Frühkindliche Bildung:Man spricht chinesisch

Ist Chinesisch für Sechsjährige eine zu große Herausforderung? Eine private Grundschule in Hamburg will Kinder in drei Sprachen unterrichten - doch der Senat stellt sich quer.

C. Langrock-Kögel

Hier sollten sie jetzt eigentlich sitzen, 24 aufgeregte Sechsjährige mit neuen Schulranzen und Federmäppchen. In dem nun völlig leeren Raum, früher ein Großraumbüro, hätten die Schultische gestanden, je vier zu kleinen Inseln zusammengeschoben. An einer elektronischen Tafel stünde ein Lehrer, und mittags gäbe es im Speisesaal warmes Essen. Auf dem Hof rund um das frühere Büro- und Lagerhaus im Hamburger Stadtteil Groß Borstel würden Schüler in Pausenlaune herumhüpfen.

Aber die "Moderne Schule Hamburg", kurz MSH, konnte in diesem Schuljahr nicht eröffnen. Sie hat zwar die Räume gemietet und Vorverträge mit Lehrern geschlossen. Sie hat genügend Eltern gefunden, die ihr Kind in einer Privatschule anmelden wollen, in der von der ersten Klasse an auf Deutsch, Englisch und Chinesisch unterrichtet werden soll. Jedoch: Die Hamburger Schulbehörde erteilte der MSH keine Genehmigung.

Dreisprachigkeit und flexible Betreuungszeiten

Axel Beyer, der sonst Schulleiter der ersten Grundschule mit Chinesisch als festem Bestandteil im Curriculum gewesen wäre, sitzt in dem als Konferenzzimmer gedachten Raum an einem Biertisch. Der 53-jährige Hamburger, der seit 20 Jahren im Bildungsbereich arbeitet, hat vor zwei Jahren bei der Behörde das Konzept für die MSH samt angeschlossenem Gymnasium eingereicht. Kernpunkte sind die Dreisprachigkeit und flexible Betreuungszeiten: Zwischen 7 und 18 Uhr sollte die MSH geöffnet sein, und auch samstags und sonntags Programm anbieten. Sogar in den Ferien könnte eine Betreuung möglich sein.

Aber die Schulbehörde lehnte den Antrag zunächst zum Schuljahr 2008/09 ab. Es gingen Briefe hin und her, Gespräche folgten. Nun ist erneut ein Schuljahresbeginn verstrichen, ohne dass Beyer klarer sähe. Ein Gerichtsverfahren soll die Auseinandersetzung beenden. Die Behörde nennt mit Hinweis auf das laufende Verfahren keine Gründe für die Ablehnung. In Hamburg wie in anderen Bundesländern muss eine private Grundschule ein "besonderes pädagogisches Konzept" vorlegen.

Bei kirchlichen Schulen ist das ihre konfessionelle Ausrichtung, bei Montessori-Schulen ihr ganzheitlicher Erziehungsansatz, bei den Phorms-Schulen - einem privaten Schulträger, hinter dem die Phorms Management AG steht - ist es der bilinguale Unterricht in Deutsch und Englisch. Phorms-Filialen breiten sich seit 2006 übers Bundesgebiet aus und existieren mittlerweile in sechs Großstädten. Hamburg gehört zu ihnen, aber die Behörde zögerte mit der Genehmigung.

China als wichtiger Handelspartner

"Die Zulassung von Grundschulen ist überall ziemlich schwierig", sagt Florian Becker vom Verband Deutscher Privatschulen. Das liege an der besonderen Fürsorgepflicht des Staates für die ganz jungen Schüler. Wenn es aber einen Bedarf für dreisprachigen Unterricht gebe - warum nicht? Der Schulforscher Heiner Ullrich von der Universität Mainz sagt: "Privatschulen haben oft innovative Ansätze und zwingen das staatliche Schulsystem zur Auseinandersetzung." In Hamburg gibt es traditionell enge Beziehungen zu China, einem wichtigen Handelspartner. Reicht das aus, um Chinesisch in der Grundschule anzubieten?

Der verhinderte Schulgründer Axel Beyer sagt, ihm werde vorgeworfen, dass Chinesisch für Sechsjährige eine zu große Herausforderung sei - aber gleichzeitig, dass diese Sprache als Alleinstellungsmerkmal nicht ausreiche. Erziehungswissenschaftler Ullrich würde zum neuen Grundschulfach Chinesisch "gerne noch ein paar Erklärungen hören". Denn es gebe noch wenig Chinesisch in Deutschland: "Wichtig ist, dass eine Sprache auch in weiterführenden Schulen eine Rolle spielt. Wenn es reale Perspektiven für einen späteren Gebrauch gibt, halte ich das Konzept für sinnvoll." Beyer will die dritte Sprache bis zum Abitur anbieten - ein MSH-Gymnasium hatte er ja ebenfalls beantragt.

Auf der nächsten Seite: Welcher ungelernte Migrant oder Hartz-IV-Empfänger käme auf die Idee, seine Kinder, denen oft schon die deutsche Sprache Probleme bereitet, Chinesisch lernen zu lassen?

Bildungsbürger unter sich

200 Euro plus Essen und Hortgebühr

Mit drei Eltern ist der Beinahe-Schulleiter in die leeren Schulräume gekommen. Die Eltern wollen ihren Glauben an eine baldige Öffnung demonstrieren. Heike Lukas, Nadine Cekan und Kai-Olaf Möller sind selbständig und gute Beispiele für Eltern, die ihr Kind auf eine Privatschule schicken möchten: Die Kosten - in Hamburg maximal 200 Euro plus Essen und Hortgebühr - können sie tragen. Die langen Betreuungszeiten kommen den drei in Vollzeit Arbeitenden entgegen. Und sie suchen gezielt nach Alternativen zur staatlichen Schule.

Wie eine kürzlich veröffentlichte Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zeigt, sind die Eltern von Privatschülern nicht unbedingt sehr vermögend. Aber es sind überwiegend Menschen, die großen Wert auf Bildung legen und selbst über hohe Bildungsabschlüsse verfügen. Auf diese Weise, so meinen Gegner von Privatschulen, blieben die Bildungsbürger und deren Kinder unter sich. Welcher ungelernte Migrant oder Hartz-IV-Empfänger käme auf die Idee, seine Kinder, denen oft schon die deutsche Sprache Probleme bereitet, Chinesisch lernen zu lassen?

In Hamburg beginnt derzeit eine große Schulreform; damit treibe der schwarz-grüne Senat noch mehr Eltern in die Arme von Privatschulen, behaupten Gegner der Reform. Nach dem Konzept der grünen Schulsenatorin Christa Goetsch werden die Schüler künftig sechs statt vier Grundschuljahre gemeinsam verbringen. Erst dann fällt die Entscheidung für eine weiterführende Schule. Das soll die Aussichten aller Kinder erhöhen, höhere Abschlüsse zu erreichen

Leistungsorientiert und weniger festgefahren

Viele Eltern stoßen sich aber daran, dass Lehrer die Entscheidung über die geeignete Schulform nach der sechsten Klasse treffen sollen. Mancher sieht da die Karrierepläne für sein Kind gefährdet. Und Privatschulen erscheinen vielen ohnehin als leistungsorientierter und weniger festgefahren. Allerdings müssen auch private Schulen die Reform mitmachen und eine sechsstufige Grundschule einrichten.

Steckt hinter der Ablehnung der MSH auch der Wunsch, die Zahl der Privatschulgründungen einzuschränken? Von der Opposition erhält der Senat in diesem Fall eher Rückendeckung: Der schulpolitische Sprecher der SPD, Ties Rabe, mag in der Ablehnung des MSH-Antrags keinen Fehler erkennen. Rabe und seine Partei stehen den Privatschulen als Hort der Privilegierten skeptisch gegenüber. Er räumt aber ein, dass das Misstrauen vieler Eltern in das staatliche Schulsystem wachse. Bundesweit ist die Zahl der Privatschulen in den vergangenen 15 Jahren um mehr als 50 Prozent gestiegen. In Hamburg besuchen mittlerweile 10,5 Prozent der Schüler eine private Einrichtung. Bislang steht der Stadtstaat nicht restriktiver da als andere Länder. Gemeinsam mit Sachsen, Bayern und Thüringen liegt Hamburg beim Anteil der Privatschüler sogar vorne.

Axel Beyer wartet nun auf einen Termin vor dem Verwaltungsgericht. Gewinnt die MSH, kann sie vier Wochen später aufmachen. Die Bestellungen für Tische und Stühle sind schon ausgefüllt. Heike Lukas hat ihre Tochter bis dahin auf eine staatliche Schule geschickt - eine Notlösung für sie. Und wenn die MSH erst in fünf Jahren aufmachte - sie würde sofort wechseln.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: