Frühkindliche Bildung:Der Reparaturbetrieb

Die Kleinen sollen in Kindergärten nicht nur spielen, sondern lernen. Doch kann das die Pädagogik in Krippen und Kindergärten überhaupt leisten? Eine Bestandsaufnahme.

F. Berth

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Pisa, dpa

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Hätte jemand vor zehn Jahren gefordert, dass die Kindergärten Bildung vermitteln sollen, wäre er ausgelacht worden: "Die Kleinen sollen spielen, nicht pauken", lautete die Überzeugung damals. Doch die Pisa-Debatte hat auch dies verändert. Nun ist Konsens, dass die frühkindliche Bildung in Deutschland gestärkt werden muss. Auch der Bildungsgipfel am Mittwoch wird dies verlangen. Doch sind die Erwartungen berechtigt? Vier Anmerkungen zu Grenzen und Chancen frühkindlicher Bildung.

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Familie, dpa

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Der Reparaturbetrieb

Als vor zwölf Jahren der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz eingeführt wurde, waren längst nicht alle überzeugt, dass dies ein Segen für die Kinder wäre. Doch mittlerweile kann es vielen nicht schnell genug gehen. Bei vielen Politikern gibt es den Wunsch, die Kinder möglichst früh in die Kindergärten zu holen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger hat sogar eine "Kindergartenpflicht" verlangt. Oft richtet sich der Blick dabei auf die Kinder aus schwierigen Familien: Erzieherinnen könnten leisten, womit die Eltern überfordert sind. Doch zumindest die heutigen Kindergärten müssen so großen Erwartungen wohl enttäuschen.

Der Pädagogik-Professor Hans-Günther Roßbach kommt nach der Analyse dutzender Studien zum Ergebnis, dass der Einfluss des Elternhauses stets am größten ist: "Für Entwicklungsunterschiede zwischen Kindern ist das, was in den Familien geschieht, etwa zwei bis drei Mal bedeutender, als das, was im Kindergarten geschieht." Das heißt nicht, dass der Kindergarten wirkungslos wäre. Doch er ist kein universeller Reparaturbetrieb für geschädigte Kinder. Sozialingenieure, die hoffen, der Ausbau der Krippen löse die Probleme der Unterschicht, hegen zu große Hoffnungen.

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Krippe, dpa

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Das amerikanische Wundermittel

Manche Pädagogen haben in den letzten Jahren trotzdem kleine Wunder vollbracht. Am eindrucksvollsten in der US-Stadt Ypsilanti: In den sechziger Jahren wählten Wissenschaftler dort 123 Drei- bis Vierjährige aus. Die Kinder stammten aus schwarzen, armen Familien; häufig war der Vater verschwunden oder im Gefängnis, die Mütter hatten oft Erfahrungen mit Drogen. Die Forscher des Perry Preschool Project teilten die Kinder in zwei Gruppen: Eine kam zwei Jahre lang in einen Kindergarten mit sehr kleinen Gruppen und sehr gut ausgebildetem Personal. Die andere Gruppe lief nebenher, ohne besonders betreut zu werden.

Der Vergleich beider Gruppen zeigt vierzig Jahre später dramatische Effekte: Diejenigen, die in der Kita waren, haben als Erwachsene ein höheres Einkommen (im Schnitt plus 30 Prozent) und sind seltener im Gefängnis (minus 30 Prozent) als die anderen. Der Wirtschafts-Nobelpreisträger James Heckman, der die Effekte penibel überprüft hat, ist deshalb überzeugt: "Wenn man benachteiligte Kinder sehr früh fördert, sind die ökonomischen Effekte enorm; wenn man sie erst im Jugendalter unterstützt, sind die Effekte minimal." Wobei Heckman darauf hinweist, dass Programme wie Perry Preschool nicht bei allen Kindern Wunder bewirken: Wenn Eltern ihren Job gut machen, ist der Nutzen selbst des besten Kindergartens viel geringer.

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Die soziale Spaltung

Von dem amerikanischen Modell könnte Deutschland vieles lernen. Der richtige Leitsatz wäre: Die Kinder mit den schlechtesten Chancen brauchen die beste Förderung. Derzeit gilt das Gegenteil: Wer in einer westdeutschen Stadt eine Krippe besucht, begegnet der akademisch gebildeten Mittelschicht. "Wenn ich von diesen Eltern Briefe bekomme, sehe ich viele Doktortitel", sagt ein bayerischer Bürgermeister. Kinder aus ärmeren Milieus tauchen in Krippen seltener auf. Im Kindergarten setzt sich das - abgeschwächt - fort, wie die Bildungsökonomin Katharina Spieß vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung festgestellt hat.

Städte und Gemeinden können diesem Trend begegnen. Die kleinstädtische Variante lässt sich in Dormagen besichtigen: Bürgermeister Heinz Hilgers, nebenbei Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, schickt die Mitarbeiter des Jugendamtes zu allen Familien mit dreijährigen Kindern, um sie vom Sinn des frühen Kita-Besuchs zu überzeugen. Das funktioniert, sagt Hilgers, und es spricht sich herum: Inzwischen müssen die Sozialarbeiter kaum noch Hausbesuche machen. Denn auch skeptische Migranten haben erkannt, dass Kitas sinnvoll sind. Die großstädtische Variante entsteht gerade in München: Dort soll eine Förderformel sicherstellen, dass Kindergärten in den schwierigen Stadtvierteln deutlich mehr Personal bekommen. Die Details werden derzeit ausgehandelt - wenn das durchsetzbar ist, ließe sich auch in einer Großstadt die Spaltung ein wenig korrigieren.

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Becher, ap

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Die Wunschliste

Wie könnte ein Kindergarten aussehen, der Bildung ermöglicht, ohne eine Frühform der Schule zu sein? Sabina Pauen, Psychologie-Professorin in Heidelberg, skizziert ihre Wunsch-Kita so: "Als erstes braucht man gut ausgebildetes Personal, das eine offene Wahrnehmung hat für das, was in der Entwicklung eines Kindes gerade dran ist." Nicht jede junge Frau sei geeignet; deshalb sei die Auswahl vor der Ausbildung wichtig. Später bräuchten Praktiker Gelegenheiten, aus alltäglichen Erfahrungen zu lernen; das gelinge am besten mit "kontinuierlicher Supervision", sagt Pauen. Schließlich: Bessere Personalschlüssel, denn heute muss eine Erzieherin zu viele Kinder betreuen . Und auf ihrer Wunschliste stehen Lernangebote für Kinder, die anders aussehen müssen als das, was die Schulen bieten - sie sollen spielerisch sein, aber nicht banal.

Einzelne Kindergärten sind schon auf diesem Weg, oft mit guten Ergebnissen. Doch zum Standard ist es nicht geworden. Noch gilt ein Satz der Kita-Managerin Ilse Wehrmann, die derzeit für Daimler ein Netz von Kinderkrippen aufbaut: "In Deutschland entscheiden die Finanzkraft einer Kommune und die Einsicht eines Bürgermeisters über die Chancen von Kindern." Bildungsgerechtigkeit sieht anders aus.

Bild: ap (SZ vom 20.10.2008/bön)

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