Geschlechtergerechtigkeit:Unerhört

71. Filmfestival in Cannes - MeToo

Sie sind im Bild, aber nicht an den Schalthebeln der Macht: 82 Frauen der Filmindustrie protestieren beim Filmfestival in Cannes gegen Ungleichheit.

(Foto: Joel C. Ryan/dpa)

Ob Film, Fernsehen, Zeitungen oder Buchbranche - in Medien und Kultur haben nach wie vor die Männer das Sagen. Sie kommen häufiger als Experten zu Wort und bestimmen, wie die Welt wahrgenommen wird.

Von Carlos Collado Seidel

Männer erklären die Welt - so lautet das Ergebnis einer im vergangenen Jahr vorgestellten Studie des Instituts für Medienforschung an der Universität Rostock. Dazu gehört, dass in Informationssendungen, in denen Expertenwissen gefragt ist, sei es bei Plasberg, Lanz, Will oder Illner, nur jeder fünfte Gast eine Frau ist. Dieses Missverhältnis ist umso frappierender, wenn man bedenkt, dass die mediale Sichtbarkeit von Frauen damit nicht im Entferntesten mit deren tatsächlicher Präsenz in den jeweiligen Berufsfeldern zu tun hat.

Freilich, zu diesem Ergebnis trägt bei, dass Frauen in Spitzenpositionen, aus denen sich eine Meinungsführerschaft ableiten ließe, wiederum dramatisch unterrepräsentiert sind. In der Buchbranche beispielsweise, die zwar grundsätzlich als weiblich wahrgenommen wird, sind nur vier Prozent der höchsten Entscheidungspositionen mit Frauen besetzt. Im mittleren Management liegt der Anteil gerade einmal bei 17 Prozent, so die Studie "Mehr Wert" des Interessensverbandes Bücherfrauen.

In der Führungsetage einzelner deutscher Leitmedien im Printbereich liegt der Frauenanteil inzwischen zwar immerhin bei einem Drittel. Doch eine von der Initiative "Pro Quote Medien" durchgeführte Erhebung zeigt, dass die Chefsessel der Redaktionen von Zeitungen mit einer regionalen Reichweite zu 95 Prozent mit Männern besetzt sind.

Auch an den Universitäten bietet sich ein ernüchterndes Bild: Der Anteil von Professorinnen liegt, bei beträchtlichen Unterschieden zwischen den Fächern, inzwischen zwar bei etwa 20 Prozent. Unter Zugrundelegung der seit Jahren recht konstanten Wachstumsrate wäre jedoch erst um das Jahr 2055 eine Parität erreicht.

Mit der Frage der Geschlechtergerechtigkeit befassen sich fast nur Frauen

Trotz aller Fortschritte, die in den vergangenen Jahrzehnten erzielt worden sind, zeigen diese Zahlen, dass die Topetagen der Kultur- und Medienlandschaft resistent sind, wenn auf gutes Zureden und auf Freiwilligkeit gesetzt wird. Eine im Herbst letzten Jahres von der Hertie School of Governance vorgestellte Studie zur Gleichstellung von Frauen in Kultur und Medien im Europavergleich lässt keinen Zweifel daran, dass ohne eine festgeschriebene Quotenregelung, wie etwa jene, die für die Besetzung der Aufsichtsratsposten in börsennotierten Unternehmen oder bei der Vergabe von Ämtern in Parteien gilt, keine nachhaltige Verschiebung zu erreichen ist.

So belegen zwar Umfragen, dass der weit überwiegende Teil der Gesellschaft Fortschritte in der Geschlechtergerechtigkeit befürwortet, und an emblematischen Daten wie dem Weltfrauentag werden Jahr für Jahr flammende Reden geschwungen und Bekenntnisse abgegeben. Auf einem ganz anderen Blatt steht indes die praktische Umsetzung wohlklingender Grundsatzerklärungen. So machten sich 92 Prozent der durch "Pro Quote Medien" befragten Chefredakteure von Regionalzeitungen nicht einmal die Mühe, auf die Frage nach den Gründen für das eklatante Missverhältnis in den eigenen Chefetagen zu antworten, von einem Eintreten für eine Quotenregelung in der Medienbranche ganz zu schweigen.

Hieran will derzeit nicht einmal die Politik etwas ändern. Das wurde nur allzu deutlich mit dem durch Kulturstaatsministerin Monika Grütters einberufenen runden Tisch "Frauen in Kultur und Medien", der Wege zur Erreichung der Geschlechtergerechtigkeit aufzeigen sollte. Nach Berufssparten aufgegliederte Arbeitsgruppen legten eine ganze Reihe konstruktiver Vorschläge vor, die jedoch im Ergebnis nahezu samt und sonders verhallten.

So ist nicht nur die Umsetzung der geforderten Quotenregelung bei der öffentlichen Hand nicht aufgegriffen worden. Auch der als unerlässlich angemahnte kontinuierliche Datenreport blieb auf der Strecke. Mit ihm sollten strukturelle Probleme erkennbar werden, deren Analyse wiederum den Handlungsbedarf und die Erarbeitung hilfreicher Vorschläge ermöglichen würde.

In der Praxis wurde allein ein wohlmeinendes Mentoring-Programm umgesetzt, mit dem Künstlerinnen und Kreative, die eine Führungsposition anstreben, vom Erfahrungsschatz etablierter Berufskolleginnen und -kollegen profitieren sollen. "Das Ergebnis war ernüchternd", sagt Nina George, Bestsellerautorin und Berichterstatterin für den Bereich Literatur. Sie hat daraufhin federführend eine verbandsübergreifende Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, um in Eigeninitiative und in Kooperation mit wissenschaftlichen Instituten jene notwendigen Daten zu generieren, auf deren Grundlage die häufig emotional geführte Diskussion versachlicht werden könnte.

Die dieser Tage durch das Projekt #frauenzählen vorgelegten und auf der Frankfurter Buchmesse diskutierten Ergebnisse zur Sichtbarkeit von Autorinnen im literarischen Rezensionsbetrieb sind ebenfalls wenig ermutigend: Männer schreiben am liebsten über Männer, ihnen steht deutlich mehr Raum zur Verfügung, und nur jede dritte Besprechung befasst sich mit dem Werk einer Autorin.

Der Runde Tisch zeigte aber auch ein weiteres Grundproblem auf: Mit der Frage der Geschlechtergerechtigkeit befassen sich nahezu ausschließlich Frauen - ein Umstand, der sich bezeichnenderweise auch im Familienministerium widerspiegelt, das für die politische Realisierung der Gleichstellung zuständig ist. In der entsprechenden Abteilung finden sich unter den 14 Führungskräften nur zwei Männer. Demgegenüber liegt der Anteil der Männer in der Hauptabteilung dieses Ministeriums mit weitem Abstand vor dem der Frauen.

Männer fühlen sich nicht angesprochen. Mehr noch: Sie nehmen die Geschlechtergerechtigkeit tendenziell als Bedrohung wahr. So werden Gleichstellungsbeauftragte als Hindernisse bei Berufungsverfahren an Universitäten gesehen. Für Mentoring-Programme für Kolleginnen fühlen sie sich ebenfalls nicht zuständig, und das Unverständnis, erst recht Männern gegenüber, die in Elternzeit gehen, ist in vielen Unternehmen frappierend.

Rufe nach Rückbesinnung auf überkommene Werte gefährden das bislang Erreichte

Vor allem aber werden unverdrossen Rollenzuschreibungen und altbekannte Geschlechterklischees bedient, wie jene wissenschaftlich nicht belegbare Vorstellung, wonach eine gesunde psychische Entwicklung von Kleinkindern von einer möglichst intensiven mütterlichen Zuwendung abhängig ist. Eigenschaften, die für Führungspositionen erwartet werden, wie Durchsetzungsstärke, Selbstbewusstsein, Überzeugungskraft, werden wiederum unverändert als "männlich" konnotiert.

Solche küchenpsychologischen Argumente sind als eine sexistische Wahrnehmung von Frauen unverändert stark verankert, so nicht zuletzt auch in der medialen Sichtbarkeit. Die eingangs zitierte Studie des Instituts für Medienforschung an der Universität Rostock konnte nachweisen, dass die mediale Präsenz von Frauen auch eklatant altersabhängig ist: Je älter, desto unsichtbarer. Der Anteil der über 30-Jährigen sinkt in dramatischer Weise - und das unabhängig davon, ob es sich um fiktionale, um Unterhaltungs- oder um Informationssendungen handelt, in denen es um Expertenwissen geht. Ein Ergebnis, das der Institutschefin Elizabeth Prommer einen gewaltigen Shitstorm einbrachte.

"Aus den Studienergebnissen lässt sich ein Bias in den Medien ableiten, dem allerdings nicht nur Männer, sondern mitunter auch Frauen unterliegen", sagt die Schriftstellerin Nina George.

Deutschland hinkt auf dem Weg zu einer tatsächlich gleichberechtigten gestalterischen Teilhabe von Frauen im westeuropäischen Vergleich hinterher. Nicht nur das. Jetzt ertönen auch noch Rufe, die eine "konservative Revolution" fordern und Wertvorstellungen propagieren, die sich an der patriarchalisch dominierten Gesellschaftsordnung überwunden geglaubter Zeiten orientieren, ganz zu schweigen vom bedrückend retrograden Geschlechterbild, das am rechten Rand des politischen Parteienspektrums propagiert wird. Könnte es also bald vielmehr darum gehen, das bislang Erreichte zu verteidigen?

Diversität ist die Basis einer glaubhaften Demokratie. Geschlechtergerechtigkeit ist wiederum eine Frage der Integrität der Gesellschaft.

Der Autor ist Historiker und Generalsekretär des Pen-Zentrums Deutschland.

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