Girls' Day:Warum gerade Jungs den Mädchentag brauchen

Müssen Männer Karriere machen? Und was wollen eigentlich die Frauen? Ein Interview mit dem Männerforscher Michael Cremers über die Probleme von Jungen bei der Berufswahl.

Nicola Holzapfel

"Neue Wege für Jungs" heißt die Antwort auf den jährlichen Girls' Day. Bereits zum sechsten Mal bekommen Mädchen an diesem Tag schulfrei, um technische Berufe kennenzulernen. Was ihre Klassenkameraden währenddessen machen, blieb bislang den Lehrern überlassen.

Michael Cremers

Hinterfragt überkommene Männlichkeitsvorstellungen: Männerforscher Michael Cremers.

(Foto: (Foto: oh))

Erstmals gibt es nun in diesem Jahr auch für die Jungen ein bundesweites Pilot-Projekt. Das Jungen- und Männerforschungsinstitut Dissens in Berlin wird die Aktion wissenschaftlich begleiten. Ein Interview mit dem Sozialwissenschaftler Michael Cremers von Dissens über Jungenarbeit.

sueddeutsche.de: Was für "neue Wege" sollen Jungs denn gehen?

Michael Cremers: Jungen wie Mädchen wählen Berufe geschlechtstypisch aus. Natürlich orientieren sie sich auch am Arbeitsmarkt, aber einen großen Einfluss üben Rollenbilder aus. Das gilt für die Wahl von Ausbildungsberufen genauso wie bei der Studienentscheidung. "Neue Wege für Jungs" soll das aufbrechen. Es geht darum, auf mehr Möglichkeiten bei der Berufswahl hinzuweisen und Jungen auch für Tätigkeiten zu öffnen, die nicht typisch männlich sind.

sueddeutsche.de: Aber was bringt es, Jungs für schlechter bezahlte Frauenberufe zu interessieren?

Cremers: Die Bezahlung ist doch nur ein Aspekt. Es gibt typische Frauenberufe, die für Jungen interessant sein können. Anderen Menschen zu helfen oder Kinder zu erziehen, ist nicht nur harte Arbeit, sondern vermittelt auch ein Gefühl des "Gebrauchtwerdens". Das ist vor allem in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit nicht zu unterschätzen.

Aber viele denken wegen immer noch vorhandener Männlichkeitsvorstellungen gar nicht darüber nach. Dann heißt es zum Beispiel: "Das kann ich nicht machen. Das wäre weibisch."

Eine wichtige Rolle spielt da auch der Freundeskreis. Wenn ich als Junge sage, dass ich Erzieher werden will, muss ich mir vielleicht blöde Sprüche anhören.

sueddeutsche.de: Die neuen Beratungs-Angebote für Jungen tragen Titel wie "Baustelle Mann". Einmal ist die Rede davon, Jungen "vom Druck der Männlichkeit" zu entlasten.

Cremers: Man muss mit den Jungen gemeinsam thematisieren, welche Vorstellungen von Männlichkeit sich entwickeln und wie man damit umgehen kann. Wer oder was bestimmt eigentlich, ob ein Beruf typisch männlich oder weiblich ist? Warum sind Teilzeitjobs bei Männern weniger akzeptiert als bei Frauen? Ist es männlich, wenn Führungskräfte 70 Stunden die Woche arbeiten?

Warum gerade Jungs den Mädchentag brauchen

Jungen und Männer stehen immer noch unter einem hohen Erwerbs- und Karrieredruck. Das führt gerade bei den jungen Männern, die kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, oft zu biographischen Krisen. Das wird noch dadurch verstärkt, dass viele junge Männer sich mit ihren Ängsten und Schwächen nicht mitteilen können. Sich bei Anderen Hilfe holen, gilt als unmännlich.

Girls' Day: Was Kinder werden wollen: Die beliebtesten Berufe.

Was Kinder werden wollen: Die beliebtesten Berufe.

(Foto: Grafik: sueddeutsche.de)

Auch Fragen zur Lebensplanung sind wichtig: Will ich eine Familie? Könnte ich mir vorstellen, Hausmann zu sein?

Die Schulen müssen die Jungen darauf vorbereiten, was sie auf dem Arbeitsmarkt erwartet. Und unter dem Gleichstellungsaspekt auch darauf, was die meisten Frauen von ihnen erwarten.

sueddeutsche.de: Sie selbst haben einen für Männer untypischen Beruf gewählt.

Cremers: Ja, ich habe soziale Arbeit und Erziehung studiert. Davor hatte ich eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann gemacht. In dem Betrieb waren 95 Prozent Frauen. Das war eine interessante Erfahrung, aber auch schwierig.

Wenn Jungen in Frauen-Berufen arbeiten, müssen sie sich auf eine andere Art selbst behaupten. Häufig machen sie die Erfahrung, dass ihnen automatisch Aufgaben zugeschrieben werden, die als typisch männlich gelten. Plötzlich sind immer sie es, die handwerkliche oder technische Probleme lösen müssen, oder denen zugemutet wird, Schweres zu tragen. Aber warum ist das so und will man das eigentlich? Damit muss man sich doch auseinandersetzen.

In sozialen Einrichtungen wie Kindergärten, wo häufig nur Frauen beschäftigt sind, übernehmen diese selbstverständlich solche Aufgaben selbst.

sueddeutsche.de: Wird Berufsberatung jetzt nur noch getrennt nach Geschlecht angeboten?

Cremers: Nein, aber es ist eine sinnvolle Ergänzung. Bei der Jungenarbeit gibt es noch Nachholbedarf. Mädchen stehen schon länger im Fokus. Leider gibt es gar nicht so viele Männer, die sich für Jungenarbeit einsetzen. Meistens wird das von Frauen organisiert. Das Projekt "Neue Wege für Jungs" birgt auch die Chance, dass mehr Männer Lust bekommen, sich dafür verantwortlich zu fühlen.

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