Führungsspitzen:Lieber schöne Lügen als hässliche Wahrheiten

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Wenn der Chef bei jeder negativen Botschaft sofort explodiert, bekommt er bloß noch Geschöntes zu hören - und verliert den Bezug zur Realität.

D. Deckstein

Neulich gab es wieder einmal so einen Anlass, die Ohren kurzfristig noch mehr zu spitzen und die soeben gehörten Worte auf ihren impliziten Wahrheitsgehalt abzuklopfen. Es war in Brüssel, als Renault-Chef Carlos Gohsn und Daimler-Pendant Dieter Zetsche ihre soeben fertiggeschmiedete Allianz vor aller Welt kundtaten und ihr ein ums andere Mal versicherten, welche tollen Möglichkeiten sich da für beide Autobauer in Sachen gemeinsamen Kleinwagenbaus und Motorenentwicklung auftäten.

Wer schlechte Nachrichten nicht hören will, bekommt bald nur noch Halbwahrheiten zu hören. (Foto: Foto: iStock)

Keiner weiß, wie es weitergeht

Auf beiden Seiten seien nur Gewinner in Sicht, es eröffneten sich die schönsten Aussichten für die Partner hinsichtlich größerer Wettbewerbsfähigkeit und höherer Marktanteile, und so weiter und so weiter. Wie man eben so euphemistisch wie möglich etwas verpackt, dessen realen Fortgang beide Hauptdarsteller des Brüsseler Events letztlich gar nicht in der Hand haben.

Dann ließ Dieter Zetsche diesen Satz fallen, der gefundenes Fressen für alle Freunde des Hinter-die-Kulissen-Schauens bietet. Es hätten ja, so sagte er, Projektteams beider Autobauer schon länger im Vorfeld gemeinsam ausgelotet, welche konkreten Kooperationsmöglichkeiten sich anböten. Da sei von sonst üblichen, engstirnigen Ingenieurseitelkeiten nichts berichtet worden, "ich habe nur Positives über diese Zusammenarbeit gehört". Das hört sich ja gut an, wirft aber sofort die Frage auf, wer und wie viele Subalterne die Nachrichten so gefiltert und stromliniengeformt haben mögen, bis sie in gefälliger Form Einlass in Zetsches Ohr finden durften.

Strapazierte Gehörgänge

Wir wollen jetzt nicht auf den strapazierten Gehörgängen des Daimler-Vorstandsvorsitzenden sitzen bleiben, sondern auf ein Phänomen zu sprechen kommen, das einer seiner CEO-Kollegen einmal so - wenn auch anonym - formuliert hat: "Je mehr Macht du hast, desto schwieriger wird es, sie auszuüben." Das hat nicht nur damit zu tun, dass die Ohren der Chefs systematisch mit Filtern für unliebsame Botschaften ausgestattet werden, sondern von ihnen selbst auch notorisch auf Durchzug geschaltet werden.

Studien liegen in hinreichender Anzahl vor, die nachzuweisen trachten, dass unzählige Chefs mit schweren Hörschäden auf ihre Mitarbeiter losgelassen werden und überhaupt der Ansicht seien, sie würden allein fürs Entscheiden, Exekutieren, für den Erfolg bezahlt. Keine Frage, dass da unbotmäßige Konfrontationen mit der Wahrheit als eine Art Majestätsbeleidigung geahndet werden.

Die wichtigste Spielregel

So lautet eine der wichtigsten Spielregeln in Konzernen: Lass das bloß nicht den Chef wissen, der explodiert sonst. Also fließt der Nachrichtenstrom nur noch gefiltert und geschönt in Richtung Vorstand. Ob ein Projekt nur schleppend vorankommt, ob ein Großauftrag durch die Lappen gegangen ist, ob sich ein binationales Entwicklerteam gegenseitig mehr in den Haaren liegt statt zu arbeiten - so etwas erfährt der oberste Boss gewöhnlich gar nicht, sondern hört nur: alles klar, alles im Griff, Problem so gut wie beseitigt. Was im Übrigen auch den zuweilen galoppierenden Realitätsverlust und oftmals beklagten Autismus von Spitzenmanagern erklärt.

Und wenn der Vorstand eben diese Fusion oder jene Kooperation nun mal dringend will, werden die unteren Chargen ihm das auch nicht ausreden, sondern ihn selbst wider besseres Wissen in Sicherheit wiegen, dass alles im Plan liegt und gute Fortschritte macht. Könnte auch für Daimler und Renault gelten, oder?

© SZ vom 26.04.2010/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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