Führungsspitzen:Ist der Ruf erst ruiniert . . .

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. . . braucht man sich im Unternehmen ums Talentmanagement auch keinen Kopf mehr zu machen. Der Nachwuchs bewirbt sich ohnehin lieber woanders.

Dagmar Deckstein

Der Aufreger dieser Tage ist zweifellos "Telekomgate", die desaströse Affäre bei der Deutschen Telekom, die über Jahre Gesprächsverbindungen zwischen Managern und Journalisten auskundschaften ließ. Dabei befindet sich der Platzhirsch unter den sogenannten Telekommunikationsdienstleistern in bester schlechter Gesellschaft angesichts der jüngsten Skandale in deutschen Unternehmen: Bordellbesuche auf Spesen bei VW, Mitarbeiterbespitzelungen bei Lidl, der weltumspannende Korruptionssumpf bei Siemens.

Handfester Firmenskandal bei der Telekom: Qualifizierte Mitarbeiter machen derzeit lieber einen Bogen um das Unternehmen. (Foto: Foto: dpa)

Die größte öffentliche Aufmerksamkeit findet nach der Aufdeckung von allerlei solch fragwürdigen Praktiken gewöhnlich deren juristische Aufarbeitung - besonders, wenn sie in spektakulären Gerichtsverhandlungen gegen die Hauptakteure münden. Aber die größte Strafe, die in Verruf geratene Unternehmen jenseits aller Urteile im Namen des Volkes ereilen kann, wird wohl weithin unterschätzt: der Ansehensverlust. Der kann mittelfristig viel teurer zu stehen kommen als millionenschwere Geldbußen oder der teure Aufbau einer Compliance-Abteilung.

Klarer Wettbewerbsvorteil

Alle Welt redet vom Kampf um die Talente, jenen so fabelhaft ausgebildeten und selbstbewussten wie zugleich stets fluchtbereiten Wesen, ohne deren Zugeneigtheit Unternehmen über kurz oder lang einpacken können. "Beim Kampf um Talente sind Kultur und Ruf wichtiger als die Höhe der Gehälter", schallte es unlängst aus der Wirtschaftswoche, die fein säuberlich die beim Nachwuchs beliebtesten Arbeitgeber auflistete.

Da braucht es gar keinen handfesten Firmenskandal, auch die schlechte Nachricht vom Abbau einiger tausend Arbeitsplätze wie etwa vor wenigen Monaten bei BMW reicht schon, um vielversprechende Studenten zu vergraulen. Oder nehmen wir die Unternehmensberatung Boston Consulting, die fast 5000 Führungskräfte rund um den Globus nach den ihrer Ansicht nach wichtigsten Herausforderungen fragte.

Aufgebrezelte Recruiting-Festivals

Ob in Argentinien oder Australien, Indien oder Südafrika, ob in London oder Ludwigshafen - auf Rang eins steht überall das Thema, qualifizierte Mitarbeiter zu finden und langfristig ans Unternehmen zu binden. "Ob Kraftwerkstechniker oder der IT-Programmierer einer Bank: Es könnte bald schwieriger werden, qualifizierte Mitarbeiter zu finden und zu halten, als über einen Börsengang Kapital zu beschaffen", fasst Boston-Consulting-Partner Rainer Strack das auf viele Firmen zurollende Hauptproblem zusammen. Wer in der Gunst der Mitarbeiter punkten kann, verschafft sich also einen klaren Wettbewerbsvorteil. Die schrumpfende Zahl junger Menschen in den westlichen Ländern und die steigende Nachfrage nach Mitarbeitern in den boomenden Schwellenländern machen die Suche nach Spitzenkräften in Zukunft keineswegs leichter.

Umso schwerer ist verständlich, warum sich Unternehmensmanager in nicht geringer Zahl so ungeniert verhalten wie ihre Vorläufer im Frühkapitalismus. Aber die Zeiten, da einem ungebildete, ohnmächtige, von Existenznöten geplagte Proletarier anstrengungslos zuströmten, sind lange vorbei. Nicht, dass diese abstrakte Erkenntnis nicht Niederschlag gefunden hätte in aufgebrezelten Recruiting-Festivals und Glanzbroschüren zum vortrefflichen "Human-Resources-Management", das einem so am Herzen liege. Umso rätselhafter, woher Manager den Mut zu talenteabschreckendem Gebaren nehmen.

© SZ vom 2.6.2008/bön - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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