Süddeutsche Zeitung

Führungsspitzen:Suche XL-Mitarbeiter, biete XS-Gehalt

Es muss nur gut klingen: Beim Formulieren von Stellenanzeigen werden Arbeitgeber kreativ. Aber hinter "leistungsgerechter Bezahlung" und "jungem Team" verbergen sich oft ganz andere Bedeutungen.

Nicola Holzapfel

Stellenanzeigen verraten viel über die Träume der Arbeitgeber. Sie wünschen sich Mitarbeiter, die jung und zugleich erfahren sind, teamstark, aber auch durchsetzungsfähig, und ebenso kreativ wie strukturiert arbeiten. Gesucht wird der globalisierte Mensch, der "Drive" hat, mehrere Sprachen spricht und in ein dynamisches Umfeld passt.

Er darf als Projektmanager arbeiten, als Business Analyst und Medical Director oder mindestens Assistant sein. Ein Unternehmen schrieb kürzlich die Position eines "2in1-Coordinator" aus. Das sticht einmal wohltuend aus dem bekannten Anzeigen-Allerlei heraus. Was die gewieften Personalmitarbeiter (Entschuldigung: natürlich Personalmanager) damit meinten, ist wohl: einer, der für zwei arbeitet.

Man muss die Dinge nur richtig verkaufen, scheint die Devise zu sein. So wird es nicht lange dauern, bis auch die XL-Sprache von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle von den Personalabteilungen aufgegriffen wird: "Zur Verstärkung unseres Teams suchen wir einen erfahrenen XL-Mitarbeiter. Die Bezahlung ist leistungsgerecht und orientiert sich am ausbaufähigen XS-Gehalt. Wollen Sie mit uns erfolgreich sein? Dann freuen wir uns auf Ihre Bewerbung!"

Dabei ist es ja nicht so, dass die Leser solch wunderbarer Versprechungen nicht dechiffrieren könnten. Sie wissen genau, dass etwa die Kombination von "belastbar" und "flexibel" nichts anderes bedeutet, als dass horrende Überstunden anfallen werden.

Und wer über 40 ist, wird sich hüten, sich auf eine "Juniorposition" oder Jobs in einem "jungen Team" zu bewerben. Die "leistungsgerechte Bezahlung" schreckt dafür all jene ab, die schon einmal für das Versprechen auf einen stattlichen Bonus - der dann leider vor der Auszahlung wegen Sparmaßnahmen gestrichen werden musste - ein unterdurchschnittliches Monatsgehalt in Kauf genommen haben.

Bewerbungsratgeber empfehlen Jobsuchenden, es der Anzeigensprache nachzutun. "Machen Sie sich interessant" heißt der Tipp, bei dem jeder Bewerber, der sich selbst für ganz normal hält, erleichtert aufatmet. Es ist eben alles nur eine Sache des Marketings. So wird aus einem Urlaub ein Sprachaufenthalt und aus dem abendlichen Fernsehen "Begeisterung für Kultur".

Da wundert es nicht, dass nicht immer zusammenpasst, was unter diesen Voraussetzungen zusammenfindet. Manchmal prallen schon im Vorstellungsgespräch Welten aufeinander. Bewerber ärgern sich über arrogante Gesprächspartner, die nicht einmal ihren Namen kennen. Und Personalverantwortliche reagieren pikiert, wenn der Kandidat den Dresscode nicht kennt oder nur eine Standard-Antwort hat auf die unvermeidliche Frage nach seinen Stärken und Schwächen. Schließlich wollen sie ihn doch in seiner ganzen Persönlichkeit kennenlernen. Ehrlichkeit ist angeblich spätestens an dieser Stelle Trumpf.

Manchmal aber gelingt es beiden Seiten, die Fassaden bis zum Antritt der neuen Stelle zu wahren. Erst in den Wochen danach wird auf einmal klar, dass der neue Mitarbeiter zwar tatsächlich sehr kreativ ist, aber seinen Schreibtisch nie aufräumt, oder dass der neue Job doch nicht so abwechslungsreich und spannend ist wie versprochen. So geht die Suche dann wieder von vorne los. Für den einen nach einem neuen Lebensabschnittsjob, für den anderen nach einem neuen Muster-Mitarbeiter.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1020886
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 8.11.2010
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.