Süddeutsche Zeitung

Führungsspitzen:Manager - verkannte Genies

Nach einer Kündigung kann man einfach gehen - oder seinen Abschied zelebrieren. Gerade Führungskräfte sollten sich dabei von einem amerikanischen Kollegen inspirieren lassen.

Hermann Unterstöger

"Abschied", sang Roger Whittaker, "ist ein scharfes Schwert", und wenn nicht alles täuscht, hat er beziehungsweise sein Texter Klaus Munro damit ein geflügeltes Wort in die Welt gesetzt. In der Tat ist der Abschied keine, wie man heute so sagt, vergnügungssteuerpflichtige Veranstaltung, die schöne Literatur ist auch ohne Whittaker und Munro voll mit entsprechenden Gedichtzeilen: "Schon stand im Nebelkleid die Eiche, / ein aufgetürmter Riese, da" - lauter so Sachen.

Düsterer Hintergrund

Betriebliche Abschiedsfeiern können sich diesem düsteren Hintergrund nur selten entziehen, weswegen es dabei ja oft zu eher beklemmenden als befreienden Wortbeiträgen kommt. Die in jeder Belegschaft verfügbaren Witzbolde raunen den Umstehenden zwar Sprüche wie den zu, dass der Scheidende eine Lücke hinterlässt, die ihn voll ersetzt, aber davon werden diese Stehempfänge auch nicht lockerer.

Kürzlich kam es nun in den USA zu einem Abschied, der vielleicht nicht Schule machen wird, doch jedenfalls als mustergültig gelten darf. Es handelt sich um Jonathan Schwartz' Weggang von Sun Microsystems, ein nicht völlig freiwilliger Weggang, wenn wir das richtig verstanden haben. Schwartz ließ die Welt aufhorchen, weil er, statt mit dem scharfen Schwert Abschied herumzufuchteln, seinen Freunden dieses Haiku zutwitterte: "Financial crisis / Stalled too many customers / CEO no more." Die Finanzkrise, heißt das, hat zu viele Kunden abgehalten, den CEO gibt's nicht mehr.

"Unterm Tisch ein Tritt"

Man weiß es nicht genau, vermutet es aber mit einiger Sicherheit, dass auch unter deutschen Managern das Dichten von Haikus gerne geübt wird, am liebsten bei Vorstandssitzungen und beim Brainstorming. Es soll für den, der es tut, überaus beruhigend sein, andererseits hat es den Vorteil, dass die Nebenmänner wenig davon mitbekommen, sondern meinen, der stille Poet werfe dann und wann eine geschäftsbezogene Notiz aufs Papier.

Das Haiku ist ja ein Siebzehnsilber, der normalerweise auf drei Zeilen zu fünf, sieben und nochmal fünf Silben angeordnet wird - ein Schriftbild, das aus der Ferne durchaus als, bei aller Lockerheit, dienstlich aufgefasst werden kann. Naturgemäß kommt von solchen Haiku wenig ans Tageslicht, aber man kann sie sich etwa so vorstellen: "Sitzung des Vorstands / Kaffeetassen auf dem Tisch / Spatzen am Fenster." Oder aber, wenn die lyrisch reine Grundstimmung durch Ärger verzerrt worden ist: "Heitere Worte / Grün die Dieffenbachia / Unterm Tisch ein Tritt."

Das Schwert des Abschieds

Ob das Schwartz'sche Abschiedshaiku beispielhaft wirken wird, bleibt abzuwarten. Zwar ist auch in Deutschland diese japanische Kunstform seit langem bekannt, aber der Durchschnittsmanager wird sich, wenn das Schwert des Abschieds gezogen werden muss, eher an hiesige Vorbilder halten.

Gewonnen hat, wer sein eigenes Gedicht in lockerer Intertextualität mit bewährten Verszeilen aus dem Kanon beginnen lässt, beispielsweise mit Heines "Die Mitternacht zog näher schon", das dann allerdings sehr schnell ins Heitere umgebogen werden muss. In ständiger Bereitschaft steht natürlich die Stelle, die bei Goethe noch vor der oben erwähnten Eiche im Nebelkleid kommt: "Es schlug mein Herz; geschwind zu Pferde!"

Falscher Eindruck

Von der Verwendung dieser Zeile ist indessen abzuraten. Leicht könnte durch sie der Eindruck erweckt werden, der Scheidende müsse zum Ausstand Fersengeld geben.

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Quelle:
SZ vom 01.03.2010/holz
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