Skurriler Arbeitsalltag:"Im Büro geschehen die spannendsten Dinge"

Georg M. Oswald, Arbeitsrechtler und Schriftsteller, erzählt, über welche skurrilen Situationen im Büro er sich besonders freut.

Christina Maria Berr

Georg M. Oswald, Arbeitsrechtler und Schriftsteller, lässt sich vom täglichen Büroleben inspirieren. Im Interview spricht er über Rituale im Büro, betriebsbedingte Kündigungen und seinen Blick auf die Arbeitswelt.

Georg M. Oswald, Foto: Martin Fengel/oh

"Wir machen uns unglaublich viele Gedanken über Regeln": Schriftsteller und Arbeitsrechtler Georg M. Oswald.

(Foto: Foto: Martin Fengel/oh)

sueddeutsche.de: Als Autor schreiben Sie gerne über die Arbeitswelt, in der Sie sich als Rechtsanwalt auch bewegen. Inwieweit beeinflusst Sie Ihre Arbeit als Jurist beim Schreiben?

Georg M. Oswald: Das Leben im Büro ist sehr inspirierend. Nur oberflächlich betrachtet ist es ein Ort, an dem nichts passiert außer eben der Arbeit. Wer genauer hinsieht, stellt fest, dass dort die spannendsten Dinge geschehen. Im Büro tragen wir soziale Konflikte aus, streiten wir, verlieben uns, was auch immer. Alles, was wir im Leben tun, tun wir auch im Büro.

sueddeutsche.de: Da machen Sie keinen Unterschied?

Oswald: Nein, wenngleich das Büro eine noch größere Herausforderung darstellt, denn dort hat man unausweichlich mit Leuten zu tun, die man sich nicht ausgesucht hat. Man ist ständig mit Menschen konfrontiert, deren Nähe man nicht gesucht hat. Das bringt manchmal große Emotionen hervor, auch große Komik, und es führt zu seltsamen Deformationen. All das beobachte ich so genau wie möglich und versuche es einzufangen.

sueddeutsche.de: Sie beobachten also auch den Umgang in Ihrer Kanzlei?

Oswald: Ja, natürlich, aber je vertrauter die Umgebung ist, desto weniger auffällig erscheint sie einem. Ich bemühe mich allerdings, möglichst viel von anderen mitzubekommen. Wenn ich zum Beispiel beobachte, wie sich zwei Geschäftsleute in der U-Bahn oder am Flughafen unterhalten, ihre Gesten, ihr Lachen, ihre Frisuren. Da fällt mir bestimmt eine Geschichte ein. Oder ich lese eine angeblich wissenschaftliche Studie, die belegt, dass das Aufmerksamkeitsverhalten von Hunden und Mitarbeitern große Ähnlichkeiten aufweist, wenn es um Strafen und Belohnungen geht. So etwas ist doch eine Steilvorlage!

sueddeutsche.de: So wie Sie den Büroalltag beschreiben, klingt er sehr witzig.

Oswald: Aus der Distanz betrachtet ist er das. Ständig geht es darum, seine Stellung zu behaupten und dabei noch positiv, lässig und souverän zu erscheinen. Außerdem befürchtet man ja auch noch, den Anforderungen nicht zu genügen, nicht dazuzugehören, Fehler zu machen. Das alles ist manchmal existenziell und lächerlich zugleich. Ich will mich dabei nicht über irgendjemand lustig machen. Es geht mir eher darum, den Leser dazu zu bringen, manchmal einen Schritt zur Seite zu treten und für einen Augenblick über die Lage zu lachen, in der er steckt.

sueddeutsche.de: Wie sehen die Rituale in Ihrer Kanzlei aus?

Oswald: Es gibt sicher viele, die mir gar nicht als solche auffallen. Sie zu beschreiben wäre wahrscheinlich besonders entlarvend. Ein offensichtliches ist zum Beispiel: Wir gehen immer mittwochs gemeinsam Schweinebraten essen. Immer in das gleiche Lokal, und es ist völlig undenkbar, dass da einer fehlt oder was anderes bestellt. Von außen betrachtet sieht das in seiner sturen Regelmäßigkeit sicher eher merkwürdig aus. Aber für uns scheint dieses Ritual wichtig zu sein, und es geht dabei bestimmt nicht nur ums Essen.

sueddeutsche.de: Regeln sind im Büroalltag wichtig, um miteinander auszukommen.

Oswald: Ja. Wir machen uns ständig unglaublich viele Gedanken über Regeln. Insbesondere in Deutschland sind wir da ja führend. Das geht von Anstandsregeln über allgemeine Verhaltensregeln, Denkgebote und -verbote bis zu rechtlichen Regeln. Diese Regeln werden tagtäglich neu definiert und verändern sich dauernd. Es ist nicht leicht, den Überblick zu behalten.

"Hinter betriebsbedingten Kündigungen stecken oft persönliche Gründe"

sueddeutsche.de: In Ihrem jüngsten Roman Vom Geist der Gesetze geht es unter anderem um einen bekannten Strafverteidiger, der sich durch einen Justizskandal laviert. Über ihre eigenen Fälle vor Gericht schreiben Sie aber nicht?

Oswald: Nein, das wäre indiskret meinen Mandanten gegenüber.

sueddeutsche.de: Der bekannte Strafverteidiger Ferdinand von Schirach hat genau das gemacht.

Oswald: Er hat die Fälle so modifiziert, dass die Personen nicht wiederzuerkennen sind. Als Anwalt hat er dabei sicher sehr genau darauf geachtet, die Persönlichkeitsrechte seiner Mandanten nicht zu verletzen. Es spricht allerdings überhaupt nichts dagegen, Sachverhalte aus veröffentlichten Urteilen zur Grundlage von Geschichten zu machen, zumal, wenn man sie entsprechend verfremdet.

sueddeutsche.de: In Zeiten der Wirtschaftskrise gibt es immer wieder Debatten um absurde Kündigungsfälle, etwa weil eine Bulette unerlaubt gegessen wurde. Als Anwalt für Arbeitsrecht vertreten Sie auch Arbeitnehmer in Kündigungsschutzklagen. Nehmen denn Kündigungen dieser Art zu?

Oswald: Sie erregen jedenfalls mehr Aufmerksamkeit als früher. In einer Zeit, in der es Angestellte gibt, die Millionen verzocken können, ohne um ihren Bonus fürchten zu müssen, ist nicht zu verstehen, warum am anderen Ende der Nahrungskette ein Getränkebon über ein paar Cent für eine fristlose Kündigung ausreichen soll.

sueddeutsche.de: Wie gehen denn die meisten Klagen vor dem Arbeitsgericht aus?

Oswald: Die meisten Fälle werden durch Vergleiche erledigt. Der Arbeitnehmer verliert seinen Job und bekommt dafür eine Abfindung. Ein kleiner Teil der Prozesse wird fortgesetzt. Aber das ist für beide Seiten mit höheren finanziellen Risiken verbunden und es ist auch für einen Mitarbeiter schwierig, wenn er gewinnt und nach Monaten ins Unternehmen zurückkommt und genau weiß, dort will ihn keiner haben.

sueddeutsche.de: Halten Sie denn Vergleiche daher für sinnvoll?

Oswald: Bevor man sich psychisch fertigmacht, ist es der bessere Weg. Aber es ist nicht das, was sich der Gesetzgeber ursprünglich beim Kündigungsschutz gedacht hat.

sueddeutsche.de: Und was ist der häufigste Kündigungsgrund?

Oswald: Die betriebsbedingte Kündigung. Hinter vielen betriebsbedingten Kündigungen stecken aber persönliche Gründe.

sueddeutsche.de: Was passiert, wenn der Arbeitgeber wegen Kündigungen, die er vornehmen will, zu Ihnen kommt?

Oswald: Dann prüfen wir, ob es aus juristischer Sicht einen Kündigungsgrund gibt. Auch einen Aufhebungsvertrag anzubieten, kann in Betracht kommen.

sueddeutsche.de: Sie vertreten sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer - welche Seite ist Ihnen denn lieber?

Oswald: Das lässt sich nicht allgemein beantworten. Am liebsten vertrete ich Fälle, von denen ich persönlich überzeugt bin. Und ob ich das bin, ist keine ideologische Frage, sondern eine sachliche.

Georg M. Oswald, Wie war dein Tag, Schatz? Berichte aus dem Bürokampf, Piper Verlag.

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