Süddeutsche Zeitung

Führungsspitzen:Alte können alles besser

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Unproduktiv und überbezahlt? Von wegen: Die Alten kommen jetzt ganz groß raus. Wer sich über die Rente mit 67 aufregt, sollte sich an einigen von ihnen ein Beispiel nehmen.

Dagmar Deckstein

Der Virtuose Pablo Casals wurde einst von einem Studenten gefragt, warum er als 92-Jähriger immer noch täglich Cello übe. Er antwortete: "Weil ich glaube, dass ich Fortschritte mache." Es ist zwar nicht allen Führungskräften geschweige denn Normalarbeitern vergönnt, die erste Geige in ihrem Tätigkeitsumfeld zu spielen. Aber da nun die üblichen Überfürsorglichen schon wieder verbreiten, der Mensch sei eigentlich schon mit 67 zu alt zum Arbeiten, bietet der betagte Cellist - der übrigens 96 Jahre alt wurde - einen bedenkenswerten Kontrapunkt.

Auch der große Managementvordenker Peter F. Drucker wurde bis zu seinem Tod mit 96 Jahren als der immer noch jüngste Kopf und beständigste Denker bezeichnet. Dutzende Bücher hat er geschrieben, und wann immer er gefragt wurde, welches er für sein bestes halte, antwortete er: "Das nächste."

Nicht von ungefähr entwarf der Architekt Frank Lloyd Wright im Alter von neunzig Jahren das Guggenheim-Museum und erfand Benjamin Franklin mit 78 Jahren die Brille mit zwei Gläsern. Auch der Haribo-Erbe Hans Riegel, 87, ("ohne die Firma würde ich krank") will weiterhin Kinder froh machen und bleibt am Ruder, holte als äußerste Konzession soeben zwei Neffen in die Geschäftsführung. Sein viel jüngerer Bruder im Geiste, Anton Wolfgang Graf von Faber-Castell, ist zwar erst 69 und Firmenchef in achter Generation, aber das mit ungebrochener Inbrunst. "Ich könnte mir vorstellen, mit 90 nur noch halbtags zu arbeiten", ließ er sich neulich vernehmen.

Ja, geschenkt, nicht jeder hat eine feine Firma im Hintergrund und jede Menge Mitarbeiter um sich herum, auf die er ab und an auch mal zurückgreifen kann, wenn eine Aufgabe lästig wird. Aber der vielbemühte 67-jährige Dachdecker zieht als jammervolles, abgearbeitetes Gegenargument auch nicht mehr so recht, seit wir Carlos A.-R. als aktuellen Zeitgeistsurfer ins Feld führen können.

Der 65-jährige Haltestellenwärter bei der Hamburger Hochbahn wurde am 1. Mai dieses Jahres in Rente geschickt, weil er halt nun mal die Altersgrenze erreicht hat. Seit 1. September arbeitet er wieder wie eh und je, seit er gegen die Zwangsverrentung geklagt und vom Arbeitsgericht recht bekommen hat. Mit der interessanten Begründung, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb ein Arbeitnehmer einen Tag vor Erreichen der Altersgrenze noch voll eingesetzt werde, einen Tag später jedoch, allein auf Grund seines Geburtstags, auf einmal eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen solle. Eben!

Keine Behauptung ohne wissenschaftliche Untermauerung, die Jungspund und Professor Peter Cappelli - noch keine 60 Jahre alt - von der Wharton-Universität in Pennsylvania so zusammenfasst: "Arbeiter in fortgeschrittenem Alter können praktisch alles besser." Höhere Sozialkompetenz und Leistungsbereitschaft, weniger Fluktuation. Längst überholt sei das Dogma aus den 1970er- Jahren, dass die Älteren unproduktiv und überbezahlt seien. Davon abgesehen liegt es im ureigensten Interesse jedes Einzelnen, im angeblich "wohlverdienten Ruhestand" nicht tatenlos zu versauern. Wer könnte das besser beurteilen als Johannes Heesters, der gerade die Gala zu seinem 107. Geburtstag im Dezember vorbereitet: "Nichts lässt einen so schnell altern wie das Nichtstun." Das macht nur dann Spaß, wenn man viel zu tun hat.

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Quelle:
SZ vom 27.09.2010
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