Gesundheitsexpertin:"Hundertprozentige Jobgarantie"

Birgit Schulte-Frei

Wer in die Forschung geht oder in ein Unternehmen, verdient meist besser als in einer Physiotherapie-Praxis, sagt Birgit Schulte-Frei. Sie rechnet grundsätzlich mit steigenden Gehältern für Physiotherapeuten.

(Foto: Tom Trambow)

Physiotherapeuten mit Bachelorabschluss haben nach dem Studium viele Möglichkeiten, sagt Birgit Schulte-Frei. Sie können zum Beispiel in die Forschung oder in ein Unternehmen gehen.

Interview von Annika Brohm

Vor zwanzig Jahren war die private Hochschule Fresenius eine der ersten Einrichtungen in Deutschland, die ein Studium der Physiotherapie anbot - damals noch in Zusammenarbeit mit der niederländischen Hogeschool Utrecht. "Anders war es zu dieser Zeit nicht möglich", sagt Birgit Schulte-Frei, Dekanin des Fachbereichs Gesundheit und Soziales. Im Gespräch erzählt sie, was sich seitdem getan hat - und warum der Nachholbedarf hierzulande nach wie vor groß ist.

SZ: In Deutschland galt die Physiotherapie lange als klassischer Ausbildungsberuf. Wie hat sich die Situation in den vergangenen Jahren entwickelt?

Birgit Schulte-Frei: Physiotherapie kann man in Deutschland erst seit 2010 studieren. Dieser Weg ist hierzulande aber noch nicht so bekannt. Im Ausland sieht das ganz anders aus. Dort ist es ganz selbstverständlich, dass Physiotherapeuten an Hochschulen ausgebildet werden. Im internationalen Vergleich hängt Deutschland in der Entwicklung also hinterher. Die Berufsfachschulen sind in Deutschland nach wie vor sehr beliebt. Mit dem zunehmenden Studienangebot hat die Anzahl der Auszubildenden zwar abgenommen, allerdings nicht stark.

Woran liegt es, dass die Akademisierung dieses Berufs in Deutschland nur langsam voranschreitet?

Das deutsche Gesundheitswesen ist sehr stark auf die Medizin ausgerichtet. Seit Jahren beanspruchen die Ärzte, dass sie die Entscheider und Lenker sind. In Deutschland gehören Mediziner zu den Berufsgruppen mit der größten Autonomie. Alle anderen Gruppen im Gesundheitswesen haben diese Eigenständigkeit nicht, sie sind Ärzten oft untergeordnet. Auch hier ist die Situation im Ausland anders, zum Beispiel in England oder Belgien. Dort können Patienten direkt zum Physiotherapeuten gehen, sie brauchen dafür keine Überweisung vom Arzt. Dadurch sind die Physiotherapeuten in diesen Ländern wesentlich eigenständiger und tragen eine höhere Verantwortung. Dafür werden sie an Hochschulen ausgebildet.

Welche Perspektiven haben Absolventen in Deutschland nach dem Studium?

Es gibt eine hundertprozentige Jobgarantie. Alle Krankenhäuser, Reha-Zentren sowie Praxen suchen Therapeuten. Die Teilnehmer haben nach ihrem Bachelor-abschluss im Grunde freie Wahl. Sie müssen auch nicht zwingend in der Physiotherapie bleiben. Sie können sich weiterqualifizieren, beispielsweise in Masterprogrammen mit dem Schwerpunkt Rehabilitationswissenschaften. Alternativ können sich die Absolventen auf ein bestimmtes Indikationsspektrum spezialisieren, zum Beispiel die Neurologie oder die Gynäkologie. Die Herausforderung liegt darin, herauszufinden, welche Arbeit in dem Berufsfeld am besten zu einem passt.

Mit welchem Einkommen können Berufseinsteiger in der Physiotherapie rechnen?

Die Gehaltssituation ist trotz des Fachkräftemangels immer noch ungünstig. Nach einer Ausbildung verdienen angestellte Physiotherapeuten circa 1800 Euro brutto im Monat, nach dem Bachelorstudium steigen die meisten mit ungefähr 2000 Euro brutto ein. Einige Arbeitgeber zahlen natürlich mehr, einige ein bisschen weniger. Es gibt andere Tätigkeitsfelder, die deutlich lukrativer sind als die Arbeit in einer physiotherapeutischen Praxis.

Welche sind das zum Beispiel?

Es kann lukrativ sein, in die Forschung und Lehre zu gehen, aber auch als selbständiger Therapeut oder in einem Unternehmen lässt sich oft mehr verdienen. Aufgrund des Fachkräftemangels wird sich das Gehaltsgefüge aber sicher in den nächsten Jahren insgesamt nach oben entwickeln. Vor allem für hochschulisch ausgebildete Fachkräfte, die, wenn man sie lässt, mehr Aufgaben und Verantwortung übernehmen und so Ärzte entlasten können.

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