Gesundheitswesen:Pflegekräfte am Limit

Pfleger demonstrieren gegen Überlastung

In Tübingen demonstrierten in der vergangenen Woche überlastete Pflegekräfte des Universitätsklinikums.

(Foto: dpa)

An vielen Kliniken sind die Krankenpfleger überlastet und wünschen sich mehr Kollegen. Doch die Kliniken finden kein Personal und bieten bereits Kopfprämien an.

Von Lena Müssigmann/dpa

Das Geräusch der Trillerpfeifen schrillt in den Ohren - in Tübingen demonstrieren Krankenpfleger gegen den aus ihrer Sicht bestehenden Personalmangel auf ihren Stationen. "Mehr von uns ist besser für alle", skandieren sie bei der Kundgebung am vergangenen Mittwoch in der Tübinger Altstadt und fordern eine Entlastung durch mehr Personal. Nach der kurzfristigen Absage von Warnstreiks, gegen die die Uniklinik juristisch vorgegangen war, demonstrierten nach Polizeiangaben etwa 100 Pflegekräfte trotzdem.

"Ich fühle mich zerrissen", sagt eine 55-jährige Fachkrankenschwester für Intensivmedizin. "So wie ich meine Arbeit gelernt habe und wie ich sie gerne machen würde, kann ich sie seit Jahren nicht mehr machen." Wenn nur eine Pflegekraft ausfalle, arbeite das Team in Mindestbesetzung, und es dürfe nichts Unerwartetes passieren - was auf der Intensivstation niemand garantieren kann.

Sie hat eine selbstgebastelte Fußfessel dabei, auf ihrem Demo-Schild steht: "Wir sind Sklaven des Gesundheitssystems." Fallpauschalen sorgten dafür, dass der Kostendruck in den Krankenhäusern steige. Sie verstehe, dass mehr Personal schwer zu bekommen sei, aber dann müsse man eben Betten sperren, anstatt die Belastung der vorhandenen Pflegekräfte immer weiter zu erhöhen.

In der Tübinger Chirurgie schiebt Rita Kessler an einzelnen Tagen von sechs bis 17 Uhr Dienst und hat dabei nach eigenen Angaben noch nicht einmal Zeit für eine Pause, um etwas zu essen. Die 47-Jährige kommentiert die Situation mit Ironie: "Das hat den Vorteil, dass man nicht aufs Klo muss und noch mehr arbeiten kann." Eine 60-jährige Pflegerin berichtet von Schlafstörungen und Herzrhythmusstörungen, die erst besser geworden seien, als sie ihren Arbeitsumfang reduziert habe. Eine 25-jährige Pflegerin berichtet davon, nach dem Arbeiten unter Zeitdruck und Stress zu Hause das Gefühl nicht loszuwerden, irgendwas vergessen zu haben. Abschalten gelinge auch nicht, weil man an freien Tagen immer wieder angerufen werde, um für kranke Kollegen einzuspringen, berichten mehrere der demonstrierenden Pfleger.

Auf den Stationen brodele es, sagt eine Verdi-Sprecherin. Der Personalmangel betreffe längst nicht nur Tübingen. Zwei Pfleger aus dem Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart sind aus Solidarität zur Demonstration gekommen. "Ihr seid die Vorreiter, andere Krankenhäuser schauen auf euch", rufen sie den Kollegen des Tübinger Uniklinikums zu. Die angespannte Personallage an den Krankenhäusern war am vergangenen Mittwoch auch Thema im baden-württembergischen Landtag.

Um ihre Pflegestellen zu besetzen, greifen manche Krankenhäuser schon zu Abwerbeprämien von mehreren Tausend Euro pro Kopf. Das berichtete der Landesgeschäftsführer des evangelischen Krankenhausverbandes, Bernd Rühle, in Stuttgart. In Tübingen können Beschäftigte der Uniklinik eine Prämie erhalten, wenn sie aus ihrem Freundes- und Bekanntenkreis neue Pflegefachkräfte vermitteln.

Wer solche Prämien anbiete, handle aus Verzweiflung, sagte die Sprecherin der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG), Annette Baumer. In einer Umfrage der BWKG hätten 64,4 Prozent der Krankenhausgeschäftsführer angegeben, Probleme bei der Besetzung von Pflegestellen zu haben. "Wenn sie sich die Pflegekräfte gegenseitig abkaufen, ist das Problem aber nicht gelöst", sagt Baumer.

In Tübingen arbeiten bereits 142 Pflegekräfte aus anderen Ländern, viele angeworben aus den Philippinen, Italien und Serbien und in Tübingen qualifiziert. Die Qualifizierung zur Fachkraft kostet die Klinik 40 000 Euro. "Notwendig wird das, weil am heimischen Arbeitsmarkt nicht mehr ausreichend Fachkräfte zur Verfügung stehen, um den Bedarf abzudecken", erklärt eine Klinik-Sprecherin. Derzeit seien aber alle am Klinikum geplanten und derzeit finanzierten Pflegestellen besetzt.

Auf der Demonstration in Tübingen steht auch Krankenpfleger Frank Hauber mit einer Verdi-Fahne. Der 45-Jährige arbeitet in Teilzeit auf der Schlaganfallstation. Auch wegen des steigenden Zeitdrucks sieht er keine Perspektive für sich in der Pflege. Nebenbei promoviert er in Geoökologie. "Ich bin auf dem Absprung."

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