Genosse Praktikant:"Eigentlich eine Schweinerei"

Für ihren Berufseinstieg nehmen Studenten viel in Kauf. Doch der Widerstand gegen Ausbeutungsverhältnisse wächst.

Sebastian Deck

Matthias lässt sich freiwillig ausbeuten: Das Praktikum, das der BWL- und Sport-Student im sechsten Semester absolviert, hätte er für sein Studium eigentlich nicht machen müssen. Trotzdem arbeitet er in einem vom Land Sachsen finanzierten Projekt im Bereich Öffentlichkeitsarbeit sechs Monate lang 40 Stunden in der Woche - ohne Vergütung. Eine doppelte finanzielle Belastung, denn für seinen Studentenjob hat er nun kaum noch Zeit. "Eigentlich eine Schweinerei", findet der 26-Jährige, "aber immer noch besser, als nach dem Abschluss überhaupt keine Berufserfahrung zu haben". Die zuständige Beratungsstelle an seiner Universität riet ihm von dem Praktikum zu diesen Konditionen ab.

Schreibtisch, Arbeitsplatz, Praktikum

Ausgenutzt und abserviert? Nach dem Praktikum ist für die meisten Schluss. Die Jobsuche geht weiter.

(Foto: Foto: photodisc)

Nach Schätzungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) arbeitet mehr als die Hälfte der knapp zwei Millionen Studenten in Deutschland regelmäßig - und das oft unter "prekären Bedingungen". Immer häufiger fallen darunter auch zweifelhafte Praktika. Dass Firmen finanziell von Praktikanten profitierten, sei legitim, sagt Christian Kühbauch, Bundesjugendsekretär des DGB. Problematisch werde es aber, wenn die Praktikanten keine Gegenleistung für ihre billige Arbeitskraft erhielten, also keine qualifizierte Praxis. Im schlimmsten Fall ersetzten sie reguläre Arbeitsplätze.

Die Abteilung "Students at work" des DGB will nun den Missbrauch eindämmen. Auf politischer Ebene und bei Betriebsräten kämpft sie für ein Recht auf Betreuung und Ausbildung im Praktikum, ein qualifiziertes Zeugnis und einen geregelten Mindestlohn. In Büros auf dem Campus oder im Internet können sich Praktikanten über ihre Rechte und die Arbeitsbedingungen bei ihrem zukünftigen Arbeitgeber informieren. Schlechte Bewertungen durch ehemalige Praktikanten sollen Ausbeutungsverhältnisse verhindern. Mehrere tausend Nutzer haben das Bewertungsportal im Internet bereits besucht.

Opfer und Täter

Auch das Institut "Student und Arbeitsmarkt" der Ludwig-Maximilians-Universität München setzt auf einsehbare Praktikumsberichte. Daneben bietet es Kurse an, in denen sich Interessenten für ihr Praktikum qualifizieren können. "Sinnlos ist ein Praktikum, wenn dauerhaft unqualifizierte Tätigkeiten wie die Pflege einer Personaldatenbank verlangt werden", sagt Geschäftsführer Harro Honolka. Besonders häufig würden Praktikanten in großen Firmen, in der Werbung, den Medien oder in Unternehmensberatungen für unqualifizierte Arbeiten eingesetzt. Honolka rät dazu, sich auch in weniger überlaufenen Branchen und bei Mittelständlern zu bewerben. Praktika, die mehr als drei Monate dauern oder überdurchschnittlich gut bezahlt würden, solle man kritisch prüfen.

Auch Absolventen bleiben von der Problematik nicht verschont. Tina, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, hat sich seit ihrem Abschluss in Soziologie vor drei Jahren von einem schlecht bezahlten Praktikum zum nächsten gehangelt, obwohl sie schon während des Studiums zwei Praktika absolvierte. "Ich sehe jetzt keinen Sinn mehr in einem weiteren Praktikum. Was mir für einen Job fehlt, ist echte Berufserfahrung", sagt die 30-Jährige.

Der DGB schätzt die Zahl der Angehörigen der "Generation Praktikum" - der Hochschulabsolventen in unterbezahlten Praktika - auf ungefähr 100 000. "Wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass die Betroffenen Opfer und Täter zugleich sind", sagt Kühbauch. Viele Architektur-Absolventen arbeiten dauerhaft zu Praktikumskonditionen. Der nächste Schritt: Praktikanten müssen für ihren Platz sogar noch bezahlen.

Dass die Beschäftigung von Hochschulabsolventen als Praktikanten oft unzulässig ist, zeigt der Fall von Bettina Richter. Nach ihrem BWL-Abschluss im November vor zwei Jahren absolvierte die Berlinerin Praktikum Nummer fünf und sechs, eines davon ohne Bezahlung. Als sie sich anschließend bei einer Tochterfirma der Caritas für eine reguläre Stelle bewarb, sagte man ihr, sie müsse vorher erst ein unbezahltes Test-Praktikum absolvieren. Einen Monat lang. Richter sagte zu, klagte später gegen diese Praxis und gewann den Prozess. Ihr Arbeitgeber musste nachträglich den vollen Monatslohn zahlen.

Mit ihrem Verein "fairwork" kämpft Richter seither für die Interessen der akademischen Berufseinsteiger. Fünf Mitglieder beraten ehrenamtlich die "Generation Praktikum" und kämpfen für faire Arbeitsbedingungen. Der juristische Weg der Klage ist nicht immer möglich: "Das sollte man nur machen, wenn man schon einen anderen Job hat und sich von dem ehemaligen Arbeitgeber nichts mehr erhofft", sagt Richter. Ihr Fall sei aber wichtig gewesen, um auf das Problem aufmerksam zu machen. Als Einzige bei "fairwork" hat sie übrigens inzwischen einen festen Job.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: