Führungsspitzen:Im Etikettekurs super - doch beim Mitarbeiter die Sau rauslassen

Wohin mit der Visitenkarte? Was tun, wenn man in der Sauna auf den Chef trifft? In Benimmkursen lernen Manager, wie sie mit den Tücken des Berufsalltags fertigwerden. Doch bei einem zentralen Punkt scheinen Menschen in Führungspositionen gute Manieren oft völlig abzugehen: beim Umgang mit ihren Mitarbeitern.

Dagmar Deckstein

So eine Führungskraft hat es heutzutage definitiv nicht leicht. Das BWL-Studium im Rekordtempo durchgezogen, den MBA noch in Windeseile draufgesetzt, schon kurz nach der Traineephase die Verantwortung für ein Restrukturierungsprojekt übertragen bekommen, und ruck, zuck zum Direktionsbevollmächtigten avanciert.

Visitenkarten

Wohin mit der Visitenkarte? Auf diese Frage bieten sogenannte Knigge-Kurse eine Antwort. Doch viel grundlegendere Verhaltensregeln bleiben leider oft unbeachtet.

(Foto: iStockphoto)

Da steht er nun der arme Tropf und ist nach dem karrieristischen Raketenstart umzingelt von unzähligen Stressoren der schlimmsten Art: Stehempfänge, Cocktail-Abende, Geschäftsessen - Fettnäpfchen, so weit das powerpoint-degenerierte Auge schweift. Sind doch im Rennstall des Selbst- und Profit-Maximierungsgalopps die guten Manieren ganz und gar aus dem Blick geraten.

Kein Wunder also, dass sich Benimmschulen und Etikette-Trainer einem Nachfrage-Tsunami ausgesetzt sehen, vor dem der deutsche Exportboom nur einem leichten Wellenkräuseln gleicht. Steckt das Managerleben doch voller quälender Fragen, die weit hinausgehen über so simple, wie sich der Turnaround im China-Geschäft bewerkstelligen ließe.

Wohin mit der Fischgräte beim Geschäftsessen? (Am Tellerrand!) Darf man die Visitenkarte des Gegenübers in der Gesäßtasche verschwinden lassen? (Nein!) Sollte man beim Sektempfang mit dem Bankvorstand lieber nicht über Berlusconi oder Borussia Dortmund plaudern? (Besser nicht!)

Und was, um Himmels Willen, ist zu unternehmen, wenn man die Saunakabine betritt und dort den obersten Chef sitzen sieht? (Bloß nicht pikiert das Weite suchen, sondern einen freundlichen Gruß entbieten, Handgeben nicht nötig, einige unverfängliche Worte, bei denen man exponierte Stellen mit dem Saunatuch bedeckt!) Mit solch stilsicherer Haltung ließe sich auch die Begegnung mit einem Grizzly in Alaska tadellos meistern.

Da nützen die gesündesten Gemüsegerichte nichts!

Apropos Wildnis: Wer an exponierter Stelle sitzt, lässt es dagegen oft an guter Kinderstube jenseits aller serviettenfalt- und gabeltechnischen "Basics" dort gehörig mangeln, wo es am wichtigsten wäre. Im Umgang mit den Mitarbeitern. Da wird gerne die Sau rausgelassen, als ob Altachtundsechziger auf ihrem Marsch durch die Institutionen die Umkehrung aller bürgerlichen Manieren schließlich in den Führungshandbüchern verewigt hätten.

Da wird munter das eigene Ego zur obersten Instanz des Handelns erkoren, Respekt und Fairness so klein geschrieben, dass man sie selbst mit der Lupe nicht entdeckt. Da wird Führen unverdrossen weiter mit Kontrolle gleichgesetzt, dass sich gestandene "Untergebene" in die eigene Schulzeit zurückversetzt wähnen.

Da können die gesündesten Gemüsegerichte in der Kantine gereicht und die Rückenmuskeln der Beschäftigten im hauseigenen Fitnessstudio noch so gestählt werden, wenn die Druck- und Drohkulisse hinter den ergonomischen Bürostühlen eher der Staffage von "American Werewolf" gleichen, nützt das alles gar nichts.

Ja klar, alle stehen unter Stress und den Chefs sitzen die Umsatzrenditeziele und Analysten im Nacken. Aber wer so viel Zeit hat, sich in Tischmanieren unterweisen zu lassen, sollte sie lieber für die Lektüre von Knigges Original "Über den Umgang mit Menschen" verwenden: "Manche Leute glauben, größere Eigenschaften berechtigten sie, die kleinen gesellschaftlichen Schicklichkeiten, die Regeln des Anstands, der Höflichkeit oder der Vorsicht zu vernachlässigen - das ist nicht gut getan."

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