Gerechtigkeitsrechner für Unternehmen:Kampf der Lohnlücke

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Dass Frauen trotz gleicher Ausbildung, gleichen Alters und im gleichen Beruf weniger verdienen als Männer, ist bekannt. Das Bundesfamilienministerium hat nun ein Verfahren entwickelt, das für Fairness sorgen soll.

Jutta Pilgram

Die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern gehört seit ein paar Jahren zu den Lieblingsthemen deutscher Berufsforscher und Arbeitsmarktanalysten. Es gibt fast keinen Aspekt dieses Themas, den sie noch nicht wissenschaftlich ergründet haben. Denn die Tatsache, dass Frauen in Deutschland nach wie vor im Schnitt 23 Prozent weniger verdienen als Männer, wirft viele Fragen auf.

Männer bekommen trotz gleicher Qualifikation noch immer mehr Geld als Frauen. Das Bundesfinanzministerium hat ein Verfahren entwickelt, um das zu ändern. (Foto: ag.ddp)

Hängt das Lohngefälle damit zusammen, dass Frauen sich Berufe und Branchen mit traditionell niedrigem Verdienstniveau aussuchen? Stagniert ihre Gehaltsentwicklung wegen häufiger Unterbrechungen, etwa weil sie in Elternzeit gehen, Teilzeit arbeiten oder familienbedingt umziehen? Übernehmen sie ungern Verantwortung und bewerben sich seltener um Führungspositionen? Oder treten sie in Gehaltsverhandlungen einfach zu zurückhaltend auf?

All das kann einen Teil der Gehaltsunterschiede erklären. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hat diese Faktoren jedoch herausgerechnet und kommt zu dem Ergebnis: Es bleibt eine Einkommensdifferenz, die nicht erklärt und nur auf Diskriminierung zurückgeführt werden kann. Auch bei gleicher Ausbildung, gleichem Alter und gleichem Beruf liegt die Lücke immer noch bei zwölf Prozent.

Der "Gender Pay Gap", wie der Fachbegriff für die geschlechtsspezifische Einkommenslücke heißt, wird als eine der großen Ungerechtigkeiten der Gesellschaft empfunden. Und trotz aller wissenschaftlichen Erkenntnisse ist bisher wenig geschehen, um die Lücke zu schließen. Das Bundesfamilienministerium hat nun ein Verfahren entwickelt, das für mehr Fairness bei der Bezahlung sorgen soll. Vor zwei Wochen wurden die ersten deutschen Unternehmen mit dem Gütesiegel "Logib-D geprüft" ausgezeichnet, zwei Dutzend waren es insgesamt.

Logib-D" steht für "Lohngleichheit im Betrieb - Deutschland". Dahinter verbirgt sich eine Software, mit der Unternehmen kostenlos, schnell und anonym ihre Gehaltsstrukturen analysieren lassen können. "Die ausgezeichneten Unternehmen nutzen Logib-D, um mögliche Entgeltunterschiede ausfindig zu machen. Sie legen Wert auf eine faire Behandlung ihrer Beschäftigten und haben erkannt, dass eine gerechte Bezahlung auch Vorteile für das Unternehmen selbst hat", lobt das Ministerium die Preisträger. "Sie können sich so als attraktive Arbeitgeber präsentieren."

In Deutschland spricht man nicht gern über sein Gehalt. Viele Beschäftigte sind sogar vertraglich zum Stillschweigen verpflichtet. Geheimniskrämerei können auch die Firmen betreiben, die sich dem Logib-D-Verfahren unterziehen. Sie können die Ergebnisse veröffentlichen, müssen es aber nicht. Es liegt nahe, dass die ersten Unternehmen, die das Instrument genutzt haben, ohnehin für das Thema sensibilisiert waren und keine schockierenden Befunde erwarteten. Und tatsächlich betrug die bei ihnen gemessene bereinigte Lohnlücke nicht etwa zwölf Prozent, sondern zwei bis neun Prozent.

In der Schweiz ist das Logib-Verfahren schon seit 2006 im Einsatz. Dort müssen Firmen bei Bewerbungen um öffentliche Aufträge nachweisen, dass es in ihrem Betrieb keine Ungleichheit bei der Bezahlung gibt, sonst gehen sie leer aus. In Deutschland ist bisher keine derartige Kopplung vorgesehen.

An der Unverbindlichkeit des Verfahrens entzündet sich die Kritik von Opposition, Gewerkschaften und Interessenverbänden. Die SPD fordert ein Entgeltgleichheitsgesetz. Der Deutsche Juristinnenbund plädiert für ein Konzept, das sich "nicht auf freiwilliges Handeln einzelner Unternehmen verlässt". Und die Hans-Böckler-Stiftung hat zwei Wissenschaftlerinnen dabei unterstützt, eine Alternative zu Logib-D zu entwickeln.

Die beiden Entgeltexpertinnen Karin Tondorf und Andrea Jochmann-Döll kritisieren ebenfalls die Unverbindlichkeit des bestehenden Verfahrens: "Wenn sich eine Firma aus eigenem Antrieb einem Selbsttest unterzieht, muss es bei einer negativen Bewertung nicht handeln." Darüber hinaus sei Logib-D nicht rechtskompatibel und tauge nur als Personalmarketing-Maßnahme.

Die Alternative von Tondorf und Jochmann-Döll heißt Entgeltgleichheits-Check, kurz Eg-Check. Das Tool klopft die Vergütungsbestandteile einzeln auf mögliche Diskriminierung ab. Und es prüft schon bei der Eingabe von Variablen in das statistische Modell, ob diese selbst Diskriminierungspotential in sich bergen, wie das bei Logib-D der Fall sei. Denn die Forscherinnen sind überzeugt: "Ein fehlerhaft positives Ergebnis könnte Firmen in falscher Sicherheit wiegen und zur Untätigkeit verführen."

Kontakt: Das Bundesfamilienministerium stellt bis 2012 weitere kostenlose Beratungspakete für 200 interessierte Unternehmen zur Verfügung. Die Bewerbungsrunde läuft bis zum 20. November. Tel. 0221- 4981728, www.logib-d.de

Das Verfahren Eg-Check, das von der Hans-Böckler-Stiftung unterstützt wird, analysiert auf Basis der geltenden Rechtslage alle Vergütungsbestandteile einzeln nach möglicher Diskriminierung. Tel. 0211- 77780, www.eg-check.de

© SZ vom 17.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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