Führungskultur:Die verstockte Elite

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Was ist gute Führung? Bei Managern, heißt es, zählen Wissen, Argumente, Analysen. Doch es wimmelt in Büros nur so von Gefühlen: Da wird gebrüllt, vertuscht, beleidigt und kalt abserviert, täglich und überall.

P. Meyer

Da stellt der Mann sich hin und sagt frei heraus: "Mist, ich habe es vermasselt." Und: "Dafür halte ich meinen Kopf hin." Ungewöhnlich. Wer ganz oben an der Spitze steht, ob in der Politik oder in der Wirtschaft, der wehrt Fehler ab, lässt sie mit der Arroganz der Macht von sich abperlen. Nicht so der 44. US-Präsident nach der missglückten Besetzung wichtiger Regierungsämter. Ob Barack Obama diese Offenheit durchhalten wird? Ein Signal hat er jedenfalls gesetzt.

Verschanzt hinter Aktenstapeln und dem Laptop: Weil ihnen der Dialog mit Mitarbeitern schwer fällt, ducken sich viele Chefs weg. (Foto: Foto: iStock)

Graue Wirklichkeit

Wie belebend wäre es, wenn sich mehr Führungskräfte trauten, zu dem zu stehen, was sie verantworten. "Sie sollten nicht unablässig so tun, als wären sie perfekte Maschinen. Sie machen ständig Fehler. Das ist okay. Allerdings erwarte ich, dass sie daraus ihre Schlüsse ziehen", sagt Karl-Heinz Holtmann. "Und dass sie es offen sagen und nicht herumeiern", fügt Gisela Holtmann-Scheuermann hinzu. Viel Vertrauen, so glauben sie fest, ließe sich so zurückgewinnen und viel Widerstand bei Mitarbeitern vermeiden. Gemeinsam bringen die beiden, die das Kölner Institut für Supervision und Organisationsberatung leiten, ein halbes Jahrhundert Beratungserfahrung auf die Waage. Er etwa 30, sie 20 Jahre.

Für beide hat Führungskompetenz vor allem etwas mit Haltung, Werten und reflektierter Lebenserfahrung zu tun. Zwar zähle auch das Handwerk des Managers, keine Frage. Ein Chef müsse planen, organisieren, kontrollieren und führen können. Und fachlich verstehen, worum es geht. Aber ohne ethische Grundsätze, so ihr Credo, findet keine Führungskraft zu ihrer Autorität. Denn die innere Haltung drücke sich stets mit aus, bewusst oder unbewusst: in der Art zu kommunizieren, in Veränderungsprozessen oder im Umgang mit Macht.

Gebrochene Dialoge, gescheiterte Kommunikation

"Gute Führungskräfte haben eine Vision", sagt er. "Sie umgeben sich mit Leuten, die fachlich klüger sind als sie selbst. Und organisieren ihr System so, dass sie in ständigem Dialog mit ihren Mitarbeitern stehen." So weit die schöne Theorie. Auch Holtmann weiß, dass die Wirklichkeit grauer ist. Sonst wäre er ja kein vielbeschäftigter Berater. "Gebrochene Dialoge sind das Problem, Führungsleute sprechen heute nicht mehr miteinander. Niemand kann es sich eigentlich erlauben, wichtige Entscheidungen nicht mit den engsten Mitarbeitern zu besprechen. Doch es passiert jeden Tag."

Am Arbeitsplatz, heißt es allerorten, zählen Fachwissen, Argumente, Analysen und Zielmarken, die Ratio also. Alles andere habe dort keinen Platz, sei in hohem Maße unprofessionell. Dabei wimmelt es in den Büros und Betrieben nur so von Gefühlen, egal auf welcher Führungsebene. Da wird gebrüllt, gestichelt, vertuscht, beleidigt, kalt abserviert und abgewertet, täglich und überall.

Auf der nächsten Seite: Warum sich wie in Granit gemeißelt die Überzeugung hält, dass beste Noten im Zeugnis dazu befähigen, andere Menschen zu führen.

Schotten dicht

Wer aber spürt schon gern, wenn die Worte der anderen kränken? Lieber macht macht man die Schotten dicht und spricht nicht mehr miteinander. Der Preis dafür ist hoch: Eigene blinde Flecken bleiben unerkannt, führen zu falschen Bewertungen und oft auch zu Fehlentscheidungen.

Andererseits, mit eigenen und fremden Gefühlen umzugehen, ist oft ziemlich schmerzlich. Und braucht Zeit. Wie soll das gehen bei unerträglich vollen Terminkalendern? "Viele verstecken sich hinter ihren hohen Stapeln und Terminen. Das sind durchaus schöne Alibis, um weiterzumachen wie bisher", sagt Gisela Holtmann-Scheuermann. Zahlreiche Studien kritisieren zwar seit Jahren, dass es den deutschen Führungskräften vor allem an emotionaler Intelligenz fehle. Trotzdem hält sich, wie in Granit gemeißelt, die Überzeugung, dass beste Noten im Zeugnis dazu befähigen, andere Menschen zu führen.

Kollegen mutieren zu Kritikern

Ein Trugschluss. Manch kluger Kopf hat schon nach kurzer Zeit entnervt das Handtuch geworfen. Zumal, so die Beraterin, "die Deutschen ein hohes Kränkungspotential bei ihren Führungskräften besitzen". Späte Nachwehen der jüngeren deutschen Geschichte: Führungskräfte werden hierzulande vor allem skeptisch beäugt. Und so weiß jeder besser als der Chef, wie richtig geführt wird. "Vor allem, wenn jemand aus den gleichen Reihen aufsteigt, mutieren die ehemaligen Kollegen flugs zu den größten Kritikern", sagt sie.

Auch die Sandwich-Manager, die von oben und unten Druck kriegen und von beiden Seiten Anerkennung brauchen, müssen ihre Gefühle gut sortieren, wollen sie handlungsfähig bleiben. "Wer nicht aufpasst, wird zum Chamäleon, das die Farbe wechselt, je nachdem, wer mit ihm spricht." Dabei können sie es nicht allen recht machen. "Sie müssen lernen, mit Kritik umzugehen und nicht alles auf die Goldwaage zu legen. Oder sie werden irgendwann krank."

Marionetten der Chefs

Wer, wie das Kölner Beraterpaar, um die siebzig ist, kann mit der Gelassenheit derer, die nichts mehr werden müssen, unerschrocken schwer verdauliche Wahrheiten aussprechen. "Wir haben oft erlebt, dass Führungskräfte befördert werden, die große Pfeifen sind, fachlich und menschlich", sagt Karl-Heinz Holtmann. Taktisch sind diese Karrieristen indes schlau. "Statt in ihrem Job brillieren sie im Antichambrieren und werden dafür belohnt. Die meisten werden zu Marionetten ihrer Chefs." Was auch etwas über Letztere aussagt.

Und doch, allgemeine Führungsschelte betreiben die beiden Berater nicht. Zu oft sehen sie in ihrer täglichen Praxis, wie sehr der äußere Druck und die wachsende Komplexität viele Manager an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit bringt. Zumal diejenigen, die zu ihnen kommen, ahnen, dass etwas aus dem Ruder läuft und sie die Richtung ändern müssen. Nur wohin, ist zu Beginn der Beratung unklar.

Auf der nächsten Seite: Wie Macht süchtig macht und den Größenwahn nährt.

Macht als lustvolles Instrument

Wer jedoch nur an "weiter - höher - schneller" denkt, hält Nachdenken für Zeitverschwendung. Die ewige Jagd nach Erfolg und Macht, in immer höherem Tempo, lässt zudem viele Werte erodieren: Integrität, Verlässlichkeit, Augenmaß - um nur drei zu nennen. "Diese Leute begreifen Erfolg und Macht als etwas Grenzenloses", erklärt Holtmann. Beides mache süchtig und nähre den Größenwahn. Wer das nicht erkenne, verliere irgendwann die Bodenhaftung, stolpere und reiße andere mit zu Boden.

Überhaupt: Macht, das wohl gefürchtetste und doch lustvollste Instrument der Manager. "Wer sich als Führungskraft nicht zu ihr positioniert, wer sie nicht ergreifen will, sollte sich einen anderen Job suchen", so Gisela Holtmann-Scheuermann. "Als Chefin muss ich die Macht wahrnehmen, die mit meiner Position verbunden ist. Ich muss entscheiden und Risiken eingehen zugunsten des Unternehmens." Gleichwohl, und das weiß die Beraterin nur zu gut, entfacht Macht eine gewaltige Sogwirkung. "Wenn die Sucht nach ihr größer wird als das, was ich mal wollte, dann kippt es", warnt sie.

In Zirkeln Gleichgesinnter

Besonders gefährdet seien in diesen heiklen Momenten die Führungskräfte, die sich nur noch in Zirkeln Gleichgesinnter aufhalten. Die keine Freunde oder Familie haben, die sich noch trauen, gegen die zunehmende geistige Enge und Starrheit aufzubegehren. Sie schraubten sich dann immer tiefer in die eigene, zurechtgebogene Gedankenwelt. "Es berührt und erschreckt mich, wie oft wir Berater die Einzigen sind, mit denen Führende überhaupt offen sprechen. Weil sie Angst haben, sich anderswo zu öffnen, selbst zu Hause", sagt sie.

Vielleicht müssten sich, wenn Führung gelingen soll, Denken und Fühlen in der Balance befinden. Wer sich keine Zeit nehme, um immer wieder aufs Neue innere Blockaden, gedankliche und emotionale, aufzulösen, gerate leicht auf Abwege. Oder müsse zumindest Umwege in Kauf nehmen. "Es ist wichtig, aus leidvollen Erfahrungen zu lernen und Fehler als Chance zu sehen anstatt sie vor sich selbst und vor anderen zu verschleiern", sagt Karl-Heinz Holtmann. Womit wir wieder am Anfang der Geschichte wären.

© SZ vom 20.9.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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