Führungsspitzen:Verräterischer Aktenkoffer

Besser nicht auffallen: In Zeiten, in denen Transparenz gefragt ist, sind Netzwerke nicht immer von Vorteil. Je weniger Kontakte, desto größer die Aufstiegschancen.

A. Borchardt

Dies ist eine schlechte Nachricht für alle Kofferträger: Ihre Zeit läuft ab. Nein, jetzt sollten sich nicht jene Menschen angesprochen fühlen, die sich nur im übertragenen Sinne ein solches Gepäckstück haben aufladen lassen; sie werden auch dann noch gebraucht werden, wenn man längst mit Google Office View im Büro der Bundeskanzlerin flanieren kann. Gemeint ist in diesem Fall der Aktenkoffer aus Leder.

Mit der Frauenquote hat das ausnahmsweise nichts zu tun. Eher damit, dass es schon jetzt ziemlich out ist, in solchen Behältnissen zum Beispiel dicke Bündel Geldscheine über Grenzen in steuerzahlerfreundliche Nachbarländer zu transportieren oder sie zwecks Auftragsanwerbung Scheichs, Parteikadern und sonstigen Funktionären zuzuführen.

Selbst wenn das wegen seiner frei wählbaren Größe so beliebte Männlichkeitssymbol in Fortsetzung der Kindergartentasche nichts weiter als ein Butterbrot enthalten sollte, kann sein Gebrauch kritisch sein. Dies mussten kürzlich auch Guido Westerwelle und sein Lebenspartner Michael Mronz erfahren. Weil Mronz sich dabei fotografieren ließ, wie er im Gleichschritt mit dem Bundesaußenminister einen Aktenkoffer in Berlin-Tegel über das Rollfeld schleppte, musste er sich tagelang anhören, er begleite den Vizekanzler rein zu geschäftlichen Zwecken.

Besser als eine Damenhandtasche

Noch mehr Aufsehen hätte er wohl nur durch Tragen einer Damenhandtasche erregt. Wobei auch jene Transporthilfen - wohl als Ausdruck versuchter Gleichberechtigung - heute oft auf Koffergröße angeschwollen sind.

Der Reputationsverlust des Koffers geht mit dem veränderten Zeitgeist einher: Transparenz ist angesagt. So liefern Heere von Anwälten Konzernen Kataloge darüber, wie groß der Kugelschreiber sein darf, der dem Geschäftspartner als Gastgeschenk überreicht wird und ob die Opernkarten noch als solches durchgehen oder die Einladung zum Auftritt der betrieblichen Chorgemeinschaft reichen muss.

Durchsichtige Amtsträger

Und schon die Liste der Reisebegleiter eines politischen Amtsträgers muss so durchsichtig sein wie jene Plastiktütchen, in denen der Flugpassagier an der Handgepäckkontrolle Zahnpasta und Anti-Falten-Creme präsentiert. Empfiehlt sich zum Beispiel jemand für die Entourage, dessen berufliche Verdienste dadurch ergänzt werden, dass er dem Chef der Delegation freundschaftlich verbunden ist, sollten in diesen Tagen seine Chancen auf ein Ticket sinken. Was bislang als Eintrittskarte in die Kreise der Mächtigen galt, kann in Zeiten des anonymen Lebenslaufs zum Ausschlusskriterium werden.

Gut, dass es Internet-Netzwerke gibt, die sekundenschnell offenbaren, wer mit wem irgendwie verbandelt ist. Vermutlich hat der Gründer von Facebook, Mark Zuckerberg, bei der Taufe der Firma an seine Mutter gedacht, die die Grundzüge der Transparenz so erklärt haben könnte: "In deinem Gesicht kann ich lesen wie in einem Buch."

Verlierer werden zu Gewinnern

Von dieser Entwicklung profitieren jene Karriere-Verlierer, denen ihr Mangel an Kontakten bisher zum Nachteil ausgelegt wurde. Selbst ein Aufsichtsratsposten erscheint nun für sie greifbar. Erst neulich hatte der Chef der Regierungskommission für gute Unternehmensführung, Klaus-Peter Müller, versichert, man könne das erste Rüstzeug für einen solchen Job in "dreistufigen intensiven Seminaren von einigen Tagen vermitteln". So mancher Netzwerker wird sich noch umschauen.

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