Ganztagsbetreuung in Kitas:Um 14 Uhr ist Schluss

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Mittags müssen die Kleinen wieder nach Hause: Vor allem auf dem Land gibt es viel zu wenig ganztägige Betreuungseinrichtungen für Kinder.

Felix Berth

Der Landkreis Holzminden hat für junge Eltern einen netten Service entwickelt: eine "Kinderbetreuungsbörse" im Internet, welche die Suche nach einem Kita-Platz erleichtern soll. Dumm nur, dass die Börse so wenig Angebote machen kann: Eine Kinderkrippe für ein Kind unter drei Jahren? "Für die angegebenen Kriterien konnten leider keine Angebote gefunden werden", antwortet der Computer. Ein Ganztags-Kindergarten? "Leider keine Angebote." Lediglich eine Halbtags-Offerte findet sich: Der Evangelische Kindergarten Bevern würde ein Kind aufnehmen; spätestens um 14 Uhr allerdings muss es abgeholt sein.

Wo junge Mütter arbeiten können - und wo nicht: In Niedersachsen, Baden-Württemberg und Bayern findet man zahlreiche Regionen, in denen es kaum Ganztags-Betreuung gibt. (Um die konplette Übersicht anschauen zu können, bitte auf die Karte klicken.) (Foto: SZ Grafik)

Dieser Mangel ist typisch für den niedersächsischen Landkreis, der einen Negativ-Rekord hält. In Holzminden-Land gab es im Jahr 2009 weniger Ganztagesplätze als in jedem der 575 anderen deutschen Jugendamts-Bezirke. Nur 0,7 Prozent der Kinder zwischen drei und sechs Jahren konnten dort nach einer neuen Auswertung des Deutschen Jugendinstituts (DJI) länger als sieben Stunden in den Kindergarten gehen.

0,7 Prozent - das ist kaum mehr als nichts. Üblich ist, dass Mütter ihre vier- oder fünfjährigen Kinder morgens in die Kita bringen, dann den Haushalt machen, vielleicht zwei Stunden lang einen Mini-Job erledigen und nach dem Mittagessen wieder an der Kita-Pforte stehen, um die Kleinen abzuholen.

In der Stadt Holzminden, die in der Statistik 2009 eigenständig geführt wurde, sind die Verhältnisse etwas besser. Doch die Homepage der Stadt zeigt ziemlich klar, was üblich ist und was nicht: "Das Regelangebot in den Kindergärten beträgt 4 beziehungsweise 4,5 Stunden täglich."

Immerhin vermittelt ein erfolgreicher Holzmindener Verein Tagesmütter an junge Eltern. Das lindert den Mangel, und den Bedürfnissen mancher Eltern mag es sogar besser entsprechen als der klassische Kindergarten: "Wenn Frauen im Einzelhandel bis 22 Uhr arbeiten müssen, hilft ihnen eine Tagesmutter mehr als eine Ganztags-Kita", sagt eine Mitarbeiterin des Vereins.

Holzminden mag einen deutschen Rekord halten - ein Einzelfall ist der Kreis nicht. Vor allem auf dem Land ist die Halbtags-Kita deutscher Standard.

In Niedersachsen, Baden-Württemberg und Bayern findet man zahlreiche Regionen, in denen es kaum Ganztags-Betreuung gibt (siehe Karte). Was in den siebziger Jahren üblich war - die Mama kocht am Vormittag und holt das Kind kurz vor zwölf Uhr wieder ab - ist in diesen Landkreisen im Jahr 2010 noch immer alltäglich.

Die Daten aus den Jugendamts-Bezirken, die das DJI ausgewertet hat und an diesem Mittwoch veröffentlichen wird, zeigen dennoch einen Trend zur längeren Betreuung. Zwischen 2007 und 2009 stieg die Zahl der Ganztags-Plätze deutschlandweit um fast zwanzig Prozent. Vor allem Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen fallen dabei positiv auf.

Wobei "ganztags" nach ganz viel Zeit klingt, aber in Wirklichkeit gar nicht so viel ist: Wenn Eltern mit einer Kita "sieben Stunden Betreuungszeit" vereinbaren, legt die Kita den Zeitkorridor fest, zum Beispiel von 7.30 bis 14.30 Uhr. Im Alltag werden viele Kinder um kurz nach acht gebracht und vielleicht um 14.15 Uhr abgeholt - das ergibt einen halben Tag, der den Müttern zum Arbeiten bleibt. Trotz "Ganztags"-Betreuung.

Engagierte Städte sind erfolgreich

In westdeutschen Städten, das zeigt die Karte auch, ist Ganztags-Betreuung inzwischen Standard. Eltern, die mehr als den Halbtags-Kindergarten benötigen, haben dort Chancen darauf. So erreichen engagierte Städte - Köln, München und Heidelberg zum Beispiel - Erfolge, die man bisher nur aus Ostdeutschland kannte. In diesen Städten kommt es nur selten vor, dass Kinder überhaupt nicht in den Kindergarten gehen: Deutlich mehr als neunzig Prozent der Drei- bis Sechsjährigen besuchen dort eine Kita.

Für DJI-Chef Thomas Rauschenbach ist das ein Hinweis darauf, dass die in der Integrationsdebatte diskutierte Pflicht zum Kita-Besuch so gut wie nichts ändern würde: "Die meisten Migranten leben in größeren Städten - doch da sind die Besuchsquoten der Kindergärten selbst bei Dreijährigen kaum noch steigerbar", sagt Rauschenbach.

Was nach den Vorstellungen von Politikern wie dem Berliner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky Pflicht werden soll, wird in den Städten demnach von den Kindern meist schon erfüllt.

Rauschenbach plädiert dafür, die Ausbildung des Personals zu verbessern. Deutschland ist eines der wenigen Länder, in dem für die Arbeit in einer Kita kein Hochschul-Abschluss nötig ist. Und längst nicht alle haben den Abschluss "Erzieherin" geschafft: Vor allem in Bayern, aber auch in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen arbeiten noch zahlreiche schlechter ausgebildeten Kinderpflegerinnen. "Wer in Kindertagesstätten Bildung vermitteln will, braucht dafür höher qualifiziertes Personal", sagt Rauschenbach.

© SZ vom 22.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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