Süddeutsche Zeitung

Freundschaftsdienste:Freunde sind oft miese Kunden

Mal schnell ein paar Fotos, eine neue Frisur oder eine Rechtsberatung: Wer günstig vom Job eines Bekannten profitieren möchte, bringt die Freundschaft in Gefahr - und noch mehr.

Von Larissa Holzki

Wenn im Bekanntenkreis eine Hochzeit ansteht, wird Elisabeth Kindler eingeladen. "Du bringst doch deine Kamera mit?", fragt das Brautpaar sie dann. Elisabeth Kindler ist bekannt dafür, dass sie in Fotos festhalten kann, wie sich die Braut vor der Trauung letztmalig im Spiegel ansieht und ihr zukünftiger Ehemann sich nervös an der Krawatte zupft. Für eine zwölfstündige Reportage zahlen Kunden ihr fast 2000 Euro. Auch von den alten Schulkameraden müsse sie Geld bekommen, wenn sie fotografieren soll, sagt sie ihnen. Die Bekannten verstehen das meist nicht: "Aber du bist doch zum Essen eingeladen?"

Unter Freunden hilft man sich. Doch die Regel kann zum Problem werden, wenn eine Tätigkeit gefragt ist, mit der die Nachbarin oder der Kollege aus dem Schulelternrat sich den Lebensunterhalt verdient. Im schlimmsten Fall gefährden solche Freundschaftsdienste dann nicht nur die Freundschaft, sondern gar die Existenz. Vor allem junge Künstler, aber auch Architekten, Berater, Programmierer, Friseure und andere Handwerker, die sich selbstständig machen, müssen das lernen. Ihre Wut und Enttäuschung kann man auf diversen Blogs und in Foreneinträgen nachlesen.

Früher hat Elisabeth Kindler ihre Kamera oft mitgebracht. "Man will den Leuten ja nicht vor den Kopf stoßen", sagt die Fotografin. Tatsächlich sind Solo-Selbstständige am Anfang häufig auf Kleinstaufträge aus dem Bekanntenkreis angewiesen, um sich überhaupt erst mal einen Namen zu machen. Auch die Frage nach Sonderkonditionen seien oft als Angebot einer Win-win-Situation gedacht gewesen, sagt Kindler: "Wir haben viele junge Gäste eingeladen, wenn die dich sehen, buchen sie dich vielleicht!" Als Studentin hat sie das gerne glauben wollen.

Folgeaufträge ergeben sich nach Freundschaftsdiensten jedoch nur selten. Sven Geske weiß das aus eigener Erfahrung. Als Illustrator entwirft er Maskottchen - und kann natürlich Einladungskarten, Liederhefte und Fotobücher gestalten. "Das könnte funktionieren, wenn der Kunde ein richtig großes Tier, ein großer Verlag wäre." Meistens kämen entsprechende Anfragen aber von Privatleuten oder Kleinbetrieben. "Wie soll ich Kunden gewinnen, wenn mein Bild in einem Wohnzimmer hängt oder in einer Provinzbäckerei, wo niemand Brötchen kauft, der mir einen relevanten Auftrag geben könnte?"

Umzugshilfe und Steuerprüfung sind nicht vergleichbar

Elisabeth Kindler trifft zwar auf jeder Hochzeit Gäste, die sie gerne selbst engagieren würden. Und trotzdem profitiert sie bei Freundschaftsdiensten kaum davon. "Wenn die hören, die Fotografin ist eine Freundin, die macht uns für eine Aufwandsentschädigung professionelle Fotos, dann erwarten sie als Freunde von Freunden auch einen super günstigen Preis", sagt Kindler. Tatsächlich erwarten flüchtige Bekannte sogar häufiger Rabatte als enge Freunde und Verwandte.

Aufträge aus dem Bekanntenkreis sind auf dieser Basis kein Geschäftsmodell und hindern Selbstständige sogar daran, sich zu etablieren. Die Zeit, in der sie für Freunde arbeiten, wäre in echte Werbemaßnahmen und bezahlte Aufträge besser investiert. Denn was oft übersehen wird: Freundschaftsdienste sind keine Freizeit, auch nicht wenn der Betroffene sein Hobby zum Beruf gemacht hat. Ein Freundschaftsdienst in der Berufstätigkeit zögert den Feierabend hinaus. Das ist etwas grundlegend anderes, als nach der Arbeit die Kinder des Nachbarn ins Bett zu bringen oder am Wochenende für den Fußballkumpel Umzugskisten zu schleppen.

Die Frage der Wertschätzung ist bei Freundschaftsdiensten ein großes Problem. Wer eine Leistung umsonst haben kann, überlegt nicht lange, ob sie ihm wirklich wichtig ist. Juristen und Steuerberater werden um Ratschläge und Entwürfe gebeten, auf die die Freunde verzichten würden, wenn sie das veranschlagte Honorar dafür hätten zahlen müssen. Zumindest hätten sie ihre Belege und Rechnungen vor dem Termin sortiert, um dem Berater Arbeit, vor allem aber sich selbst Kosten zu ersparen. Elisabeth Kindler erinnert sich an einen Kumpel, der in zerknittertem Hemd zum Fotoshooting für ein Bewerbungsbild kam - kann man ja mit Photoshop bügeln. "Das ist doch kein Problem für dich?"

Die Touristikerin Heidrun Jahn ist im Leben viel gereist, Urlaub hatte sie selten. Weil sie dabei Hotels inspiziert, den Service getestet und unzählige Adventureangebote mitgemacht hat - in den Augen der meisten Bekannten ein Riesenspaß - wurde sie häufig gefragt, welche Trekkingtouren man auf Jamaica buchen muss und wo man an der Türkischen Reviera am besten essen und übernachten kann. In ihrem eigenen Reisebüro hätte Jahn die Trips auch direkt buchen können, doch Bekannte hätten meist noch mal darüber nachdenken wollen, sagt sie. "Monate später haben sie im Netz Bilder vom Hotelpool gepostet und schöne Grüße gesendet. Die Provision, mit der ich mein Geld verdiene, war der Rat offenbar nicht wert."

Ob Reise- oder Rechtstipps - in den Augen der Bekannten kosten sie den Experten nichts. "Du willst doch an Freunden nichts verdienen?", werden sie manchmal fast vorwurfsvoll gefragt. Dabei geht es häufig nicht um Profit, sondern um das Auskommen. Echte Freunde wissen das.

Viel geholfen wäre so manchem Berufseinsteiger schon, wenn sie in der Ausbildung auf die Selbstständigkeit vorbereitet würden. "Künstler sind emotionale Menschen, die freuen sich total, wenn ihre Bilder irgendwo veröffentlicht werden", sagt Sven Geske. "Viele verstehen erst relativ spät, manchmal zu spät, dass sie wirtschaftlich arbeiten müssen." Deshalb vermittelt Geske anderen Illustratoren als Coach ein Verständnis von Zahlen und Akquise. Das könne ihnen enorm dabei helfen, manche Anfrage abzulehnen und den Freunden auch verständlich zu machen, warum das zu viel verlangt ist.

Wer die Rechnung sieht, erkennt auch den Wert

Über Geld darf und muss man mit Freunden sprechen - und zwar sofort, warnen erfahrene Freiberufler. Gerade weil Freunde oft nicht darüber nachdenken, wie viel Arbeit der Gefallen verursacht und was der andere alles investiert hat, um diese Leistung erbringen zu können. Das im Freundeskreis übliche: "Das Finanzielle regeln wir dann schon", sei oft der Anfang vom Ende der Freundschaft. Wie bei jedem anderen Auftrag müssen finanzielle Forderungen eindeutig geklärt und schriftlich festgehalten werden - auch bei Sonderkonditionen. Das hat nicht zuletzt einen psychologischen Effekt: Der ökonomische Gegenwert macht unabhängig von der tatsächlichen Bezahlung den Umfang der Leistung sichtbar und erhöht die Wertschätzung.

Sven Geske hat für sich einen anderen Weg gefunden. Die meisten seiner Bekannten können sich seine Werke privat sowieso nicht leisten. "Ich sage meinen Freunden klar: Ich will von dir kein Geld, aber dafür behandle ich diesen Auftrag wie mein Hobby - ich entscheide, wann ich es mache und lasse mich auch nicht auf dutzende Korrekturrunden ein." So erhält er sich auch die Freude an der Arbeit. Nur Papier, Rahmen, Farbe und andere Materialkosten stelle er in Rechnung: "Draufzahlen möchte ich nicht."

Seit die Kölner Fotografin Elisabeth Kindler für Hochzeitsreportagen in Italien gebucht wird, trauen sich immer weniger Bekannte zu fragen, ob sie für ein Stück Sahnetorte ihre Kamera mitbringen würde. Sie hat es geschafft, lange genug durchzuhalten. Freunde vierten Grades erwarten keinen Freundschaftspreis mehr.

"Machst du doch gerne, oder?"

Welche Erfahrungen haben Sie mit Kunden aus dem Freundeskreis gemacht? Und wie antworten Sie auf die Frage nach einem Freundschaftspreis? Wir freuen uns über Ihre Geschichten und Tipps für andere Berufstätige, von denen Bekannte immer wieder Sonderkonditionen erwarten. Schreiben Sie uns an karriere-online@sz.de.

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