Süddeutsche Zeitung

Strafvollzug:Eignungstest am Knast-O-Mat

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Mit ungewöhnlichen Methoden suchen die Länder nach neuem Personal für den Strafvollzug - doch hinter Gittern wollen nur wenige arbeiten.

Von Miriam Hoffmeyer

Baden-Württemberg wirbt für eine "Karriere hinter Gittern", Sachsen für den "Job mit J", Berlin empfiehlt in schönstem Amtsdeutsch die "Bildungsstätte Justizvollzug". Nachwuchs-Werbekampagnen wie diese sollen helfen, den chronischen Personalmangel in den insgesamt 179 deutschen Gefängnissen zu lindern. Das Land Nordrhein-Westfalen, wo aktuell 300 von 6400 Planstellen im allgemeinen Vollzugsdienst nicht besetzt sind, startete im vergangenen Jahr das unterhaltsame Online-Tool "Knast-O-Mat". Damit können Interessenten schon mal ihre Eignung antesten - anhand von Fragen wie "Lernst du Menschen erst mal kennen, bevor du dir eine Meinung über sie bildest?", "Lässt du dich leicht beeinflussen?" Und natürlich: "Sind geschlossene Räume ein Problem für dich?"

Für viele Menschen ist es unvorstellbar, tagtäglich hinter Gefängnismauern zu arbeiten. Doch einige könnten durch die Kampagnen überhaupt erst auf die Idee kommen. "Unseren Beruf haben viele Leute gar nicht auf dem Schirm", sagt René Müller, der Vorsitzende des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands (BSBD). Bundesweit fehlten seit Jahren etwa 2000 Kolleginnen und Kollegen: "Es klappt so gerade, die Stellen neu zu besetzen, die durch Pensionierungen frei werden, aber die Lücke wird nicht kleiner." Es besteht auch nur etwa ein Zehntel aller Bewerber die Aufnahmetests und wird zur Ausbildung angenommen.

Eigentlich sei sein Beruf sehr interessant, findet Müller. "In der JVA ist kein Tag wie der andere." Vollzugsbeamte und -beamtinnen - der Frauenanteil liegt bei 20 Prozent - seien keineswegs nur für Sicherheit zuständig. "Sie sind auch ein bisschen Psychologen, Sozialarbeiter, Pädagogen, Handwerker und Dolmetscher." Doch für längere Gespräche mit Häftlingen und die eigentliche Resozialisierung bleibe wegen der zunehmenden Arbeitsverdichtung immer weniger Zeit.

Die deutschen Gefängnisse sind voll belegt, manche Beamten betreuen zeitweise bis zu 70 Gefangene. Neben verurteilten Straftätern sitzen auch Abschiebehäftlinge sowie auf unbestimmte Zeit inhaftierte "Gefährder" in den Justizvollzugsanstalten, weil auch die Abschiebehaftanstalten überfüllt sind. Die große Zahl von Häftlingen, die kein Deutsch sprechen, mache die elementare Kommunikation schwierig und zeitaufwendig, sagt Müller. Die Personalnot wird auch dadurch verschärft, dass mutmaßliche Terroristen und Extremisten zu Prozessterminen oft weite Strecken transportiert werden müssen, natürlich in Begleitung von Vollzugsbeamten.

Beim Gehalt ist in der Regel bei A9 Schluss, auch für leitende Positionen

Ein weiteres Problem: Immer mehr Gefangene sind psychisch krank. "Viele Häftlinge sind stark auffällig, neigen zur Aggression, sind kaum noch zu erreichen", sagt der BSBD-Vorsitzende. Die Kollegen müssten ständig mit Beleidigungen rechnen. Auch körperliche Angriffe seien häufiger geworden: "Das geht von Faustschlägen bis hin zu Attacken mit Rasierklingen, Stahlstangen oder kochendem Wasser."

Finanziell ist der anstrengende und gefährliche Job nicht besonders attraktiv. Justizvollzugsbeamte werden nach ihrer anderthalb- oder zweijährigen Ausbildung im mittleren Dienst auf der Stufe A7 eingestellt, wo sie zwischen 2400 bis 2700 Euro monatlich verdienen, zuzüglich 100 bis 150 Euro "Gitterzulage". Die Zulagen für Nacht- und Wochenenddienste seien deutlich niedriger als bei der Polizei, kritisiert René Müller: "Und die Aufstiegschancen sind schlecht, in der Regel ist bei A9 Schluss, auch für leitende Positionen."

Die Fachgewerkschaft fordert daher neben einer einheitlichen Besoldung auf Bundesniveau mehr Weiterbildung und vor allem bessere Möglichkeiten zum Aufstieg in den gehobenen Dienst. Eine echte "Karriere hinter Gittern" würde mehr Bewerber und besonders auch Quereinsteiger zwischen 30 und 40 Jahren anziehen, sagt Müller: "Es wäre schön, wenn sich mehr Menschen für unseren Beruf entscheiden würden, gerade auch Menschen mit Lebenserfahrung."

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Quelle:
SZ vom 14.11.2020
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