Süddeutsche Zeitung

Führungsspitzen:Kopf einziehen, Glasdecke!

Die berühmte gläserne Decke hindert Frauen am Karriereaufstieg - und nicht nur sie. Auch Fußballer stoßen sich gelegentlich den Kopf daran.

Alexandra Borchardt

Das Internet klärt einen über viele erstaunliche Dinge auf. Zum Beispiel darüber, dass es Menschen gibt, die sich eine Glasdecke wünschen. Wie er denn so eine im Badezimmer seiner WG einbauen könne, fragt der Nutzer eines Online-Architekturforums. Ein anderer will auf einer Heimwerker-Seite wissen, ob die Installation einer Glasdecke schwieriger sei als die einer Holzdecke. Handwerklich betrachtet ist das offenbar der Fall. Im richtigen Leben aber verhält es sich anders: Der Einbau der Glasdecke geht so geräuschlos vonstatten, dass man ihre Existenz erst spürt, wenn man sich den Kopf daran stößt.

Gemeint ist natürlich jene Glasdecke, die im Original glass ceiling heißt und lange Zeit so unsichtbar blieb, dass sie erst in den 1980er-Jahren von amerikanischen Wissenschaftlerinnen identifiziert wurde. In Unternehmen scheine eine Art gläserne Decke Frauen aus dem mittleren Management daran zu hindern, in die oberste Chefetage aufzusteigen, resümierten sie ihre Beobachtungen.

Aber diese Barriere ist nicht allein Frauen vorbehalten. Man könnte sogar sagen, jeder Mensch hat seine ganz persönliche Glasdecke. Für deutsche Fußballnationalspieler zum Beispiel besteht sie aus südeuropäischen Gegnern, die sich irgendwie durch Turniere wurschteln, um dann im entscheidenden Moment zu demonstrieren, dass die Etage darüber ihnen gehört. Für manch einen Mann sind es jene zarten weiblichen Wesen, die schon zu Grundschulzeiten immer nur mit dem Sitznachbarn herumgeblödelt haben. Und für den ewigen Zeitarbeiter scheint die Festanstellung wie durch eine Glasdecke von ihm abgeschirmt zu sein.

Der Unterschied zur Holzdecke ist der, dass das Ding aus toten Bäumen den Blick auf das Darüber verwehrt. Früher war die Holzdecke das gängige Modell: einmal Arbeiterkind, immer Arbeiter, einmal Katholik, immer Katholik, einmal verheiratet, immer verheiratet. Heute suggeriert die Glasdecken-Gesellschaft, dass jeder alles werden kann: Fußballweltmeister, Schichtführer, Moslem oder Supermodel. Schließlich sieht man ja, wie "die da oben" Pokale stemmen, Prämien einstecken, Frauen küssen oder ihre Rolex durch die Kantine tragen. Vorstandsgehälter, Sommerkleider, Schlafzimmer in Fertighäusern: Wo man sich früher eher bedeckt hielt, ist heute Transparenz befohlen. Nur wenn man danach greifen will, was ganz nah zu sein scheint, geht es plötzlich nicht weiter.

Klar, immer mal wieder schafft es einer doch durch die Decke. Wird Bundespräsident, Werksleiter oder gewinnt den Grand Prix. Dann bekommt er es umgehend mit einem anderen Phänomen der Glasdecke zu tun: dass der Aufsteiger die Zurückgebliebenen zwar recht gut sieht, aber nicht mehr hört. Am Anfang ist das angenehm. Schließlich möchte man die einem unterstellten Schäfchen zwar gern zählen können, aber was sie zu sagen haben, will man nicht mehr so genau wissen, wenn man ihren Reihen entkommen ist. Und so sind die Chefetagen häufig von nörgelnden Kunden, stotternder Produktion, schlampig abgedichteten Bohrlöchern, frustrierten Mitarbeitern und sonstigen Brandherden isoliert - bis ihnen der Laden um die Ohren fliegt. Aus China kam vergangene Woche die Nachricht, dass Leiter von Kohlegruben künftig wie die Kumpels auch unter Tage arbeiten müssen. Zu oft hatte dort die Glasdecke über Leben und Tod entschieden.

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Quelle:
SZ vom 12.7.2010/holz
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