Süddeutsche Zeitung

Lohnungleichheit:Der Gender Pay Gap ist eine Unverschämtheit

Sechs Prozent Lohnunterschied zwischen den Geschlechtern sind keine Kleinigkeit. Frauen müssen einige Dinge endlich selbst in die Hand nehmen.

Kommentar von Henrike Roßbach

Der Muttertag kann eine rührende Angelegenheit sein. Mit zerrupften Kinderblumensträußen, strahlend überreichten Kunstwerken ("Nein, das ist kein Baum, das ist ein Einhorn") und einmal aussetzen zu dürfen bei der Ab-ins-Bett-Abendvorstellung. Dennoch hat der Muttertag immer auch etwas von innerfamiliärem Ablasshandel für begangene Sünden.

Ähnlich verhält es sich hin und wieder mit dem Frauentag am 8. März. Exemplarisch hat das gerade erst die Immobilienfirma Engel & Völkers bewiesen. Auf Twitter verbreitete sie ein Foto ihrer fünf männlichen Vorstände und teilte mit, diese Herren machten sich derzeit "Gedanken zum 8. März", nämlich: "Welche Frauen die Engel & Völkers-Vorstandsmitglieder beeindrucken." Den Rest der Welt allerdings beeindruckte in erster Linie das schiere Ausmaß an Blödheit, eine Boys-Runde zum Club der Frauenversteher umzudeuten.

Frauen haben viel erreicht, seit vor 100 Jahren die erste Frau im Reichstag eine Rede halten durfte. Von echter Gleichberechtigung aber kann in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft noch immer nicht die Rede sein. Nicht einmal auf jedem zehnten Vorstandssessel in den 200 größten Unternehmen hierzulande sitzt eine Frau, im Bundestag liegt der Frauenanteil bei knapp 31 Prozent. Frauen nehmen länger Elternzeit als Männer, arbeiten häufiger in Teilzeit, übernehmen den Großteil der Hausarbeit und Kinderbetreuung, verdienen weniger und kriegen weniger Rente.

Die Verdienstlücke, der sogenannte Gender Pay Gap, liegt bei 21 Prozent. Rechnet man Faktoren wie Berufswahl, Führungspositionen, Qualifikation, Arbeitsumfang, Ausbildung oder Berufserfahrung heraus, bleiben immer noch etwa sechs Prozent. Manche finden das eine Kleinigkeit. Das ist es aber nicht. Es ist eine Unverschämtheit - und zwar nicht nur wegen der übrig gebliebenen sechs Prozent, sondern auch wegen der Rechenakrobatik an sich. Die nämlich basiert auf der Unterstellung, die Situation der Frauen auf dem Arbeitsmarkt sei - leider, leider - selbst gewähltes Schicksal. Das stimmt aber höchstens teilweise. Denn Teilzeit, längere Babypausen und die geringe Repräsentanz von Frauen in den Führungsetagen haben viel zu tun mit der bestehenden Unternehmenskultur, den Spielregeln auf dem Arbeitsmarkt, dem gesellschaftlichen Umfeld und letztlich auch der Steuer- und Sozialpolitik.

Hinzu kommt noch etwas anderes, wie nun eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zeigt: In vielen Berufen werden die typisch weiblichen Formen des Arbeitens auch noch bestraft. Dort verdienen Teilzeitkräfte rechnerisch in der Stunde deutlich weniger als ihre Vollzeitkollegen. Kleiner wird die Lohnlücke dort, wo Tarifverträge solche Modelle unterbinden. Sie korrigieren nebenbei auch noch etwas anderes: dass Frauen oft schlechter und weniger hart verhandeln, wenn es ums Gehalt geht.

Frauen dürfen sich bei der Berufswahl nicht selbst beschränken

Es haben aber auch die Frauen einige Dinge selbst in der Hand. Oder besser: Sie sollten sie dringend selbst in die Hand nehmen. Selbstbewusst das eigene Können betonen und eine entsprechende Bezahlung einfordern, zum Beispiel. Das kann einem kein Steuergesetz und keine Frauenquote der Welt abnehmen. Auch der Zuruf "Augen auf bei der Berufswahl" hat seine Berechtigung, so herablassend er auch oft verwendet wird. Der Druck auf eine bessere Bezahlung typischer Frauenberufe steigt zwar, weil inzwischen auch der Letzte begriffen haben dürfte, dass Lehrerinnen, Erzieherinnen und Pflegerinnen systemrelevant sind. Dennoch sollten Mädchen und junge Frauen sich weniger stark selbst beschränken, als sie es häufig noch tun.

Und was ist mit Teilzeit? In der Tat ist es bei Eltern in bestimmten Lebensphasen oft nicht drin, dass beide Vollzeit arbeiten. Sei es, weil sie das der Kinder zuliebe nicht wollen oder weil sie es wegen der fehlenden Betreuungsinfrastruktur nicht können. Aber: Es ist kein Naturgesetz, dass nur die Frau ihre Arbeitszeit verringert, und das dann auch noch um die Hälfte oder mehr. Vollzeitnah zu arbeiten ist auch eine Entlastung im Alltag und bremst die eigene Karriere viel weniger aus als ein 20-Stunden-Job. Dass es sich für Eltern lohnt, Beruf und Familie gerechter untereinander aufzuteilen, dafür allerdings muss die Politik sorgen. Und zwar schnell.

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