Getrennter Unterricht:Fördern Mädchenschulen die Karriere?

Anne-Frank-Realschule Muenchen

Mädchen für karriereträchtige Fächer wie Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften oder Technik (Mint) zu begeistern, ist das Ziel der Anne-Frank-Realschule in München.

(Foto: Theodor Barth/RB Stiftung)

Wissenschaftler finden keine Belege, Politiker sind dagegen. Aber die Absolventinnen sehen Vorteile.

Von Martin Scheele

Die eine ist Deutschlandchefin von Microsoft, die andere arbeitet als Finanzvorstand bei der Deutschen Post DHL, die dritte ist Geschäftsführerin beim global agierenden Vermögensverwalter Invesco. Sabine Bendiek, Melanie Kreis und Doris Pittlinger stehen beispielhaft für steile Karrieren von Frauen - mit einer Besonderheit: Alle drei gingen auf ein Mädchengymnasium. Haben Absolventinnen dieser Schulen bessere Aufstiegschancen?

Wissenschaftler und Politiker streiten seit Jahrzehnten über die richtige Antwort auf diese Frage. Das Wissenschaftsmagazin Science fasste vor einigen Jahren die Debatte zusammen und bezog mit dem Titel "Die Pseudowissenschaft der Monoedukation" ungewohnt deutlich Stellung. "Wir glauben, dass die nach Geschlechtern getrennte Erziehung schwer verfehlt ist und häufig durch schwache, selektive oder missgedeutete wissenschaftliche Behauptungen gerechtfertigt wird", notierte das Autorenteam um die kalifornische Psychologieprofessorin Diane Halpern.

Auch unter deutschen Wissenschaftlern überwiegen die kritischen Stimmen. Die Erziehungswissenschaftlerin Hannelore Faulstich-Wieland von der Universität Hamburg sagt zum Beispiel: Getrennter Unterricht sei eine "Dramatisierung von Geschlecht" und unterschlage, dass der Lernerfolg von vielen psychischen und sozialen Faktoren abhänge. Ähnlich wie ihre amerikanische Kollegin findet sie in der wissenschaftlichen Literatur keine Belege für bessere Leistungen in reinen Mädchen- oder Jungenklassen.

Ebenso wenig Zuspruch bekommen die Anhänger von Mädchenschulen aus der Politik. Von keiner politisch-gewichtigen Partei ist bekannt, dass sie die Monoedukation befürwortet. Vielmehr gibt es oft Widerstand gegen diese Schulform. Etwa in Essen-Borbeck. Dort kämpft das einzige staatliche Mädchengymnasium in Nordrhein-Westfalen seit Jahren mit sinkenden Anmeldezahlen. Schulleiterin Jutta Reimann muss die Stadt gerade überzeugen, dass eine reine Mädchenschule überhaupt sinnvoll ist. "Ich war selbst auf einer Mädchenschule", sagt sie, "und vertrete die These, dass ich nicht Mathematik studiert hätte, wenn ich auf einer gemischten Schule gewesen wäre."

Zahl der Mädchenschulen sinkt

Das Argument, dass Frauen nach einer getrennten Schullaufbahn eher Karriere in naturwissenschaftlichen Berufen machen können, wird von Befürwortern monoedukativer Schulen gerne vorgebracht. Die Geschlechterforscherin Maria Kreienbaum untersuchte in den Neunzigerjahren die Karrieren von Abiturientinnen an eben jenem Gymnasium in Essen-Borbeck. Das Ergebnis: Im Vergleich mit einer benachbarten koedukativen Schule waren die Absolventinnen des Mädchengymnasiums aufstiegsorientierter und arbeiteten häufiger in Vollzeit, obwohl sie im Durchschnitt mehr Kinder bekamen. "Sie hatten eine höhere Studienquote und eine doppelt so hohe Promotionsquote", sagt Kreienbaum.

Derzeit gibt es etwa 160 reine Mädchenschulen in Deutschland - Tendenz sinkend. Als Bildungsverlierer, um die man sich kümmern muss, gelten inzwischen eher die Jungen. Was aber meinen Absolventinnen von Mädchenschulen selbst? An einer Umfrage der Süddeutschen Zeitung unter ehemaligen Schülerinnen des städtischen Sophie-Scholl-Gymnasiums in München und des katholischen Sankt-Dominikus-Gymnasiums in Karlsruhe beteiligten sich 58 Ehemalige. 22 bejahen uneingeschränkt die These, wonach eine Mädchenschule karrierefördernd sei, sieben verneinen die These, 27 haben entweder keine Meinung und erkennen keinen monokausalen Zusammenhang.

Doris Pittlinger ist Absolventin des Münchner Sophie-Scholl-Gymnasiums. Die Leiterin des europäischen Fondsmanagements der Invesco Real Estate führt ein Team von 15 Kollegen. Zusätzlich steht sie der deutschen Tochtergesellschaft mit 50 Mitarbeitern vor. "Das Lernen auf der Mädchenschule war fokussierter und mädchengerechter", sagt die promovierte Betriebswirtin rückblickend.

Sind Jungs schuld, wenn Mädchen Mathe hassen?

Bei der Berufswahl, das zeigen Daten des Statistischen Bundesamtes, beschränken sich Frauen immer noch auf ein begrenztes Spektrum an Tätigkeiten. Daran hat sich seit Anfang der Neunzigerjahre wenig verändert. Und mit der Wahl von frauen- und männertypischen Berufen sind oft Unterschiede im Verdienst und in den Karriereverläufen verknüpft.

Viele der befragten Absolventinnen sehen diesen Zusammenhang: Vor allem in den naturwissenschaftlichen Fächern seien sie mit besseren Chancen in den Beruf gestartet. Sibylle Brunner, Absolventin des Sophie-Scholl-Gymnasiums meint: "Besonders mit den Mint-Fächern haben Mädchen von monoedukativen Schulen geringere Berührungsängste als Mädchen von gemischten Schulen, an denen sie mit dem Stereotyp konfrontiert werden: Mädchen können kein Mathe." Brunner ist heute Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Neu-Ulm.

In der Welt der Technik ist Simone Peters zu Hause, ebenfalls Absolventin des Sophie-Scholl-Gymnasiums. Als sie 1992 mit dem Physikstudium begann, machte sie folgende Beobachtung: "Im ersten Semester kamen 13 der 20 Studentinnen von Mädchenschulen." Seit nunmehr elf Jahren ist sie Patentprüferin beim Deutschen Patent- und Markenamt.

Unter den Vorständen der 160 größten deutschen Unternehmen beträgt der Frauenanteil weniger als sieben Prozent. Die einzige bekannte Absolventin einer Mädchenschule in diesem Zirkel ist Melanie Kreis. Die 46-jährige Physikerin ist seit einem Jahr Finanzvorstand der Deutschen Post DHL, zusätzlich zu ihrer bisherigen Funktion als oberste Personalchefin. Kreis war auf dem katholischen Sankt-Adelheid-Gymnasium in Bonn.

Deutschland hat hervorragende Mädchenschulen

In der Liga von Kreis bewegt sich auch Sabine Bendiek. Die 50-Jährige ist seit anderthalb Jahren Chefin von Microsoft in Deutschland. Bendiek formuliert es vorsichtig: "Vielleicht habe ich davon profitiert, in einer Mädchenschule mit Naturwissenschaften vertraut zu werden. Jedenfalls gab es dort niemanden, der gesagt hätte, Technik sei nur was für Jungs."

Ob Mädchenschulen tatsächlich eher dazu animieren, eine karriereträchtige Ausbildung zu wählen oder ob erfolgreiche Menschen dazu neigen, die eigene Schulvergangenheit zu verklären - auf jeden Fall gibt es hervorragende Mädchenschulen in Deutschland. Die Münchner Anne-Frank-Realschule gewann im Jahr 2014 sogar den Deutschen Schulpreis. Naturwissenschaften seien hier "keine Hass-Fächer, sondern offenbar extrem attraktiv", heißt es in der Begründung . "Die Hälfte eines Jahrgangs, rund 50 Mädchen, entscheidet sich nach der sechsten Klasse für Naturwissenschaften als Wahlpflichtfach." Ob das wegen oder trotz der Monoedukation der Fall ist, ließ die Jury offen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: