Süddeutsche Zeitung

Gleichberechtigung:"Der richtige Zeitpunkt für Radikales"

Per Gesetz will Island die Lohnungleichheit zwischen Mann und Frau abschaffen - und schickt Kontrolleure in die Büros. Doch so einfach ist das nicht.

Von Silke Bigalke, Stockholm

Wenn ein Promi wie Bernie Sanders Nettes über Island sagt, freut sich in dem Inselstaat immer jemand darüber. Der US-Politiker hatte kaum die isländischen "Brüder und Schwestern" gelobt, da griff eine Online-Nachrichtenseite in Reykjavík seinen Facebook-Kommentar auf. Bernie Sanders hatte gefordert, Island nachzueifern mit gleichem Lohn für gleiche Arbeit, unabhängig vom Geschlecht. Er teilte einen Artikel des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera, in dem es heißt, dass es in Island nun illegal sei, Frauen schlechter zu bezahlen als Männer.

Tatsächlich ist in Island mit Jahresbeginn ein Gesetz in Kraft getreten. Allerdings ist es nicht so einfach, wie Bernie Sanders es offenbar versteht. Das Gesetz fordert von Unternehmen mit mehr als 25 Mitarbeitern, sich daraufhin testen zu lassen, ob sie Frauen beim Lohn diskriminieren. Bezahlen sie gerecht, erhalten sie ein Zertifikat, das isländisch "Jafnlaunavottun" heißt, Lohngleichheits-Zertifikat. Was passiert, wenn Firmen durchfallen? Unklar.

Gerechter als in Island geht es nirgendwo zu

Beschlossen wurde das Gesetz bereits im Sommer. Dabei ist Island ohnehin spitze: In den vergangenen neun Jahren führte es stets die Rangliste des Weltwirtschaftsforums zur Geschlechtergleichstellung an, in keinem Land war die Verdienstlücke kleiner. Das Problem: Die Lücke ist trotzdem immer noch da, auch in Island.

2015 zeigte eine Studie, dass Männer im Schnitt 5,7 Prozent mehr verdienten. Und das ist nur der Teil der Lücke, der sich nicht erklären lässt dadurch, dass der männliche Kollege womöglich besser qualifiziert ist, mehr arbeitet oder mehr Verantwortung übernimmt, oder einfach mehr Berufserfahrung hat. All das ist schon rausgerechnet. Was übrig bleibt, ist die Lücke, die sich nur so erklären lässt: Arbeitgeber unterscheiden zwischen Mann und Frau.

Das möchte ihnen die isländische Regierung nun austreiben. Bereits vor fünf Jahren ließ sie einen Standard entwickeln, um die Ungleichbehandlung zu messen. Damals waren Experten aus Ministerien und Behörden, Wissenschaftler, Unternehmer und Unternehmerinnen beteiligt. Sie achteten auch darauf, dass unterschiedliche Jobs, die denselben Wert haben, gleich vergütet werden sollen.

Nach diesem Standard werden die Unternehmen nun getestet. Dafür kommen unabhängige Berater als Prüfer in die Büros. Zuerst sind die großen Firmen an der Reihe. Wer mehr als 250 Mitarbeiter hat, braucht das Zertifikat bis Ende dieses Jahres. Firmen mit nur 25 Mitarbeitern haben bis 2021 Zeit.

Auch in Island gab es Bedenken: Bürokratie, Kosten, störende Beobachter. Manche meinten, in Island sorgten bereits genügend Gesetze für Gleichberechtigung. Andere fürchteten, dass die neue Regel nichts nütze. Sie ändert schließlich nichts daran, dass Frauen für die Familie häufig größere Abstriche machen - und die dadurch entstehende Lohnlücke bleibt.

Die Ministerpräsidentin ist Feministin

Dass es das Gesetz im Juni durchs Parlament schaffte, liegt auch daran, dass es in den vergangenen zwei Jahren mehrere Regierungskrisen, zwei Neuwahlen und einige Parteineugründungen gab. Eine dieser neuen Parteien, die liberale Reform-Partei, kam im Januar 2017 in die Regierungskoalition und stellte den Sozialminister. Der verkündete kurz darauf, es sei "der richtige Zeitpunkt, um etwas Radikales in dieser Angelegenheit zu unternehmen", und schlug das Gesetz vor.

Inzwischen haben die Isländer wieder gewählt und eine neue Ministerpräsidentin: Katrín Jakobsdóttir ist die zweite isländische Frau in diesem Amt und erklärte Feministin. Sie wird sicher dafür sorgen, dass das Gesetz umgesetzt wird, auch wenn sie es nicht geschrieben hat.

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SZ vom 04.01.2018/lho
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