Süddeutsche Zeitung

Führungsspitzen:Im Call-Center des Lebens

Je komplizierter, desto erfolgreicher: Chefs erziehen ihre Beschäftigten geradezu zu nörgelnden Querulanten. Dabei geht es auch anders.

Alexandra Borchardt

Es muss irgendeinen Grund dafür geben, warum folgende Empfehlung aus dem vergangenen Sommer einem breiteren Publikum weitgehend verborgen geblieben ist: "Seien Sie unkompliziert", hatten die Management-Beraterinnen Dorothea Assig und Dorothee Echter die Leser ihres Newsletters aufgefordert. Und sie hatten auch erklärt, warum: "Unkompliziertheit ist ein eindeutiger, starker Code von Erfolgspersönlichkeiten, die weltweit agieren."

Klingt sympathisch, denkt man, und nimmt sich vor, den notorischen Befehleverteiler im Büro noch freundlicher zu ignorieren, die komplizierten Wünsche des Chef-Chefs noch pragmatischer in für die Kollegen verdaubare Häppchen zu filetieren und noch verständnisvoller zu nicken, wenn die versprochene Beförderung nun doch erst - falls überhaupt - im übernächsten Jahr stattfinden kann.

Einem Wirklichkeitstest hält die Theorie allerdings nur in Maßen stand. Ja, es gibt diese Erfolgsmenschen, die in der Sache konsequent, aber im Auftreten doch bescheiden sind, bei denen man sich wundert, dass sie ihre Ziele auch ohne Blitz und Donner, ja man könnte sagen, als rechter Sonnenschein erreichen. Aber dann fallen einem Ferdinand Piëch ein, Silvio Berlusconi oder Guido Westerwelle, und bald ist klar: Es gibt auch die anderen. Und davon einige.

Eine solche Auslese ist kein Zufall, denn allzu häufig trainieren Chefs ihren Mitarbeitern das Kompliziertsein geradezu an. Statt nach der Theorie der guten Elternschaft aus dem Erziehungsratgeber - positives Verhalten unterstützen, Quengler ignorieren - verfahren sie nach der Call-Center-Theorie des Alltags, die so funktioniert: Anrufer trägt Beschwerde freundlich vor, Call-Center-Mitarbeiter formuliert Satz mit "Ich verstehe sie vollkommen, aber leider können wir auch in Ihrem Fall ..." und so weiter. 80 Prozent der Anrufer resignieren. Der Rest geht auf Eskalationsstufe eins, trägt die Beschwerde etwas unfreundlicher vor, erkundigt sich nach der Nummer von Vorgesetzten oder reflektiert über Eingabe beim Konzernvorstand. Call-Center-Mitarbeiter findet eine freie Telefonleitung zu einem Ein-bisschen-Vorgesetzten, der möglicherweise doch für genau dieses Problem, wenn auch in begrenztem Umfang, eine Lösung wissen könnte.

Vorgesetzter bietet zum Trost Einkaufsgutschein, Rabattpunkte oder ähnliches an. Viele akzeptieren. Der Renitente lehnt ab und geht auf Eskalationsstufe zwei, droht mit Antipathie-Kampagne unter Freunden, schlechter Bewertung im Internet oder Hinweis an die örtliche Tageszeitung. Vorgesetzter hört sich Problem an und verspricht Rückruf. Rückruf kommt, Problem wird gelöst.

Viele Chefs verfahren ähnlich. Sie vertrösten freundlich anfragende Mitarbeiter mit Worten, insistierende mit maßvollen Gehaltserhöhungen. Den Termin fürs Perspektivgespräch beim Geschäftsführer gibt es für jene, die mit dem Abwerbeangebot der Konkurrenz drohen. Der kann sich wirklich durchsetzen, heißt es dann.

Schön wäre sie aber doch, die Welt von Assig und Echter. Falls sich jemand fragt, wie das geht, unkompliziert sein, hier also noch mal das Rezept: "Fehler anderer übersehen, Vorwürfe überhören, unangepasste Umgangsformen überspielen, negative Aussagen über Dritte ignorieren, 'kenn' ich schon' aus dem Wortschatz streichen." Eskalation geht ja immer noch.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1047438
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 18.01.2011/holz
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.