Glücksfall Arbeit:Garantiert zuverlässig

Warum ein Berliner Autohändler einen inhaftierten Freigänger eingestellt hat.

Von Christine Demmer

Als Mirko Stoianov fünf Jahre alt war, musste er seine Heimat Bulgarien verlassen. Angelockt vom wirtschaftlichen Erfolg der DDR zogen seine Eltern 1977 nach Frankfurt an der Oder. Mirko ging vormittags zur Schule und setzte sich nachmittags aufs Fahrrad. Darin war er richtig gut. Bis zu seinem Hauptschulabschluss brachte er es bis in die Radsport-Nationalmannschaft. Mit 16 Jahren ging er zurück nach Bulgarien und besuchte dort zweieinhalb Jahre lang die Sportschule. Dann fiel die Mauer, Mirko kam zurück nach Frankfurt, doch seine Knie machten nicht mehr mit. Aus der Traum von der Radsport-Karriere.

Über seine Jahre als junger Mann in den neuen Bundesländern hüllt sich der perfekt berlinernde Bulgare in Schweigen. Was er denn so getrieben habe? "Mal dies, mal das." Gejobbt? "Ja, und eine Umschulung zum Autoverkäufer." Wo denn, in Frankfurt oder in Berlin? "Die Umschulung in Frankfurt und gejobbt, wo immer was zu bekommen war." Geheiratet hat er und zwei Kinder bekommen. Irgendwie, irgendwo hat er sich und seine Familie über Wasser gehalten.

2002 wurde Mirko Stoianov wegen des Verdachts auf Hehlerei von Motorrädern in Untersuchungshaft genommen. In der dortigen Justizvollzugsanstalt (JVA) arbeitete er in der Werkstatt, machte "allet möchliche" und wartete auf seinen Prozess. Im Mai 2003 verurteilte ihn das Gericht zu zwei Jahren und zehn Monaten Gefängnis. Weil keine Fluchtgefahr bestand, durfte er nach der Urteilsverkündung nach Hause gehen. Er nahm endgültig Abschied von seinem Frankfurter Bekanntenkreis und zog nach Berlin. Der Umzug markierte einen Neubeginn. Doch erst einmal wartete er auf den "Selbststeller" - so nennen Insider das amtliche Anschreiben, mit dem rechtskräftig Verurteilte höflich gebeten werden, zu einem bestimmten Termin in eine JVA mit freien Plätzen einzufahren.

Im Dezember war der Tag gekommen, an dem Stoianov sein Logis in der JVA Hakenfelde aufschlug. Als Freigänger durfte er sich tagsüber außerhalb der Gefängnismauern aufhalten, wenn er einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz nachweisen konnte. "Da habe ich mich natürlich entschlossen, mir Arbeit zu suchen." Autolackierer wäre er gern geworden oder Berufskraftfahrer, doch der Arbeitsamtberater winkte ab. Schon damals gab es zu viele Arbeitslose in diesen Berufen und keine Chance auf eine Lehrstelle. Reinigungskraft hätte er lernen können, aber das wollte er nun wieder nicht.

Am Computer des Arbeitsamtes suchte Stoianov nach Angeboten für Ungelernte. Als Inhaftierter standen seine Chancen nicht gut. "Ich habe etwa 20 Bewerbungen geschrieben, die Hälfte der Arbeitgeber hat sofort abgeblockt, die anderen wollten sich melden. Sagten sie jedenfalls." Bei Bewerbung Nummer 21 hatte er Glück. Peter Schmidt, Besitzer einer kleinen Auto-Aufbereitung in Berlin-Schöneberg, suchte einem Mitarbeiter, der zupacken konnte, der keine Angst davor hatte, Gebrauchtwagen und -zweiräder sauber und sich selbst die Hände schmutzig zu machen. Vor allem aber wollte er einen zuverlässigen Mann, der nicht dauernd krank feierte oder morgens wegen Kater im Bett liegen blieb.

Als sich Stoianov telefonisch als Gefängnisinsasse vorstellte, zuckte er nicht zurück. Er habe keine Probleme, einen Freigänger einzustellen, sagt Schmidt, der ebenso wie Stoianov in Wirklichkeit einen anderen Namen trägt. "Ein Hehler ist doch kein Schwerverbrecher." Außerdem dachte er praktisch: Ein Freigänger feiert nicht krank, weil er dann nicht heraus darf. Und da er sich um 23 Uhr in der JVA zurückmelden muss, schlägt er auch nicht nächtens über die Stränge. "Wenn ich Mirko einstelle, ist beiden Seiten geholfen", sagte Schmidt.

Die Behörden freuten sich über die Resozialisierungschance ihres Häftlings, prüften aber zunächst den Arbeitgeber auf Herz und Nieren und verlangten von ihm, stets im Voraus sagen zu können, wo sein Mitarbeiter eingesetzt würde. Das ist nicht immer leicht, weil die Autos in den Hallen der Gebrauchtwagenhändler abgespritzt und gewienert werden, oft am frühen Morgen ein Kunde anruft und Schmidts Männer für den Nachmittag des gleichen Tages bestellt. Wenn dann die Behördenvertreter kontrollieren kommen und Mirko nicht da ist, wo er sein sollte, riskiert er mächtig Ärger.

"Trotzdem", sagt der Unternehmer Schmidt, "würde ich es immer wieder tun". Er hat es sogar mit einem zweiten Freigänger probiert, doch den musste er nach zwei Tagen zurückschicken. "Das klappte einfach nicht." In etwa fünf Monaten wird Mirko Stoianov seine Haftstrafe verbüßt haben. Dann will er weiter arbeiten, auf ein Motorrad sparen und sich irgendwann selbst eine Yamaha oder Honda zulegen.

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