Süddeutsche Zeitung

Gehirn-Doping:"Jeder sollte mit Pillen seine Intelligenz steigern dürfen"

Studenten trinken längst nicht mehr nur Kaffee: Sie putschen sich mit Lernpillen auf. Trendforscher Sven Gábor Jánszky über Gehirndoping.

Meike Strüber

sueddeutsche.de: Herr Jánszky, was versteht man unter Gehirndoping?

Sven Gábor Jánszky: Gehirndoping beschreibt die Verbesserung der Hirnleistung durch Medikamente. Es wird mit Pillen betrieben, die eigentlich für Kranke gedacht sind. Gesunde können dadurch ihre Hirnleistung deutlich verbessern: Sie können sich Dinge besser merken und werden gleichzeitig kreativer - weil sich Informationen im Hirn schneller verbinden als ohne Medikamente. In den nächsten Jahren wird sich dieser Trend immer mehr verbreiten.

sueddeutsche.de: Woran machen Sie diesen Trend fest?

Jánszky: In Internetapotheken stieg in den letzten Monaten der Verkauf von Medikamenten fürs Hirn sprunghaft an. Ansonsten werden solche Mittel so gut wie nie verkauft.

sueddeutsche.de: Wie wurden diese Medikamente bekannt?

Jánszky: Amerikanische Kampfpiloten haben festgestellt, dass sie mit Ritalin und ähnlichen Mitteln ihre Aufmerksamkeit steigern können. Diese Information gelangte über das Internet erst in die amerikanische, dann in die deutsche Studentenszene. So haben auch Studenten angefangen, vor Prüfungen die Mittel zu nehmen.

sueddeutsche.de: Wie weit ist das Gehirndoping unter deutschen Studenten verbreitet?

Jánszky: Es gibt hierzulande zwar noch keine konkreten Untersuchungen, aber viele Studenten nehmen die Mittel bereits ein. In den USA dopen sich laut verschiedenen Studien 16 bis 25 Prozent der Studenten regelmäßig vor Prüfungen. Bei uns sind es etwas weniger, weil man die Medikamente nicht rezeptfrei in normalen Apotheken bekommt, sondern nur im Internet. Aber sobald klar wird, dass die Nutzer tatsächlich in ihren Prüfungen Erfolge haben, wird sich Gehirndoping schnell verbreiten. Einige Professoren haben mir bereits berichtet, dass ihre Studenten plötzlich besser geworden sind, und führen das auf Gehirndoping zurück.

sueddeutsche.de: Wo fängt denn Hirndoping an? Wenn sich ein Student mit einem Betablocker beruhigt? Oder erst bei Aufputschern wie Ritalin?

Jánszky: Die Frage, wo man die Grenze zieht, ist genauso schwierig wie die Frage, ob Alkohol ein Suchtmittel ist. Im Grunde ist Kaffeetrinken zum Wachwerden nicht viel anders. Man nimmt einen Wirkstoff ein, der im Gehirn etwas bewirkt. Man könnte also argumentieren, dass Kaffeegenuss zwar nicht zur verstärkten Ausschüttung von Dopamin führt, aber möglicherweise genauso wie die Medikamente zu besseren Leistungen führt.

sueddeutsche.de: Wird es an Unis in Zukunft eine Art Dopingtest geben?

Jánszky: Ich glaube nicht. Aber da spielt die moralische Debatte eine große Rolle. Es gibt in der Regel zwei Sichtweisen:

Die "schöpfungsgeschichtlichen" Anhänger sagen, dass der Mensch geboren ist, wie er ist, und das darf man nicht verändern. Wenn diese Sichtweise in Deutschland gewinnt, dann muss man einen Dopingtest an Unis einführen.

Die zweite Sichtweise hingegen fragt: Ist es gerecht, dass ein Mensch, der mit weniger Intelligenz geboren ist, diese nicht korrigieren darf? Wenn das die vorherrschende Ansicht wird, wird sich die "Korrektur per Pille" etablieren.

sueddeutsche.de: Welche Meinung wird sich durchsetzen?

Jánszky: Ich denke, die zweite Ansicht wird gewinnen.

sueddeutsche.de: Heißen Sie das gut?

Jánszky: Ja, denn ich finde keine Antwort auf genau diese Gerechtigkeitsfrage: Wieso soll es fair sein, dass wir mit unterschiedlichen Hirnleistungen auf die Welt kommen und diese nicht korrigieren dürfen? Jeder sollte mit Pillen seine Intelligenz steigern dürfen.

sueddeutsche.de: Wird Leistung dann zukünftig noch mehr vom Geldbeutel abhängig sein? Die Pillen sind schließlich nicht billig.

Jánszky: Diese Ungerechtigkeit haben wir in allen Lebensbereichen. So funktioniert eben unsere Gesellschaft: Die einen können in Urlaub fahren, zur Uni gehen - die anderen nicht. Das ist ungerecht. Aber ich sehe keinen Grund, warum es gerade in diesem Spezialbereich des Hirndopings anders laufen sollte.

sueddeutsche.de: Können die Menschen im Berufsleben und an der Uni in Zukunft ohne Gehirndoping überhaupt noch mithalten? Oder wird es eine Zweiklassengesellschaft geben?

Jánszky: Nein, das glaube ich nicht. Gehirndoping wird sicher bald von vielen genutzt. Und im Spektrum der Intelligenz werden dann diejenigen, die keine Mittel nehmen, ein bisschen "runterrutschen". Das heißt aber nicht gleich, dass sie keine Chance mehr haben.

sueddeutsche.de: Wird sich der Arbeitsmarkt durch Gehirndoping verändern?

Jánszky: Ja. In Manageretagen wird es zum normalen Ton gehören, diese Dinge zu nehmen. Alles unter dem Vorbehalt, dass nicht jemand in den nächsten Jahren krasse Abhängigkeitsgefahren feststellt. Aber darauf deutet momentan nichts hin.

sueddeutsche.de: Was machen die Medikamente mit gesunden Menschen? Gibt es Nebenwirkungen?

Jánszky: Mir ist noch keine Studie begegnet, die über Nebenwirkungen und Langzeitwirkungen berichtet. Die Studien der Pharmaindustrie gehen über Jahre, deshalb gibt es noch keine Ergebnisse. Aber die üblichen Gehirndoping-Medikamente sind alle zugelassen.

sueddeutsche.de: Haben sie den Verdacht, dass sich die Pharmaindustrie auf den Markt der "Gehirndoper" vorbereitet?

Jánszky: Ich denke nicht, dass die Pharmakonzerne das offiziell zugeben würden. Aber tatsächlich wird relativ viel Geld der Unternehmen in die Demenz- und Schlaganfallforschung gesteckt. Das Thema Demenz ist zwar aktuell - aber letztendlich ist das auch kein Wahnsinnsmarkt. Eine Erklärung für die starke Forschung ist deshalb tatsächlich das Interesse daran, was diese Mittel bei Gesunden bewirken.

Auf dieser Basis sind Produkte denkbar, die gar nicht mehr Pillenform besitzen: Margarine, die ihr Kind klüger macht, oder der Joghurt, der sie für 24 Stunden kreativer macht. Das Geschäftspotential steckt gar nicht unbedingt nur in Pillen, sondern in Produkten der Food-Industrie.

sueddeutsche.de: Haben Sie die Mittel bereits selbst ausprobiert?

Jánszky: Nein, aber ich bin mir sicher, dass ich Sie als Student genommen hätte und nehmen werde, sobald solche Mittel im normalen Angebot sind. Natürlich werden die Prüfungssituationen in der Berufswelt weniger. Aber: Wenn es den Joghurt gibt, der nachweislich die Hirnleistung verbessert, warum sollte ich den nicht frühstücken, wenn ich mittags ein wichtiges Gespräch habe?

Sven Gábor Jánszky, Trendforscher und Chef der Leipziger Beraterfirma Forward2Business, organisiert einmal im Jahr einen Zukunftskongress, bei dem sich die Innovationschefs großer Unternehmen über künftige Trends austauschen. Jánszky studierte Journalismus und Politik in Leipzig, Berlin und Budapest und arbeitete dann als Journalist und als Programmdirektor der Universität Leipzig.

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