Gleichbehandlungsgesetz:Hochschwanger ohne Existenzgrundlage

Erstmals droht einem Unternehmen in Deutschland eine hohe Strafe, weil eine Mitarbeiterin klagt: Die Frau ist schwanger und türkischer Herkunft - und wird von ihrer Firma kaltgestellt.

Roland Preuß

Sule Eisele nennt das, was ihr als Hochschwangere vergangenen Sommer passiert ist, eine "stille Kündigung". Dabei hatte es zwei Jahre zuvor so hoffnungsvoll angefangen, beim Versicherungskonzern R+V. "Ich hatte viel Herzblut hineingesteckt - und es lief", sagt die 38-Jährige. Doch jetzt hat die Versicherungsspezialistin ihren Arbeitgeber auf 500.000 Euro Schadensersatz verklagt wegen Geschlechtsdiskriminierung.

Schwanger

Schwangere Mitarbeiterinnen sind nicht in allen Unternehmen gern gesehen.

(Foto: Foto: dpa)

Es ist das erste bekannte Gerichtsverfahren dieser Art nach dem seit August 2006 geltenden Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Dieses verbietet eine Benachteiligung wegen Geschlechts, Herkunft, Religionszugehörigkeit oder sexueller Orientierung im Berufsleben. Ein Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden müsste juristisches Neuland erschließen und wäre ein Signal für künftige Schadensersatz-Summen.

Eiseles Anwälte haben den Fall auf gut 100 Seiten Klageschrift dargelegt. Demnach informierte Eisele ihren Chef Ende 2006 über ihre Schwangerschaft und wollte drei Monate Mutterschutz nehmen, nicht aber für eine längere Dauer in Elternzeit gehen. Dennoch sei ihr am letzten Arbeitstag ihr Nachfolger vorgestellt worden. Eisele habe einen Nervenzusammenbruch erlitten.

Erste Bewährungsprobe

Vier Monate später, am Ende ihres Mutterschutzes, habe sie es noch einmal versucht. Sie redete laut Klage mit ihrem Chef über eine Rückkehr, dieser habe sie jedoch gedrängt, Elternzeit zu nehmen. Eisele habe auf Rückkehr bestanden, ihr Chef habe ihr daraufhin die Zuständigkeit für ihren bisherigen Bezirk Bad Saulgau in Oberschwaben entzogen und gab ihr stattdessen einen Bezirk, der bislang nur einen Bruchteil des Umsatzes eingebracht habe.

Eisele hatte eine gute Position bei der großen deutschen Versicherungsgruppe. Die studierte Germanistin hatte bei der Allianz angefangen und war bei der R+V für wichtige Kunden wie Firmen und Besserverdienende zuständig; ihr Einkommen ernährt die Familie, ihr erkrankter Mann kümmert sich um die beiden Kinder. Deshalb wollte sie unbedingt weiter arbeiten gehen. Als ihr der alte Arbeitgeber den E-Mail-Zugang gesperrt und eine Schulung versagt habe, sei der Entschluss gefallen, mit einer Schadensersatzklage zu drohen. "Sie haben mir als Hochschwangerer meine Existenzgrundlage weggezogen", sagt Eisele.

Zudem ist Eisele, die mit vollem Namen Eisele-Gaffaroglu heißt, davon überzeugt, dass ihre türkische Herkunft eine Rolle gespielt hat, obwohl sie Deutsche ist. Sie verklagt ihren Arbeitgeber deshalb zugleich wegen "ethnischer Diskriminierung". Eine Sprecherin von R+V sagte auf Anfrage, das Unternehmen wolle sich nicht zu einem laufenden Verfahren äußern.

Dem politisch äußerst umstrittenen Gesetz steht damit eine Bewährungsprobe bevor. Wirtschaftsverbände, Union und FDP hatten es schon vor der Verabschiedung scharf kritisiert, die prophezeite Klagewelle ist jedoch bislang ausgeblieben. Das AGG gilt als recht zahnlos. Lufthansa-Piloten klagten 2007 vergeblich, auch jenseits des 60. Lebensjahres noch an den Steuerknüppel zu dürfen. Bei einer Hamburger Logistikfirma erstritten Frauen immerhin die gleiche Entlohnung wie ihre männlichen Kollegen. Schadensersatz-Urteile, die Unternehmen wirklich weh tun, gab es bisher aber nicht. Die wenigen Streitigkeiten wegen Geschlechtsdiskriminierung am Arbeitsplatz wurden bisher diskret per Vergleich beigelegt und Stillschweigen vereinbart. Dies hat zwei Gründe: Die Unternehmen scheuen es, durch solch einen Prozess als Hort des Chauvinismus in Verruf zu geraten, und auch bei Angestellten macht sich eine spektakuläre Klage gegen den Arbeitgeber nicht unbedingt gut im Lebenslauf.

Auf der nächsten Seite: Wie Klagen Netzwerke und die Karriere zerstören.

Hochschwanger ohne Existenzgrundlage

Die Arbeitspsychologin Ulrike Schraps, die an der Freien Universität Berlin über Geschlechter und Karriere forscht, rät deshalb dazu, vor einer Klage alle anderen Möglichkeiten auszuschöpfen, etwa ein Gespräch mit weiblichen Vorgesetzten. "Für den beruflichen Aufstieg sind Sie auf Netzwerke und Ihren Ruf angewiesen und beides können Sie durch so eine Klage schädigen", sagt Schraps. Eisele sah nach mehreren Gesprächen und Briefen eine solche Möglichkeit nicht mehr. "Es ist traurig, dass keiner aufmuckt", sagt sie.

Doch wie kommt Eisele auf die hohe Summe von 500.000 Euro? Ihr Anwalt Michael Alenfelder, der auch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Antidiskriminierungsrecht ist, und sein Kollege Frank Jansen legen in ihrer Klageschrift ausführlich dar, warum die Summe auch bei einem Bruttogehalt von 3600 Euro im Monat nicht aus der Luft gegriffen ist. Das AGG und die EU-Vorgaben dazu sehen ausdrücklich eine abschreckende Strafe vor, die über den rein materiellen Schaden wie Einkommensverlust weit hinausgeht.

Eine halbe Million Euro wären immer noch weit von manchen Summen in angelsächsischen Ländern entfernt. So bekam 2005 eine Brokerin der Schweizer Bank UBS in den USA 29,3 Millionen Dollar zugesprochen, weil ein Vorgesetzter sie "eine alte, hässliche Frau" genannt hatte. In Großbritannien wurde die Deutsche Bank 2006 wegen Mobbings und Geschlechtsdiskriminierung zu 1,2 Millionen Euro Schadensersatz verurteilt. Ausgerechnet die R+V bietet gegen solche Urteile Versicherungen an.

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