Führungkräfte:Teilzeit-Chefs

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Führung in Teilzeit ist möglich. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Führungskräfte müssen Vollzeit arbeiten ? Dieses ungeschriebene Gesetz gerät ins Wanken. Manche Firmen finden unkonventionelle Lösungen.

Von Martin Scheele

Frauen wie Bianca Reeh sind selten in der deutschen Arbeitswelt. Die Industriekauffrau wurde 2016 Vertriebschefin beim Mittelständler Dokuworks - obwohl sie nur 25 Stunden pro Woche arbeitete. Die alleinerziehende Mutter führt seitdem ein Team von sechs Verkäufern und drei Beratern bei dem IT-Consulting-Unternehmen im Siegerland, das insgesamt 30 Mitarbeiter beschäftigt.

Im vergangenen Jahr wurde Reeh zur Prokuristin befördert und gilt damit als rechte Hand von Inhaber Markus Weber. Ihre Arbeitszeit ist trotzdem gleich geblieben. Sie arbeitet dreieinhalb Tage, ist also von Montag bis Donnerstagmittag im Büro, der Rest der Woche gehört den Töchtern, elf und sechs Jahre alt.

Wie schafft sie das? "Ohne klare Strukturen und ein gutes Projektmanagement geht es nicht", sagt die 37-Jährige. "Ich tausche mich jeden Tag mit der Geschäftsführung aus, dadurch bin ich immer gut über den Stand aller Projekte informiert." Auch im Team sei ständiger Austausch Trumpf, sagt Reeh. "Mit jedem Mitarbeiter bespreche ich mich mindestens einmal pro Woche ausführlich." Wenn besonders wichtige Projekte anstehen, ist sie rund um die Uhr erreichbar - auch in der Freizeit.

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"Wenn man in Teilzeit führt", sagt Reeh, "muss man seine Maßstäbe verschieben - daheim und im Büro." Man dürfe sich beispielsweise nicht unter Druck setzen, wenn die Wohnung mal nicht perfekt aufgeräumt sei. "Auch im Büro muss ich klare Prioritäten setzen und meine Mitarbeiter sehr selbständig arbeiten lassen."

Trotzdem sei die Umstellung von Vollzeit auf Teilzeit ein großer Einschnitt gewesen. Reeh hat nach ihrem Berufseinstieg einige Jahre bei einem Konzern in der Auftragsabwicklung gearbeitet, bei Dokuworks ist sie durch Positionen im Marketing und als Vertriebsassistentin in die Führungsrolle hineingewachsen.

Führen in Teilzeit ist ein wenig verbreitetes Modell in Deutschland - trotz des Rechtsanspruchs auf Teilzeit, den es seit mehr als zehn Jahren gibt. Während fast 40 Prozent der Erwerbstätigen in Teilzeit beschäftigt sind, haben weniger als fünf Prozent der Chefs einen Vertrag mit einer Arbeitszeit unter 30 Stunden pro Woche. Das gilt für weibliche Führungskräfte mit fast 15 Prozent häufiger als für Männer mit etwas mehr als einem Prozent, zeigen Daten des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Deutschland liegt damit im europäischen Vergleich im Mittelfeld. Spitzenreiter bei den Teilzeit-Chefs sind Island und Malta mit 22 Prozent, Rumänien bildet mit nur einem Prozent das Schlusslicht.

Nach wie vor sind viele Personalverantwortliche skeptisch, dass Führen in Teilzeit funktionieren kann. Forscher der Universität Essen-Duisburg haben Personalverantwortliche von Großunternehmen gefragt, ob es möglich ist, aus einer Teilzeitposition heraus Karriere zu machen. Fast alle Befragten schlossen das aus. Leitungspositionen würden in ihrem Unternehmen ohnehin fast nie als Teilzeitstelle ausgeschrieben. Das war im Jahr 2010, seither hat sich nicht viel geändert.

Dabei wollen viele Führungskräfte, gleich welchen Geschlechts, ihre Arbeitszeit reduzieren - gerade in Zeiten komplizierter Familienkonstellationen und wachsender beruflicher Belastung ist das Thema in aller Munde. Eine Umfrage des Verbands "Die Führungskräfte" kam zu dem Ergebnis, dass 40 Prozent der Manager gerne weniger arbeiten würden.

Dass es in der Praxis funktionieren kann, beweist Stephanie Beck. Die 38-Jährige ist seit acht Jahren Teilzeit-Führungskraft bei der Techniker-Krankenkasse in Stuttgart. Seit einem Jahr leitet sie das Team Versichertenbetreuung im Fachzentrum Krankenhaus. Ihre 20 Mitarbeiter beraten Versicherte, etwa bei der Frage, was sie bei der Planung eines Krankenhausaufenthalts und beim Ausfüllen von Anträgen beachten müssen.

Beck hat eine 80-Prozent-Stelle, arbeitet von Montag bis Donnerstag im Büro. Angefangen hat die Sozialversicherungsfachangestellte im Außendienst der Krankenkasse. Ihre Kinder sind fünf und acht Jahre alt, sie gehen in den Kindergarten und in die Grundschule. "Wir haben keine familiäre Unterstützung hier in Stuttgart, und mein Mann arbeitet Vollzeit", sagt Beck. "Deswegen sind die Kinder bis 16 Uhr in ihren Einrichtungen."

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Elf weitere Führungskräfte arbeiten bei Deutschlands größter Krankenkasse in Teilzeit. Die Krankenkasse hat 14 000 Angestellte, von denen etwa 23 Prozent einen Teilzeitvertrag haben. Auf die Frage, ob ihr Modell auch eine Ebene höher funktionieren würde, antwortet Beck: "Aktuell gibt es das bisher noch nicht. Grundsätzlich möglich wäre es aber." Das hätte dann aber eine andere Dimension, ihr Chef führt beispielsweise 200 Mitarbeiter.

Teilzeit lässt sich jedoch auch auf höheren Managementebenen umsetzen. Das zeigen Christiane Haasis und Angela Nelissen bereits seit acht Jahren. Beim Mischkonzern Unilever in Hamburg teilen sich die Managerinnen eine Stelle. Beide arbeiten 60 Prozent und leiten gemeinsam das Geschäft mit Eiscreme und Tee in den deutschsprachigen Ländern des Konsumgüterherstellers.

"Die Herausforderung war es, die Komplexität der Aufgaben in dieser Konstellation zu reduzieren", sagt die 50-jährige Nelissen. Um das zu schaffen, firmieren die beiden schon seit acht Jahren intern unter dem Kürzel "Chan", zusammengesetzt aus den Initialen ihrer Vornamen. Folgerichtig hat Chan auch eine Mailadresse. "Für das Unternehmen ist das praktisch, da kein Kollege überlegen muss, wer von uns beiden jetzt der richtige Ansprechpartner ist", sagt Haasis, ebenfalls 50 Jahre alt. "Für uns ist das praktisch, da wir ganz flexibel Themen oder Termine annehmen können - wir beide haben ja immer Zugang zur Chan-Mailbox."

Nelissen, die drei Töchter im Alter von 12 bis 17 Jahren hat, ist in der Regel montags bis mittwochs im Büro. Haasis, Mutter einer zehnjährigen Tochter, ist dienstags bis freitags im Büro, jeweils bis in den frühen Nachmittag. Als die Kinder noch kleiner waren, sind die Ehemänner teilweise eingesprungen, Familie Nelissen hat zeitweise eine Kinderfrau beschäftigt.

"Mittlerweile hat Unilever zehn solcher Job-Sharing-Paare, die auf unterschiedlichsten Ebenen und Funktionen nach dem gleichen Prinzip arbeiten", sagt Haasis. Eine gemeinsame Mail-Adresse haben aber nur Haasis und Nelissen, weil sie von Beginn an das Prinzip verfolgten, als eine Person aufzutreten. Die Managerinnen vergleichen ihre Rolle mit der von erfolgreichen Musikerpaaren, etwa der von Simon & Garfunkel. "Man muss sich aufeinander einstellen können, das gleiche Kulturverständnis haben, sich pragmatisch einigen können - aber nicht zwangsläufig befreundet sein", sagt Haasis.

"Natürlich fetzen wir uns auch manchmal. Aber - um im Bild von den Musikern zu bleiben - das machen wir nicht auf der großen Bühne, sondern unter vier Augen aus", sagt Haasis. "Wir haben auch gar keine Zeit, uns in ein kontroverses Thema zu verbeißen", ergänzt Nelissen, "in solchen Fällen entscheidet dann einfach eine von uns." Dafür haben sie einige Regeln aufgestellt. Zum Beispiel: Es klärt diejenige Person die Dinge, die auf dem Gebiet am kompetentesten ist. "Natürlich fällt man sich auch nicht in den Rücken, wenn der andere nicht so entschieden hat, wie man selber es machen würde", sagt Haasis.

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Nicht immer sei das Zusammenspiel in dieser ungewöhnlichen Arbeitskonstellation einfach, geben beide Managerinnen zu. "Immerhin ist da immer jemand, der dauernd Leistung bringt, da möchte man nicht zurückstehen, wir wollen ja beide einen sehr guten Job machen", sagt Nelissen. "Wenn ich bei den Kindern bin, ist es deshalb schon schwierig, nicht immer aufs Handy zu schauen."

Aus Arbeitgebersicht haben Job-Sharing-Modelle viele Vorteile. Zum einen spielt das Unternehmen auf der Klaviatur der modernen Arbeitszeitmodelle mit. Zum anderen gibt es bei diesem Modell keine führungslosen Zeiten, etwa wegen Krankheit oder Urlaub. Als möglicher Nachteil gilt, dass ein größerer Koordinierungsaufwand erforderlich ist.

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Haasis und Nelissen sehen unter dem Strich nur Vorteile in ihrem Modell. Das hängt auch damit zusammen, dass sich ihre Stärken ergänzen. Haasis denkt ihrer Sparringspartnerin zufolge in großen Zusammenhängen, behält auch im Chaos die Ruhe, hat ein feines Gefühl für atmosphärische Schwingungen. Nelissen, so drückt es ihre berufliche Partnerin Haasis aus, gilt als besonders gut darin, neue Wege zu gehen, pragmatisch zu denken und Mitarbeiter weiterzuentwickeln. "Ich bin mir sicher," sagt Haasis, "dass in diesem Modell die Burn-out-Gefahr geringer ist. Man hat ja immer jemanden, mit dem man sich austauschen kann, Einsamkeit in der Chefetage ist für uns ein Fremdwort."

Manche Experten befürchten, dass bei Job-Sharing-Modellen die Partner in Sippenhaft genommen werden könnten. Unterläuft einer der beiden Chefinnen ein Fehler, hängt die andere mit drin. Haasis und Nelissen sehen das anders. "Wir verantworten das Geschäft zusammen. Das bedeutet, dass wir für Fehlentscheidungen und Misserfolge gemeinsam geradestehen, egal, wer von uns die Entscheidung getroffen hat. Dann finden wir auch zusammen eine Lösung. Das ist beim Tennisdoppel oder bei Simon & Garfunkel doch auch nicht anders. Two people, but one show!"

Für Dokuworks-Managerin Bianca Reeh ist der Firmenchef der wichtigste Ansprechpartner bei der Arbeit. Die Gefahr der Überlastung sieht sie nicht. "Ein Vorteil ist sicherlich, dass ich in der Nähe der Firma wohne und dass ich die Kinder im Notfall auch hierhin mitnehmen kann", sagt Reeh. Ihr Arbeitgeber ist schließlich auch als familienfreundliches Unternehmen zertifiziert.

© SZ vom 22.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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