Großbritannien: Angst vor Brain Drain:Kampf um die guten Köpfe

Weil die britischen Hochschulen massiv sparen müssen, könnten Forscher mit dem Ausland liebäugeln - das hofft man in Deutschland.

Johann Osel

Demonstranten stecken Mülltonnen in der Londoner City in Brand und attackieren sogar die Limousine von Prinz Charles - diese Bilder liefen nach dem Sparpaket der britischen Regierung weltweit in den Nachrichten. Tausende Studenten brachten im Dezember ihre Wut darüber zum Ausdruck, dass die Unis künftig jährlich bis zu 9000 Pfund (10.500 Euro) Studiengebühren verlangen dürfen - eine Verdreifachung.

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Studentenproteste in London: Die britische Regierung gleicht Budgetkürzungen durch höhere Gebühren aus.

(Foto: dapd)

Vielen Hochschulen wird keine andere Wahl bleiben, als diesen Rahmen auszuschöpfen. Denn zugleich fährt das konservativ-liberale Kabinett von Premier David Cameron die Budgets herunter. Man kämpft gegen die Staatsverschuldung, die Hochschulen sollen ebenso dazu beitragen wie etwa das Sozialwesen.

40 Prozent, fast drei Milliarden Pfund, sollen die Hochschulen in den nächsten Jahren weniger bekommen. Der Großteil der Kürzungen betrifft die Lehre, aber auch die Forschungsförderung wird leiden. Ein Teilausgleich soll durch die Studiengebühren kommen, ansonsten müssten die Hochschulen eben effizienter werden, fordert die Regierung. Beobachter ziehen Vergleiche mit den Rasenmäherkürzungen der Thatcher-Regierung in den achtziger Jahren.

Wenn Wissenschaftler nicht mehr die gewohnt hohen Standards vorfinden, könnten sie sich nach Alternativen umblicken. "Brain Drain", also die Abwanderung von Talenten, ist längst ein geflügeltes Wort. Doch gerade bei Großbritannien ist die Situation brenzlig: Die dortigen Hochschulen belegen in weltweiten Uni-Rankings immer gleich mehrere Spitzenplätze, sie nehmen es mit der Dominanz US-amerikanischer Universitäten auf. Könnten britische Forscher also nun ihrem Land den Rücken kehren, wird die Insel zur Talentschmiede anderer Nationen? Und könnte sogar Deutschland von einer solchen Entwicklung profitieren?

Abschreckendes Deutschland

"Grundsätzlich verstehen wir uns als Partner, da wünscht man natürlich niemandem etwas Schlechtes", sagt Dorothee Dzwonnek, Generalsekretärin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Allerdings stünden die Chancen, die besten Köpfe nach Deutschland zu holen, derzeit günstig - nicht nur weil sich in Großbritannien durch die Sparpolitik viele Dinge zum Schlechteren entwickeln könnten, sondern weil Deutschland selber attraktiver geworden sei. "Durch die Exzellenzinitiative können wir hervorragende Profile und Forschungsbedingungen bieten, das hat sich in der Welt herumgesprochen."

Tatsächlich sind durch das Förderprogramm, in dessen zweiter Runde es gerade um die Verteilung von 2,7 Milliarden Euro geht, einige deutsche Standorte international sichtbar geworden. In Kombination mit der guten wirtschaftlichen Lage hierzulande könnte durchaus so etwas wie ein Brain Drain entstehen, glaubt man bei der DFG; oder international mobile Forscher würden sich eben nicht mehr für England entscheiden. In Gesprächen mit Hochschulleitungen, so Dzwonnek, höre sie zunehmend solche Hoffnungen.

Deutschland exportiert Akademiker

Deutschland hat zuletzt fast 900.000 Akademiker, unter ihnen Forscher, in andere OECD-Länder exportiert, aber nur ein Drittel davon angelockt, wie das Institut der deutschen Wirtschaft errechnete. Aus vielen kontinentaleuropäischen Ländern zeigten bisher die Wanderungsbewegungen nach England. Als attraktiv gelten dort auch die flachen Hierarchien des Systems, in dem die Hochschulen viel Autonomie haben. Während in Deutschland langwierige Berufungsverfahren Forscher oft zur Weißglut treiben, geht dies in England gerne rasch vonstatten.

"Ich hatte damals am Vormittag das Interview und schon am Nachmittag das Stellenangebot", erinnert sich Harald Fuess. Der Heidelberger Professor für Kultur- und Wirtschaftsgeschichte am Exzellenzcluster "Asia and Europe" lehrte an der Uni Sheffield, war Gastwissenschaftler in Oxford. Er glaubt, dass Deutschland grundsätzlich attraktiv genug sein kann, um ausländischen Unis ihre Kräfte abzuwerben.

Zwar gebe es Hemmnisse, die abschreckten: etwa die Versessenheit auf die Habilitationsschrift, ohne die man hierzulande in einigen Fächern kaum auf eine Professur hoffen kann. Doch stattdessen könne man "die Leute über Inhalte gewinnen". Er hat in seinem Forschungsfeld in Heidelberg bereits Mitarbeiter aus England; von Herbst an kommen voraussichtlich ein Brite aus Oxford und eine Russin aus Cambridge dazu. "Noch vor fünf Jahren hätten Briten Deutschland wohl überwiegend gar nicht in Erwägung gezogen", sagt er.

"Man muss einfach kreativ sein"

Der britische Astronom und frühere Präsident der Nationalakademie Royal Society, Lord Rees of Ludlow, hatte bereits vor der Umsetzung des Sparkurses einen möglichen Brain Drain gefürchtet: "Das Problem ist, dass man die Entwicklung erst in Zahlen erkennt, wenn es zu spät ist", wurde er in Medien zitiert.

Probleme an der Basis

Doch wie sieht es an der Basis aus? "Da muss man einfach kreativ sein", sagt Petra Wend, Rektorin der Queen Magaret University im schottischen Edinburgh und UK-Expertin des deutschen Centrums für Hochschulentwicklung. In Schottland sind die Kürzungen zwar geringer, dafür gibt es keine "ausgleichenden" Gebühren. An ihrer Uni mussten in den vergangenen Jahren 80 Stellen gekippt werden. Mit Partnern teilt man sich nun Kurse, Fusionen soll es bei der IT und in der Verwaltung geben. Die gesamte britische Hochschullandschaft sei "in einer Phase der Umstrukturierung".

Britische Forscher werden zunehmend um ihre Projekte kämpfen müssen. Bei den turnusmäßigen Evaluationen für wissenschaftliche Vorhaben sei das schon zu sehen, sagt Wend: "Die Strategie ist, dass nur noch die Allerbesten Geld bekommen. Wenig Gewinn versprechende Geistes- und Sozialwissenschaften fallen da durchs Raster." Das demotiviere das Personal, gut vorstellbar daher, dass sich viele mittlerweile anderweitig umschauen. Deutsche Wissenschaftler könnten vor allem abwandern, wenn in ihrer Heimat ein attraktiver Lehrstuhl auf sie wartet.

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