Süddeutsche Zeitung

Geschäftskontakte:Warum ist die Visitenkarte noch nicht ausgestorben?

Lesezeit: 3 min

Sicher, es gibt E-Mails und soziale Netzwerke. Trotzdem gehört es zum guten Ton, die kleinen Kärtchen auszutauschen. Über einen Türöffner aus Papier.

Von Nadja Lissok

Ein kleiner analoger Widerstandskämpfer weigert sich seit Jahren erfolgreich, die digitale Arbeitswelt zu verlassen: die Visitenkarte. Trotz Skype, Twitter und Xing - Programme also, die das Vernetzen und Kommunizieren mit internationalen Geschäftspartnern so einfach wie noch nie machen, gibt es sie noch. Und wenn sich selbst Facebook-Gründer Mark Zuckerberg die Mühe macht, seine Botschaft an die Geschäftswelt ("I'm CEO, Bitch") auf ein 85 x 55 Millimeter großes Papier zu drucken, muss die Karte eine Bedeutung haben. Aber welche?

Zur gesellschaftlichen Vernetzung wird die Visitenkarte in Europa schon seit Anfang des 19. Jahrhunderts verwendet. Die Sprach- und Medienwissenschaftlerin Annett Holzheid beschreibt sie in ihrer Studie "Das Medium Postkarte" als zentrales Medium innerhalb der Besuchskultur. Man gab vor einem Anstandsbesuch erst einmal höflich-distanziert die so genannte Besucherkarte ab und ermöglichte dem Gastgeber so, sich auf das Treffen vorzubereiten oder kurzfristig eine mehrere Wochen andauernde Reise anzutreten.

So ähnlich wird die Visitenkarte laut Business-Coach Horst Hanisch noch immer verwendet: "Treffe ich unterwegs einen neuen Geschäftskontakt, wird die Visitenkarte möglichst früh im Gespräch überreicht. So sieht mein Gesprächspartner sofort, wer ich bin und welche Position ich habe. Er kann mich so deutlich zuordnen." Aber hätte höfliches Nachfragen nicht den gleichen Effekt? "Nein, denn Nachfragen schränkt die Vertraulichkeit ein", so Hanisch. "Außerdem sieht mein Gegenüber direkt, wie mein Name geschrieben wird und kann ihn sich besser merken."

Der Wert des Fassbaren

Die Visitenkarte ist gewissermaßen der Türöffner, der erste Eindruck im Papierformat, bevor es zum Networking kommen kann. Entscheidend ist, dass die Karte als solche schon einen bestimmten Wert ausdrückt, denn haptische Gegenstände schätzt man instinktiv mehr. Außerdem ist der "Wohlfühlfaktor" beim Lesen auf Papier laut einer Studie der Uni Mainz höher als beim Lesen auf dem Bildschirm.

Einen besonderen Stellenwert hat die Visitenkarte im asiatischen Raum, speziell bei japanischen Geschäftsleuten. Wenn das Gegenüber die Karte nach Erhalt nicht eingehend betrachtet, fühlen sich viele Japaner gekränkt. Und in abgeschwächter Form lässt sich das sicher auch in der westlichen Geschäftswelt finden. Schließlich gibt der Kartengeber ein Stück Ego preis, das er gewürdigt sehen will. Der sadistische Börsenmakler Partrick Bateman im Thriller "American Psycho" begeht seinen ersten Mord, nachdem sein Kollege ihn mit einer schickeren Visitenkarte übertrumpft hat.

Die kurze "Nur-einen-Klick-entfernt"-Distanz im Internet macht das Pflegen von Geschäftskontakten auf der ganzen Welt viel leichter, aber andererseits auch so viel schwerer. Wer hat schon zu jedem seiner 500 E-Mail-Kontakte ein Gesicht vor Augen? Eine dauerhafte Geschäftsbeziehung beruht für gewöhnlich auf einer persönlichen Bindung, für die eine überreichte Karte zumindest ein physischer Beweis ist, sagt Martina Namisla von der Druckerei Typosatz W.

Wirkt die Karte seriös und hochwertig produziert, lässt sie Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des Unternehmens zu. Eine Karte, die mit Microsoft Paint selbst gestaltet wurde und auf der hinten noch die Werbung des Copy-Shops steht, vermittelt ebenfalls einen bestimmten Eindruck. Der Umgang mit Farbe und Schrift ist natürlich branchenabhängig. Will man lieber durch eine ungewöhnliche Form oder Größe kreativ auffallen oder in schlichtem schwarz-weiß direkt in die Brieftasche wandern? Beides hat je nach Geschäftsfeld seine Vorteile. Ein Fotograph oder Werbetexter hat eben eine andere Botschaft als ein Banker.

Ein QR-Code auf der Visitenkarte wäre gewissermaßen die perfekte Kombination aus On- und Offline-Kommunikation. Theoretisch kann der neue Geschäftskontakt noch von unterwegs auf dem Smartphone lesen, was sein neuer Bekannter macht und welche Referenzen er hat. Der Trend hat sich in der Geschäftswelt aber nicht durchgesetzt. Martina Namisla beobachtet stattdessen eine steigende Nachfrage ihrer Kunden nach veredelten, besonderen Papieren für die Karten.

Diese Beobachtung lässt sich als Rückbesinnung auf reduzierte Informationen interpretieren. Wer im Gespräch nur eine Hand voll Informationen über die Person gegenüber hat, kann man über deren Kompetenz erst einmal ein eigenes Urteil fällen. Name, Job, Adresse, Kontaktdaten. Keine weiterführenden Links oder mehrseitigen Referenzen. Weniger ist auf 85 x 55 Millimetern Papier offenbar mehr.

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