Das Betreiben von Verlagshäusern möglicherweise eher nicht. Aber darin, dass das Ideologem der "Offenheit" moralisierend gegen das Bedürfnis der Ungestörtheit in Stellung gebracht wird, gleicht die Gestaltung von Büros heute gewissermaßen dem Internet.

Schön, aber leider nicht mehr bezahlbar

Das eigene Büro, der Schreibtisch, auf dem die Sachen auch mal liegen bleiben können bis morgen, ein Fenster nach draußen, eine Tür, die man offen lassen, aber eben bei Bedarf auch mal zu machen kann: Das gilt heute zunehmend als ein Privileg aus vergangenen Zeiten, als etwas in der Art von einem Dienstwagen oder einer Spesen-Kreditkarte - schön, aber leider, leider nicht mehr bezahlbar.

Bei der BBC in London haben sie für 5600 Mitarbeiter überhaupt nur noch 3500 Schreibtische stehen. Angeblich, um die arbeits- und krankheitsbedingten Leerstände zu verringern. Man darf aber annehmen, dass es für das mittlere Management auch recht amüsant sein dürfte, ihre Unterlinge jetzt jeden Tag "Reise nach Jerusalem" spielen zu sehen; es garantiert sicherlich ein frühes Erscheinen.

Atavismus aus vordigitalen Zeiten?

Eine Studie der Universität Stockholm wiederum hat soeben gezeigt, dass in Großraumbüros, in denen die Leute nicht einmal mehr einen festen Arbeitstisch haben, die Zahl der Krankmeldungen signifikant ansteigt. Das Unbehagen über fehlende Privatheit am Arbeitsplatz kann man natürlich als Atavismus aus vordigitalen Zeiten denunzieren. Für offene Pläne, für Großraumbüros mit oder ohne Cubicles sprechen auf jeden Fall Gründe der Geldknappheit. Dafür spricht sicher auch das Bild von Offenheit, das sich darüber transportiert.

Wenn es aber um Effizienz geht, wenn es um Leistung geht, wenn es also darum geht, dass Arbeit in einer bestimmten Zeit bewältigt wird, nämlich idealerweise in der Arbeitszeit: Dann sollte man die Option Einzelbüro mit Tür, schließbar, vielleicht noch nicht gänzlich aus dem Auge verlieren.

Als Michael Pietsch, der Verlagschef von Hachette, von der New York Times gefragt wurde, wie er eigentlich die Ruhe finden will, ein Manuskript zu lektorieren (und das ist ja nun mal das, was Lektoren tun), wo er jetzt so demonstrativ im Gewühl eines Großraumbüros sitzt - da war seine Antwort in dieser Hinsicht jedenfalls recht aufschlussreich: "Zu Hause - nachts und am Wochenende."

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Quelle:
SZ vom 03.01.2015/mkoh
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