Süddeutsche Zeitung

Gehalt: Minusrunde:Aufschwung am Volk vorbei

Deutsche Arbeitnehmer haben in den vergangenen Jahren immer weniger verdient, so eine Studie des Wirtschaftsinstituts DIW. Ganz anders sieht es indes bei Beamten und Selbständigen aus.

Sibylle Haas

Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik haben Arbeitnehmer von einem Aufschwung nicht profitiert. In den jüngsten Boomjahren 2004 bis 2008 gingen die Reallöhne in Deutschland sogar zurück. Den Beschäftigten blieb damit weniger Geld übrig als in den Jahren davor. Dies zeigt eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). "Nie zuvor ging ein durchaus kräftiges Wirtschaftswachstum mit einer Senkung der realen Nettolöhne über mehrere Jahre einher", sagt DIW-Experte Karl Brenke.

Auch die Lohnquote habe inzwischen ein historisches Tief erreicht. Sie lag in den Jahren 2007 und 2008 bei 61 Prozent. Damit ist der Anteil der Löhne am gesamten Volkseinkommen so niedrig wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Im Gegensatz dazu sind die Einkommen aus selbständiger Tätigkeit und aus Kapitalvermögen kräftig gestiegen.

Grund für den Rückgang der Arbeitnehmer-Einkommen sind laut DIW geringe nominale Lohnsteigerungen, die unter der Inflationsrate blieben. Die Belastung der Löhne mit Steuern und Sozialabgaben spiele als Ursache für die Reallohnverluste eine weniger große Rolle. Allerdings sei die Abgabenlast bei den Arbeitnehmern deutlich gestiegen.

"Bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten beträgt der Anteil der Abgaben schon mehr als die Hälfte des gesamten Arbeitsentgelts", erklärt Arbeitsmarkt-Experte Brenke. Damit schulterten sie die Hauptlast, während Beamte und geringfügig Beschäftigte vergleichsweise wenige Abgaben leisteten.

Der Rückgang der Reallöhne sei bemerkenswert, weil sich die Qualifikation der Arbeitnehmer erhöht habe. "Dies hätte eigentlich einen Anstieg der Verdienste erwarten lassen", betont Brenke. Damit zeigt die Untersuchung auch, dass nicht nur die Löhne der gering Qualifizierten unter Druck geraten sind, sondern die aller Arbeitnehmer. "Eher scheint es so zu sein, dass die besonders großen Beschäftigungsprobleme der Unqualifizierten immer wieder herangezogen werden, um Forderungen nach höheren Löhnen generell im Zaum zu halten", so das DIW.

Auf der nächsten Seite: Welche Lohnquote das DIW für dieses Jahr erwartet.

Reallöhne könnten in diesem Jahr wieder zulegen

Arbeitsmarkt-Experte Brenke begründet die Lohnentwicklung insgesamt mit der schwachen Verhandlungsmacht der Gewerkschaften. "Möglicherweise ist es so, dass es den Gewerkschaften schwerer fällt, die Arbeitnehmer für höhere Lohnabschlüsse zu mobilisieren", sagt Brenke. Der Strukturwandel mache den Arbeitnehmer-Vertretern zu schaffen: In den expandierenden Dienstleistungsberufen sei der gewerkschaftliche Einfluss traditionell geringer als in der Industrie, wo die Beschäftigung stagniert.

In der momentanen Wirtschaftskrise könnten laut DIW die Reallöhne erstmals seit Jahren wieder zulegen. Dies liege aber nicht an nominal kräftigen Verdienststeigerungen, sondern an der niedrigen oder kaum mehr vorhandenen Inflation. Immerhin liegen die Tarifabschlüsse im ersten Halbjahr 2009 mit durchschnittlich drei Prozent deutlich über der Inflationsrate.

Das zeigt die jüngste Berechnung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. DIW-Forscher Brenke betont, dass die Reallöhne "aber nur für diejenigen steigen, die keine Abstriche bei der Arbeitszeit hinnehmen müssen". Kurzarbeiter schneiden also schlechter ab. Die Bundesagentur für Arbeit schätzt, dass gut 1,5 Millionen Beschäftigte aus konjunkturellen Gründen kurzarbeiten.

Das DIW erwartet, dass die Lohnquote in diesem Jahr wieder wachsen wird, weil die Gewinne einbrechen. Dies sei aber in der Rezession normal - und, wie die Erfahrung zeige, nur ein vorübergehendes Phänomen.

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SZ vom 13.08.2009/akh/cf
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