Führungsspitzen:No, he can't

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Wehe, wenn der Charismatiker kommt: Einen Typen wie Barack Obama hätten viele Mitarbeiter gerne als Chef. Bloß nicht! Glanz verbreitet er nur nach außen.

Harald Freiberger

Das Strahlen seiner Augen lässt all jene strahlen, die ihm zuhören, seine Worte können das Publikum zu Tränen rühren oder zu Jubelstürmen hinreißen. Mit der Wahl von Barack Obama zum US-Präsidenten ist eine Spezies in den Blickpunkt gerückt, die man lange vermisst hat: der Charismatiker.

Barack Obama: Vorsicht vor Chefs, die so charismatisch sind wie der künftige amerikanische Präsident. (Foto: Foto: dpa)

Mancher Mitarbeiter einer Firma mag sich nun in seinem Arbeitsumfeld umschauen und das eigene Führungspersonal mit Obama'schen Maßstäben messen: den Vorgesetzten zum Beispiel, der sich immer an Kleinigkeiten aufhängt und dabei den Blick fürs große Ganze verliert; den Chef, der sich am liebsten selber reden hört und gar nicht mitbekommt, wie sehr er seine Mannschaft langweilt und demotiviert; den Stoffel, der für nichts empfänglich ist, eingefahrenen Arbeitsabläufen huldigt und der Anregungen seines Teams stets abbürstet mit dem Argument: Das haben wir schon immer so gemacht.

Bevor jene Mitarbeiter nun ins Träumen geraten, sollten sie sich vergegenwärtigen, was es wirklich bedeutet, einen Charismatiker als Chef zu haben. Meist läuft es so ab: Er kommt am ersten Tag, lächelt jeden, der ihm auf dem Gang begegnet, gnadenlos an, hält eine grandiose Rede vor den Mitarbeitern, in der die Worte "wir", "Ziele" und "gemeinsam" eine tragende Rolle spielen. Gerade noch kann er es sich verbeißen, am Ende jeder Sinneinheit laut auszurufen: "Ja, wir können."

Hinterher in der Kantine schwärmt die junge Teamassistentin ihrer Kollegin von der anderen Abteilung vor, wie toll der neue Chef sei: "Er hat mich sogar persönlich begrüßt." Auch die anderen Mannschaftsmitglieder sind angetan vom frischen Wind, der nun in der Abteilung weht. Nur der notorische Bereichsnörgler bleibt skeptisch.

Kein Interesse für das Tagesgeschäft

Ein paar Wochen später: Die ersten Mitarbeiter beschweren sich bei der Teamassistentin, dass der Chef für sie nie erreichbar ist. Das Telefon hat er umgestellt, versprochene Rückrufe finden nicht statt. Statt sich um das ermüdende Tagesgeschäft zu kümmern, trifft er sich mit anregenden Menschen von außen, er knüpft Kontakte, spricht auf Symposien. Kontakt-Anbahnungsversuche seiner Mitarbeiter, die mit den Worten "Wir haben da ein Problem" beginnen, bügelt er ab: "Dann lösen Sie es." Überhaupt ist er schnell genervt von den eigenen Leuten. Glänzen tut er nur nach außen.

Der Bereichsnörgler fühlt sich bestätigt: "Hab' ich euch doch gleich gesagt." Die anderen Mitarbeiter sind ernüchtert, nur die Teamassistentin hält noch zum Chef. Das Grundproblem des Charismatikers ist, dass er es in seinem Leben niemals nötig hatte, ein Ding von vorne bis hinten fertig zu machen. Das Operative war nicht seine Sache, die Herzen flogen ihm auch so zu. Aber mit der Arbeit ist es so ähnlich, wie der Soziologe Max Weber über die Politik geurteilt hat: Sie bedeutet das starke langsame Bohren von harten Brettern.

Weber war es übrigens, der Charisma als eine der drei legitimen Herrschaftsformen definierte. Mag ja sein, denkt sich mancher Mitarbeiter, der einen Halbcharismatiker als Chef hat. Denn wirkliche Charismatiker sind dünn gesät, sie tauchen nur alle paar Jahrzehnte auf. Dann lieber einen, der nicht ganz so bezaubernd ist, aber passable Arbeit macht, für seine Leute erreichbar ist, alle mit- und ausreden lässt und die große Kunst der vornehmen Zurückhaltung beherrscht.

© SZ vom 17.11.2008/heh - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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