Lohngerechtigkeit:Sympathie für die Erzieher

Warnstreik im Sozial- und Erziehungsdienst

Demonstration mit Puppenwagen: Bald droht in deutschen Kindertagesstätten ein unbefristeter Streik.

(Foto: Jens Wolf/dpa)
  • Viele Deutsche haben dafür Verständnis, sollten sich die Beschäftigten in Sozial- und Erziehungsberufen zu einem Streik entschließen.
  • In der Bevölkerung wird die Bezahlung von Erzieherinnen und Erziehern nicht als fair empfunden.
  • Doch welche Faktoren entscheiden eigentlich darüber, wie eine Tätigkeit bezahlt wird? Lässt der Markt Lohngerechtigkeit zu?

Von Alexander Hagelüken

Vielen Eltern wird es Probleme bereiten. Falls sich die Erzieher aller staatlicher Kitas an diesem Dienstag zu einem unbefristeten Streik entschließen, sind die Kleinen ohne Betreuung. Ihre berufstätigen Eltern müssen schnell etwas anderes organisieren - oder zu Hause bleiben. Und doch: Über den möglichen Ausstand wird erstaunlich wenig gemurrt. "Es gibt eine Grundsympathie in der Bevölkerung für die Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe", glaubt Reinhard Bispinck, Leiter der Tarifabteilung im gewerkschaftsnahen WSI-Institut. "Die Öffentlichkeit ist bislang auf der Seite der Erzieherinnen", analysiert der Soziologe Stefan Kerber-Clasen.

Wie kommt das? Offenbar finden zahlreiche Deutsche, dass Erzieher mit durchschnittlich 2500 Euro brutto im Monat nicht gerade fürstlich entlohnt sind. Und deshalb völlig zu Recht für mehr Geld streiken. Zu beobachten ist ein Wandel in der gesellschaftlichen Beurteilung, der sich schon beim Kita-Ausstand 2009 abzeichnete. "Vor 20 Jahren wurde die Arbeit der Kindergärtnerinnen nicht so hoch bewertet wie heute", sagt Bispinck. Ein typischer Frauenjob, quasi die Verlängerung der Mutterrolle - "aus damaliger Sicht kein Grund für eine hohe Bezahlung". Dieses Bild hat sich gewandelt, seit die Erziehung in den ersten Lebensjahren als wichtige Voraussetzung dafür gilt, was einer später mal im Beruf erreichen kann. Und seitdem mehr Mütter arbeiten gehen und darauf angewiesen sind, dass jemand anderes ihr Kind betreut.

"Der Hauptfaktor sind Angebot und Nachfrage."

Die Erzieher/innen bieten interessantes Anschauungsmaterial dafür, wie sich die Einschätzung von Berufen verändert. Wann gilt es überhaupt als fair, wie eine bestimmte Arbeit bezahlt wird? Ganz offensichtlich kann sich diese Beurteilung mit der Zeit wandeln. Was die elementare Frage berührt, warum unterschiedliche Jobs in Deutschland so auffällig unterschiedlich bezahlt werden. In Diskussionsforen oder Leserbriefspalten wird heiß diskutiert, warum ein Erzieher 2500 Euro im Monat verdient, wenn der Marketingleiter einer Maschinenbaufirma mehr als das Fünffache bekommt und der Bankchef fast das 17-fache (siehe Grafik).

Lohngerechtigkeit: SZ-Grafik: Keller, Quelle: Gehaltsvergleich.com

SZ-Grafik: Keller, Quelle: Gehaltsvergleich.com

"Der Hauptfaktor sind Angebot und Nachfrage: Was sind die Kunden bereit, für eine Tätigkeit zu bezahlen?", behauptet Oliver Stettes, Arbeitsmarktexperte des arbeitgebernahen IW-Instituts. Leicht nachvollziehbar ist das erstmal an Beispielen von Fußballern oder Rockstars, deren Anhänger bereitwillig zahlen und über die Gagen auch nicht klagen. Das Prinzip lässt sich für Stettes auch auf Firmen übertragen, die umso mehr bezahlen können, je mehr ihre Produkte am Markt erzielen - und je größer die Kompetenz eines Mitarbeiters ist, der zum Unternehmenserfolg beiträgt.

"Gerecht ist in einer Marktwirtschaft erstmal das, was der Markt zahlt", sekundiert der Bonner Ökonomieprofessor Klaus F. Zimmermann. In der Realität führe das allerdings auch dazu, dass die gleiche Arbeit unterschiedlich entlohnt wird: "Die Sekretärin bei einem Handwerker verdient wesentlich weniger als bei Siemens". Weil sie aber vielleicht nicht umziehen will, um mehr zu verdienen, nimmt sie den niedrigeren Lohn hin. Zimmermann räumt auch ein, dass sich an den Ergebnissen des Marktes durchaus zweifeln lässt: "Wenn man schmutzige Arbeit verrichtet, sollte man mehr bekommen. Ist aber meistens nicht so. Das ist ungerecht. Der Markt kann ungerecht sein."

Was ist eigentlich faire Bezahlung?

Jobs wie Erzieher, Altenpfleger oder Polizisten tauchen häufig in der Diskussion darüber auf, ob die unterschiedlichen Löhne in Deutschland eigentlich fair sind. Hierbei gibt es ein wichtiges Merkmal: Anders als bei einem Autowerker oder dessen Vorstandschef zahlen die meisten Kunden nicht direkt für die zumindest halbstaatlichen Leistungen eines Altenpflegers oder Polizisten - weshalb auch keine höhere Nachfrage, wenn es sie denn geben würde, die Löhne dieser Berufsgruppen nach oben treibt. Es gibt in der Regel keine Gewinne, die sich an die Mitarbeiter weitergeben lassen. Das ist nur anders, wenn Eltern mehr für eine private Kita bezahlen, was sich meist in höheren Löhnen als in staatlichen Kitas niederschlägt. Ökonom Zimmermann glaubt, dass sich der öffentliche Applaus für die Erzieher der staatlichen Kitas nur begrenzt in ihrer Bezahlung ausdrücken wird: "Der Staat hat es ja in der Hand, die Löhne zu erhöhen, indem er höhere Steuern verlangt, um das zu bezahlen. Die Sympathie für den Streik ist nur solange da, solange der Bürger nicht zahlen muss."

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Wer vom Sonderfall staatlicher Arbeitgeber zu privaten Unternehmen übergeht, entdeckt unterschiedliche Entwicklungen. Die Wirtschaftsleistung der Industriestaaten nimmt über die Jahre stetig zu, und damit das Volkseinkommen, das sich auch per Lohn an die Arbeitnehmer auszahlen lässt. Doch während die Bezahlung deutscher Topmanager in den vergangenen zwei Dekaden deutlich stieg, blieb die Masse der Arbeitnehmer hintendran. Die Reallöhne der Beschäftigten sind zwar 2014 wieder gestiegen, aber sie erreichten damit erst wieder das Niveau des Jahres 2000. Ein Grund dafür ist, dass die Globalisierung zwar die Gehälter von Topmanagern steigen ließ, aber gleichzeitig das Angebot an Arbeitskräften erhöhte, die mit deutschen Normalverdienern konkurrieren. Wobei die Mitarbeiter deutscher Exportfirmen besser bezahlt werden als viele Beschäftigte der Dienstleistungsbranchen, die der Globalisierung weniger ausgesetzt sind. Ein wichtiger Grund für die stagnierenden Reallöhne ist daher die schwindende Macht der Gewerkschaften: Galten Mitte der 90er-Jahre noch für 75 Prozent der Arbeitnehmer Tariflöhne, sind es heute 58 Prozent - und 2,5 Millionen Deutsche mehr arbeiten zum Niedriglohn.

Die Unterschiede zwischen Normal- und Topverdienern sind also größer geworden. Die Frage ist, wie viel öffentlichen Furor dies am Ende des Tages erzeugt. "Löhne werden als gerecht empfunden, wenn sie in Relation zu anderer Bezahlung als fair angesehen werden", sagt WSI-Experte Bispinck. "Die Leute vergleichen sich aber eher mit ihren Arbeitskolleginnen und -kollegen als mit VW-Chef Winterkorn."

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