Führungskultur:Keiner für alle, jeder für sich

Bewerber sollen teamfähig sein. Doch in vielen Firmen dominiert eine Führungskultur, die nur den Einzelnen sieht.

Kirsten Seegmüller

Wer abschreibt, bekommt eine Sechs. Schließlich soll bei Klassenarbeiten jeder einzeln zeigen, was er kann. Dieses Prinzip sorgt zwar dafür, dass sich Qualifikationen herausbilden, aber auch dafür, dass lange Zeit die Teamarbeit in Schulen vernachlässigt wurde. Doch die wird in der Berufswelt immer wichtiger: Dort vollzieht sich ein Wandel weg vom Wissensegoismus hin zur gemeinsamen Erarbeitung von Lösungen. Das heißt: Ideenklau ist zwar auch hier nicht erwünscht, aber Manager bevorzugen Mitarbeiter, die sich nicht als Einzelkämpfer, sondern als Teil des Ganzen verstehen und die Wissen abgeben.

Teamarbeit

Teamfähigkeit: Fast alle Job-Profile setzen das zwingend voraus.

(Foto: Foto: AP)

Die Wirtschaft beklagt schon lange, dass Schulen und Universitäten nicht ausreichend auf die Arbeitswelt vorbereiten. Angemahnt werden vor allem die fehlenden Soft Skills wie Kommunikationsfähigkeit und Teamgeist: keiner für alle, jeder für sich. Doch es kommt Bewegung in die Curricula. Nicht nur im Studium werden gemeinsame Projekte forciert, auch in den höheren Schulklassen gewinnt die Gruppenarbeit an Bedeutung. In Prüfungen hört der Spaß aber meist auf: Nur selten gibt es Noten für das ganze Team, denn dafür müssten die Mitglieder selbst analysieren, wer wie viel zum Erfolg beigetragen hat. Klassische Tests sind einfacher zu bewerten.

Große Lücke zwischen Anspruch und Realität

In den Personalabteilungen der Unternehmen steht Teamarbeit ganz oben auf der Prioritätenliste. Das zeigt sich schon in den Stellenausschreibungen. Fast alle Job-Profile setzen "Teamfähigkeit" als zwingend voraus. Doch zwischen Anspruch und Realität klafft eine große Lücke: "Menschen werden nach ihren Einzelleistungen bewertet und gefördert", sagt Dieter Euler, Professor am Institut für Wirtschaftspädagogik der Universität Sankt Gallen. Das führe zu Missgunst und Misstrauen innerhalb der Belegschaft und bremse die Weitergabe von Wissen. Deshalb empfehlen Personalberater eine Unternehmenskultur, in der die Mitarbeiter nicht befürchten müssen, sich selbst durch eine offene Kommunikation überflüssig zu machen.

Zu einer erfolgreichen Führungskultur gehört auch die Förderung der Weiterbildung. Doch in den Betrieben gibt es zwei große Lernbarrieren: Die eine besteht im wachsenden Arbeits-, Zeit- und Leistungsdruck, bei dem die Fortbildung oft unter den Tisch fällt. "Zum anderen sind die Mitarbeiter unzufrieden mit dem Bildungsmanagement", sagt Euler.

In der Arbeitswelt dominiert das PushPrinzip, das heißt: Seminare werden von oben vorgegeben. Hier schließt sich der Kreis, der in der Schule begonnen hat: Einer steht vorne, alle hören zu. Zumindest sollten sie das, aber oft sind die Zuhörer mit ihren Gedanken ganz woanders. Am Ende bekommt jeder einen dicken Ordner, der im Regal verstaubt. Durch die heterogene Zielgruppe kann jeder nur einen Bruchteil der Inhalte tatsächlich am Arbeitsplatz gebrauchen und vergisst das meiste wieder.

Auf der nächsten Seite: Innovative Unternehmen bevorzugen das Pull-Prinzip - Was steckt dahinter?

Innovative Unternehmen bevorzugen das Pull-Prinzip. Hier recherchiert die Belegschaft in Eigenregie die richtigen Inhalte zur richtigen Zeit. Dazu sind natürlich gute Wissensquellen erforderlich - seien es Kollegen oder Datenbanken. Der Vorteil dieser Methode: Da das Wissen sofort umgesetzt wird, bleibt es länger im Gedächtnis. "Lernen sollte man nicht isoliert betrachten", sagt Euler, "sondern in kohärente Einzelaktivitäten einbetten." Dazu gehört zum einen, dass jeder die für die Arbeit nötigen Inhalte zur richtigen Zeit selbst recherchiert. Zum anderen sollten die Mitarbeiter nicht wegen jedes kleinen Online-Kurses den Chef um Erlaubnis fragen müssen, sondern über ein vorher festgelegtes Fortbildungsbudget selbst verfügen dürfen.

Wenn das nicht funktioniert, liegt es nicht nur am Management. "Wer direkt von der Hochschule kommt, bleibt oft in der klassischen Lernstruktur stecken", sagt Euler. Vier Lerntypen unterscheidet er in seiner Forschung: Lernen als Erfüllung einer Pflicht, als Vorbereitung auf eine Prüfung, als Investition in die Zukunft oder als intellektuelle Anregung zur persönlichen Entwicklung. Wobei er die beiden letzten Ziele höher bewertet.

Alle müssen an einem Strang ziehen

Lern- und Führungskultur hängen also eng miteinander zusammen. Doch ähnlich wie beim Thema Teamarbeit findet Euler auch bei der Personalführung Paradoxien: "Mitarbeiter sollen ihre eigenen Ziele bestimmen. Bewertet werden sie jedoch nach Kriterien, auf die sie gar keinen Einfluss haben." So könnten sich Vertriebsmitarbeiter noch so abrackern: Wenn das Produkt nichts taugt, werden es die Kunden nicht kaufen. Wenn ihr Gehalt variable Anteile hat, büße der Vertrieb die Sünden aus der Entwicklung, Produktion und Qualitätssicherung.

Im Umkehrschluss heißt das: Es müssen alle an einem Strang ziehen. Wie gemeinsame Zielvereinbarungen über Ländergrenzen funktionieren können, zeigt der IT-Konzern IBM: Im Jahr 2003 konnten 320.000 Mitarbeiter aus 164 Nationen in Chatrooms darüber diskutieren, ob sie die Unternehmenswerte noch für aktuell halten. Es gingen 30.000 Antworten ein. Aus einer Liste von sieben Vorschlägen wählten sie das Engagement für den Kundenerfolg, Innovationen, Vertrauen und persönliche Verantwortung zu ihren Favoriten. "An den Kundenbedürfnissen orientiert sich der erforderliche Mix aus Qualifikationen und Potential", sagt Stefan Kunz, Personalmanager bei IBM Schweiz. Die Strategie verläuft von oben nach unten: Die Geschäftsprioritäten bestimmen die Lernprioritäten und diese wiederum den Lernplan. Kunz findet, dass man seinen Fokus nicht auf das Budget legen sollte: "Bildung ist kein Kostenfaktor, sondern eine Investition."

Bei der Übertragung der Werte in die tägliche Arbeit und Weiterbildung werden IBM-Mitarbeiter in die Pflicht genommen. Sie müssen sich drei Fragen stellen: Wo bin ich heute, wohin will ich mich entwickeln und was bin ich bereit, dafür zu tun? "Die letzte Frage ist die schlimmste für die Betroffenen", weiß Kunz, "denn sie ist mit Initiative und Aufwand verbunden." Letzten Endes unterscheiden sich Erwachsene also gar nicht so sehr von Schülern und Studenten, die für eine Prüfung büffeln sollen.

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